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EZB will Spread-Ausweitungen innerhalb der Eurozone bekämpfen

Die EZB reagiert auf den aufkommenden Stress durch die Spread-Ausweitungen in den Peripherie-Anleihemärkten der EU. (Bild: Shutterstock.com/Savvapanf Photo)
Die EZB reagiert auf den aufkommenden Stress durch die Spread-Ausweitungen in den Peripherie-Anleihemärkten der EU. (Bild: Shutterstock.com/Savvapanf Photo)

Nach den massiven Spread-Ausweitungen seit der EZB-Sitzung in der vergangenen Woche hat am Mittwoch eine ausserplanmässige EZB-Sitzung stattgefunden. Die europäische Notenbank hat ein neues geldpolitisches Instrumentarium angekündigt, um dauerhaften, nicht fundamental gerechtfertigten Renditeausweitungen zu begegnen.

15.06.2022, 16:43 Uhr
Notenbanken

Redaktion: rem

Am letzten Donnerstag liess die Europäische Zentralbank (EZB) verlauten, sie werde ihre drei Leitzinssätze im Juli um einen Viertelprozentpunkt anheben. "Das war gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Denn abgesehen davon, dass anders als erwartet nicht nur vom Einlagesatz die Rede war, fragte sich der geneigte Beobachter, warum die EZB den Schritt nur ankündigte", kommentiert Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. "Wenn sie ihn für richtig und notwendig hält, warum dann nicht gleich jetzt, sondern bis Juli warten?"

Lück weist darauf hin, dass Christine Lagarde die Antwort gleich in der Pressekonferenz lieferte: Man wolle, so die EZB-Chefin, weiter konsistent mit der eigenen Forward Guidance, also dem geldpolitischen Fahrplan, bleiben. Und in dem habe man nun mal angekündigt, vor der ersten Zinsanhebung das Anleihekaufprogramm zum Ende zu bringen. Dieses werde nun zum 1. Juli eingestellt, so dass am 21. Juli dann die erste Zinsanhebung folgen könne. Doch damit nicht genug. Die EZB stellte darüber hinaus für September auch gleich den nächsten Zinsschritt ins Fenster, der durchaus grösser als 25 Basispunkte werden könne. Sollten sich nämlich die mittelfristigen Inflationsaussichten bis September nicht bessern oder sogar noch verschlechtern, könne, so die EZB, ein grösserer Zinsschritt angemessen sein.

Lagardes Hintertürchen im Kleingedruckten

Die EZB wäre nach Ansicht Lücks nicht die EZB, hätte sie sich angesichts derart kerniger Ansprache nicht ein Hintertürchen offen gehalten. Es liege in der eher beiläufig klargestellten "Optionalität und Datenabhängigkeit", unter der die Ankündigungen gemacht wurden. Sprich: Sollte sich die Wirtschaft wesentlich stärker verlangsamen als in den neuen Schätzungen der Zentralbankvolkswirte abgebildet (nämlich von bisher prognostizierten 3,7% für die Eurozone in diesem Jahr auf 2,8%), die Inflation nachlassen oder die Finanzierungsbedingungen sich deutlich verschlechtern, könne der Normalisierungspfad angepasst werden. Vor allem auf letzteres, nämlich sich kräftig und sehr ungleichmässig in der Eurozone verschärfende Finanzierungsbedingungen, deuteten schon unmittelbar nach den EZB-Ankündigungen die Risikoaufschläge in Europa hin. Der zehnjährige Italien-Spread legte über die Woche um 11 Basispunkte zu, der für Frankreich gar 29 und für Spanien 34 Basispunkte.

Ausserplanmässige EZB-Sitzung

Nach den massiven Spread-Ausweitungen seit der EZB-Sitzung in der vergangenen Woche fand nun am Mittwoch eine ausserplanmässige EZB-Sitzung statt. Und der aufkommende Stress durch die Spread-Ausweitungen in den Peripherie-Anleihemärkten zeigt Wirkung: Die EZB reagiert darauf mit einer flexibleren Re-Investitionspolitik im Rahmen des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), des zeitlich befristeten Ankaufprogramms für Anleihen öffentlicher und privater Schuldner.

Doch noch wichtiger ist laut DWS, dass sie ein neues geldpolitisches Instrumentarium ankündigt, um dauerhaften, nicht fundamental gerechtfertigten Renditeausweitungen zu begegnen. Zwar sei die Ausgestaltung noch völlig unklar, doch allein die Ankündigung, dass ein solches Instrument geplant ist, sollte für eine gewisse Beruhigung an den Märkten sorgen. Insgesamt dürfte dies der EZB auch die Möglichkeit geben, die Leitzinsen schneller und aggressiver zu erhöhen, da Spread-Ausweitungen zu einem gewissen Grad begrenzt sind, so DWS. Wahrscheinlich dürfte die EZB bereits im Juli dieses neue Tool vorstellen, wenn auch die erste Zinserhöhung ansteht.

"Wir halten die aktuelle Entscheidung der EZB für wichtig, weil dies der erste Beschluss seit Beginn des Zinserhöhungszyklus 2022 ist, der auch das Wirtschaftswachstum und nicht nur die Inflation berücksichtigt. Die Volatilität des Marktes in diesem Jahr wurde durch ein Zinserhöhungsprogramm verstärkt, das sich seit Anfang des Jahres stetig beschleunigt hat und praktisch nur der Entwicklung der Inflation folgt. Die Tatsache, dass die EZB nun auch das Wachstum und das Risiko einer Aufspaltung der europäischen Schulden in Betracht zieht, sollte die Märkte beruhigen und könnte ein wichtiges Mittel zur Stabilisierung der Zinssätze sein. Das könnte schlussendlich zu einer Verringerung der Spreads beitragen", kommentiert Antonio Serpico, Senior Portfolio Manager im European Fixed Income Team bei dem unabhängigen US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman.

Das Dilemma der Zentralbanken

"Immer klarer tritt damit das Dilemma der Zentralbanken zutage. Denn einerseits hat Inflation negative soziale Folgen und setzt die Regierungen liberaler Demokratien unter Druck. Zentralbanken, deren unabhängiges Arbeiten vom Fortbestand ebendieser liberalen Ordnungen abhängt, können deswegen nicht unbeteiligt an der Seite stehen, selbst wenn sie gegen kriegs- und pandemiebedingte Preisschocks wenig ausrichten können", sagt Martin Lück von BlackRock.

Auch in den kommenden Monaten werde Fed, EZB & Co. daher kaum etwas anderes übrig bleiben, als mit kerniger Rhetorik und einem "Frontloading» von Zinsschritten die Inflationserwartungen in Schach zu halten, bevor man sich – vermutlich spätestens Richtung letztes Quartal 2022 – doch entschliessen wird, auf mittlere Sicht mit höherer Inflation zu leben. Die Alternative nämlich, ein Abwürgen des Post-Covid-Neustarts mit der Folge von Firmenpleiten und Jobverlusten, hätte nämlich noch verheerendere soziale und politische Kosten.

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