13.05.2025, 16:43 Uhr
«Der April entwickelte sich zu einem Monat heftiger Turbulenzen an den Finanzmärkten, die von einer Flut politischer Manöver, wirtschaftlicher Ungewissheit und einer sich verändernden Geldpolitik ausgelöst...
«Die restliche Welt holt gegenüber den USA etwas auf. Eine neue Weltwirtschaftsordnung sehen wir aber noch nicht», schreibt Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman. .
«In Trumps ersten 100 Tagen bin ich zu vielen Kundengesprächen gereist, auch nach Kanada. Oft wurde ich gefragt, ob die amerikanische Ausnahmestellung jetzt zu Ende geht», erläutert Amato.
Um sie zu beantworten, müsse zunächst etwas anderes geklärt werden: «Was macht diese Ausnahmestellung aus?» Man könnte sie laut Amato als ein recht neues Phänomen ansehen, als Folge des hohen Wirtschaftswachstums in den USA und der guten Performance amerikanischer Aktien seit Corona, vor allem gegenüber Europa und China. Dann wäre die Antwort wohl ein Ja. Eine so definierte Ausnahmestellung gehe irgendwann zu Ende, zumal in den USA mit weniger Wachstum und mehr Inflation gerechnet wird.
Ein Grund für den amerikanischen Wachstumsvorsprung seit der Pandemie waren laut dem Experten sicherlich die zuletzt nicht mehr nachhaltigen Staatsausgaben. Sie liessen das US-Haushaltsdefizit auf über 6 Prozent steigen. Letzte Woche wurde bekannt, dass die amerikanische Wirtschaft im 1. Quartal 2025 annualisiert um etwa 0,3 Prozent geschrumpft ist. Beim BIP spielen die Nettoexporte eine wichtige Rolle. Sie waren im 1. Quartal deutlich negativ, weil viele Unternehmen vor Einführung höherer Zölle noch schnell Importgüter kauften. Höherer Konsum und der Lageraufbau glichen das aber aus. Am Ende sorgte der 0,25-prozentige Rückgang der Staatsausgaben für einen negativen Gesamtwert.
Viele Positiv- und Negativfaktoren also, aber unter dem Strich ein Minus: Kommt es im 2. Quartal ähnlich, befindet sich die amerikanische Wirtschaft definitionsgemäss in der Rezession. Mehr Konsum heute könnte weniger Konsum morgen bedeuten. Zurzeit sprechen laut Amato die harten Daten aber dafür, dass vor allem der Rückzug des Staates das Wachstum dämpft. Weniger Staat sei aber genau das Ziel der Trump’schen Politik, die das Wachstum des privaten Sektors stärken soll, auch durch verlängerte Steuersenkungen und eine lockerere Regulierung.
«Die Konjunkturwende und die Verschiebungen vom öffentlichen zum privaten Sektor dürften kaum ohne Auf und Ab verlaufen, und Trumps unberechenbare Aussenhandelspolitik macht es nicht besser. Dennoch glauben wir, dass die USA am Ende wieder langfristig und noch dazu nachhaltiger wachsen werden», schreibt Amato.
Die amerikanische Ausnahmestellung lasse sich aber auch grundsätzlicher definieren. Dazu helfe ein Blick auf die Geschichte. Wesentlichen Anteil daran hatte die Entscheidung in Bretton Woods, das Weltfinanz- und Welthandelssystem an den US-Dollar zu binden. Noch wichtiger sind laut dem Experten aber die Stärken und Vorzüge der amerikanischen Wirtschaft: tiefe und liquide Kapitalmärkte, gut ausgebildete und flexible Arbeitnehmer, ein einzigartiger Unternehmergeist und eine hohe Risikobereitschaft.
Für amerikanische Venture-Capital-Firmen sei es selbstverständlich, acht bis neun gescheiterte Unternehmen hinzunehmen, um ein bis zwei herausragende zu finden.
Der europäische Konsumgütermarkt ist zwar ähnlich gross wie der amerikanische, aber der Kapitalmarkt ist kleiner und sehr viel fragmentierter, und der Arbeitsmarkt sei sehr viel starrer. Und Chinas Volkswirtschaft hänge noch immer mehr von staatlichen Investitionen als vom Konsum ab, und die Kapitalmärkte werden streng kontrolliert.
All das bedeute, dass amerikanische Arbeitnehmer, Unternehmer und Investoren leichter die nötigen Risiken eingehen können, um sich an schnelle Veränderungen anzupassen. Im frühen 20. Jahrhundert wurde in den USA das Fliessband erfunden, und vor nicht einmal einer Generation das Internet.
«Wir halten die amerikanische Flexibilität heute für einen wichtigeren Wettbewerbsvorteil denn je – wegen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, aber auch wegen der immer unberechenbareren Politik, der Weltpolitik und häufigerer Lieferkettenstörungen», folgert der CIO Equities.
Wurde zuletzt Kapital von den USA in andere Regionen umgeschichtet? «Es scheint so, aber wir sehen die Gründe dafür eher in der Konjunktur als in strukturellen Veränderungen. Wir glauben, dass der US-Dollar auf absehbare Zeit seine Vormachtstellung behält.»
Die USA (und die Fed) stehen vor keiner leichten Aufgabe. Einerseits steigt die Inflation, andererseits dämpfen Zölle und niedrigere Staatsausgaben die Wirtschaft. Der Inflationsausblick für Europa scheine sehr viel günstiger, und gerade erst wurde ein neues Konjunkturprogramm verabschiedet. Deswegen schätzt das Asset Allocation Committee von Neuberger Berman europäische Aktien und Anleihen jetzt zuversichtlicher ein.
«Wenn Kunden uns fragen, ob die übrige Welt gegenüber den USA jetzt etwas aufholt, ist meine Antwort ein Ja. Fragen Sie mich aber, ob die weltwirtschaftliche Führungsrolle der USA bald endet, antworte ich mit Nein», so das Fazit.