Mohamed A. El-Erian: Die Weltwirtschaft braucht einen "Sputnik-Moment"
Die Bühne ist bereit. Wie es um den Handlungswillen der G-20 steht, wird sich am Wochenende weisen. (Bild: Shutterstock.com/Alexey Struysiky)
Das G-20-Treffen in Rom bietet für Mohamed A. El-Erian, Ex-CEO von Pimco, Wirtschaftsberater von Allianz und Präsident des Queens’ College, Cambridge, eine günstige Gelegenheit, für die globale Wirtschaft nachhaltige Pflöcke einzuschlagen. El-Erian erinnert an den "Sputnik-Moment" in der Finanzkrise, als sich die Leader auf gemeinsame Schritte einigten.
29.10.2021, 15:47 Uhr
Redaktion: hf
Den G-20-Gipfel von diesem Wochenende wertet der bekannte Wirtschafts- und Finanzexperte als günstige Gelegenheit, um entscheidende Fortschritte in vier Schlüsselelementen zu erzielen. Sie sind laut El-Erian das Fundament für einen starken und dauerhaften Aufschwung, der integrativ und nachhaltig ist. Sie verringern das Risiko, dass die Instabilität der Finanzmärkte das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen untergräbt. Je länger man zuwartet, desto grösser ist die Gefahr sich selbst verstärkender Schäden, die auch dem Kampf gegen den Klimawandel zuwiderlaufen.
Die Schlüsselthemen, die El-Erian in seiner Kolumne bei Bloomberg schreibt, sind: Geldpolitik, Steigerung der Produktivität, überhand nehmende finanzielle Risikobereitschaft und Pandemiebekämpfung.
Notenbanken wecken
Seit sechs Monaten plädiere er dafür, dass die Zentralbanken und besonders die US-Notenbank das Zeitfenster eines kräftigen Wirtschaftsaufschwungs und lebhafter Finanzmärkte nutzen sollten, um langsam und behutsam die Geldzügel wieder anzuziehen. Die Notenbanken hatten jedoch wenig Lust dazu und betonten wiederholt, dass der zunehmende Inflationsdruck und die Gefahr finanzieller Instabilität entweder vorübergehend oder überschaubar seien.
Weil Wirtschaftsdaten und zugrundeliegende Inflationsfaktoren ihre Argumente entkräften und die Märkte beginnen, die Glaubwürdigkeit ihrer Prognosen und politischen Leitlinien in Frage zu stellen, müssten sich die Zentralbanken jetzt mit zwei Erfordernissen auseinandersetzen, die bei einer besseren Abstimmung über einen längeren Zeitraum viel einfacher zu bewältigen gewesen wären: Vom Gaspedal gehen, indem sie die gross angelegten Ankäufe von Vermögenswerten reduzieren (QE-Taper) und durch Zinserhöhungen auf die Bremse treten.
Die Bank of England habe das erkannt. Die Fed hinke weiterhin deutlich hinterher, während die "Trägheit" der EZB zumindest teilweise mit der im Vergleich zu den USA weniger lebhaften Konjunktur begründet werden könne.
Infrastrukturprogramme vorantreiben
Der zweite dringende Politikbereich ist für den globalen Wirtschaftskenner die Steigerung der Produktivität und der Erwerbsbeteiligung. Ihre Bedeutung werde durch die wachsenden Angebotsstörungen und den Arbeitskräftemangel unterstrichen. Es brauche eine erhebliche Steigerung von Umfang und der Reichweite wichtiger Infrastrukturprogramme und Beschäftigungsinitiativen.
"Hier sind die USA in der Planung schon weit fortgeschritten, aber politische Meinungsverschiedenheiten im Kongress blockieren die rechtzeitige Umsetzung. Das Vereinigte Königreich ist ebenfalls auf dem Weg, aber die Eurozone hinkt hinterher", schreibt er.
Finanzielle Risiken nehmen überhand
Der dritte Bereich zielt darauf ab, das Risiko zu minimieren, dass eine übermässige finanzielle Risikobereitschaft dem wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand schadet. Dazu zählt El-Erian eine bessere Überwachung und Regulierung, besonders von Nichtbanken.
Ohne eine bessere Koordinierung – vor allem zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden, aber auch über die Grenzen hinweg – und ein deutlich besseres Verständnis dafür, wie sich das Finanzrisiko seit der globalen Finanzkrise verändert und verlagert hat, werde dies nicht gelingen.
Viertens geht es um die Verfügbarkeit von Impfstoffen. Trotz zahlreicher ermutigender Ankündigungen ist der Zustrom von Covid-19-Impfstoffen nach wie vor ungleichmässig, viele Entwicklungsländer befinden sich weit im Rückstand.
Covid – niemand ist sicher, bevor nicht alle sicher sind
Die Art und Weise, wie die Delta-Variante Anfang Jahr auftauchte und sich ausbreitete, bestätige die Binsenweisheit, dass bei einer globalen Pandemie niemand sicher sei, solange nicht alle sicher sind. Letztlich es auch darum, gefährliche und ungeordnete Migrantenströme einzudämmen, den Zusammenbruch fragiler Staaten zu verhindern und geopolitische Störungen zu begrenzen.
"Um maximale Wirksamkeit zu erzielen, werden diese vier Politikbereiche am besten gleichzeitig und mit besserer internationaler Koordinierung verfolgt", hält El-Erian fest. Man stelle sich die Risiken vor, wenn es in allen vier Bereichen zu Verzögerungen kommt. Die Konsequenzen wären:
- eine unannehmbar hohe und anhaltende Inflation, die die Zentralbanken zwingt, kräftig auf die geldpolitischen Bremsen zu treten.
- Lieferprobleme und Fehlfunktionen am Arbeitsmarkt, die das tatsächliche und potenzielle Wachstum des Waren- und Dienstleistungsangebots einschränken.
- Finanzielle Instabilität, höhere Kreditkosten und erschwerter Zugang zu Finanzmitteln.
- Neue Covid-Varianten, die das wirtschaftliche und soziale Unbehagen verstärken.
Prioritäten besser in den Griff kriegen
In einer solchen Welt würden auch die Schuldenprobleme zunehmen und der Appetit auf fiskalische Anreize gerade im Kampf gegen den Klimawandel gering sein.
Den Entscheidungsträgern seien Gemengelage, Risiken und Dringlichkeit zum Handeln bewusst. Mohamed A. El-Erian sieht im G-20-Treffen eine gute Gelegenheit, die Prioritäten besser in den Griff zu bekommen. Er hofft auf eine Wiederholung des "Sputnik-Moments" vom Oktober 2008, als sich Regierungen, IWF und Weltbank in Washington versammelten und sich auf gemeinsame Schritte zur Lösung oder zumindest Entschärfung der Finanzkrise verständigten.
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