Eine schnelle Rückkehr zum Vorkrisenverständnis von Stabilität in Europa erscheint zunehmend als Wunschdenken. (Bild: Shutterstock.com/Giulio Benzi)
Der Ukraine-Krieg lastet schwer auf den Finanzmärkten. Je länger er andauert, desto mehr dürften die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter steigen und das Rezessionsrisiko in Europa grösser werden. Martin Lück von BlackRock geht davon aus, dass die im März veröffentlichte BIP-Wachstumsprognose der EZB von 3,7% für den Euroraum im Jahr 2022 viel zu hoch ist.
11.05.2022, 15:52 Uhr
Redaktion: rem
"Für die Finanzmärkte hängt vieles davon ab, ob Russlands verbrecherische Invasion der Ukraine auf absehbare Zeit zum Ende kommt oder nicht. Ist dies nicht der Fall, dürften die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter steigen, das Rezessionsrisiko in Europa grösser werden und eine Kombination aus Angebotsknappheit und Zukunftsangst die ökonomische Aktivität lähmen", sagt Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.
Fiskalische Ziele Westeuropas werden zur Makulatur
Gleichzeitig sei für diesen Fall abzusehen, dass die fiskalischen Ziele Westeuropas, etwa die geplante Rückkehr zu Schuldenbremse und Stabilitätspakt, angesichts der Kriegsfolgen Makulatur sein dürften. Allein die notwendige militärische Hilfe für die Ukraine dürfte auf Dutzende Milliarden anwachsen, wenn Europa sich gegenüber der Unterstützung aus den USA (3,5 Mrd. USD bereits geflossen, weitere 33 Mrd. zugesagt) nicht lumpen lassen möchte.
Dazu kommen Kosten für die beschleunigte Umstellung von fossilen auf nachhaltige Energiequellen, um die fatale Abhängigkeit von Russland loszuwerden, sowie weitere direkte Kriegsfolgen wie etwa die Unterstützung der Geflüchteten. "Je länger der Krieg also noch andauert, desto dringender sollten Europas Regierende der Realität ins Auge sehen. Eine schnelle Rückkehr zum Vorkrisenverständnis von Stabilität erscheint zunehmend als Wunschdenken", mahnt Lück.
Seiner Meinung nach wäre es wohl zielführender, die historische Herausforderung, der sich Europa derzeit gegenübersieht, als Katalysator für die dringend benötigte fiskalische Integration zumindest der Eurozone zu verstehen. Möglicherweise werfe die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe, die seit Jahresbeginn um rund 130 Basispunkte gestiegen ist, hier nicht nur die Schatten einer strafferen EZB-Politik, sondern auch einer gezwungenermassen expansiveren europäischen Fiskalpolitik voraus.
Europäische Konjunktur: Es droht ein Déjà-vu
Dabei richteten sich immer besorgtere Blicke auf die europäische Konjunktur. Nach der Erfahrung der ersten Jahreshälfte 2020, als die ersten Corona-Lockdowns in Asien massive Versorgungsengpässe auch in Europa zur Folge hatten, drohe ein Déjà-vu, so Lück. Vor den grössten Containerhäfen der Welt an der ostasiatischen Küste drängen sich Hunderte von riesigen Containerschiffen, die Handelsstatistiken verzeichnen bereits erste schwere Bremsspuren, und noch immer ist von einem Ende der erneuten Covid-Restriktionen nichts zu sehen. "Zusätzlich zu den erheblichen negativen Wirkungen des Krieges in der Ukraine dürften diese Beeinträchtigungen Europas Wachstum in diesem Jahr spürbar schwächen", erwartet der Kapitalmarktstratege.
Markterwartungen für EZB-Zinsen ins Kraut geschossen
Wie Lück weiter ausführt, dürfte schon aus den oben genannten naheliegenden Gründen die in den sogenannten Staff Projections, den Makro-Schätzungen der EZB-Volkswirte, im März veröffentliche BIP-Wachstumsprognose von 3,7% für den Euroraum im Jahr 2022 viel zu hoch sein. Am 9. Juni legt die EZB die aktualisierten Schätzungen ihrer Experten vor, und es bedürfe keiner ausgeprägten prophetischen Gaben, um mit einer deutlichen Abwärtskorrektur zu rechnen.
Sollte sich, was absehbar erscheine, die europäische Dynamik aber angesichts von Krieg, Angebotsknappheiten und Zukunftsangst tatsächlich stark eintrüben, werde vermutlich der Druck auf die Zentralbank, angesichts hoher Inflation nun endlich die Zinsen zu erhöhen, nachlassen. Die EZB könnte dann nach Beendigung der Anleihekäufe, etwa im Juli oder September, beginnen, den negativen Einlagezins Richtung null zurückzuführen, ohne aber die Leitzinsen auf das neutrale Niveau oder gar darüber hinaus anzuheben.
"Eine derart vorsichtige Normalisierung erscheint in der Tat geboten, denn einerseits hat die Aktivität im Euroraum den Vor-Covid-Trend noch nicht wieder erreicht (befindet sich, technisch gesprochen, also noch im Bereich negativer Outputlücken), andererseits drohen erhebliche neue Risiken, wie oben beschrieben. Es spricht also einiges dafür, dass der Markt mit drei oder mehr eingepreisten Zinserhöhungen übers Ziel hinausgeschossen ist. Für Aktien und andere Risikoanlagen wäre das eine gute Nachricht mit Blick auf die zweite Jahreshälfte. Und gute Nachrichten können wir ja alle derzeit gut gebrauchen", kommentiert Martin Lück.
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