Aktive Zentralbanken, attraktive Märkte?

Giordano Lombardo, Group CIO von Pioneer Investments.
Giordano Lombardo, Group CIO von Pioneer Investments.

Die Zentralbanken versuchen derzeit eindeutig, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, um eine Inflation zu generieren. Ob sie damit erfolgreich sind, wird sich noch weisen, meint Giordano Lombardo, Group CIO von Pioneer Investments.

19.03.2015, 12:07 Uhr
Notenbanken

Redaktion: dab

"Ein kluger Mann schafft sich mehr Gelegenheiten, als er vorfindet."
Francis Bacon

"Der Geldregen der Zentralbanken hat die Finanzmärkte weiter beflügelt, insbesondere bei Anlagen mit hohem Risiko. In den meisten Bereichen geschieht dies allerdings unter schlechten realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wodurch die Kluft zwischen Finanzmärkten und wirtschaftlichen Fundamentaldaten noch grösser wird. Im Hinblick auf das Renditeniveau von Staatsobligationen wurde Neuland betreten. In der Eurozone werfen zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Rundschreibens 93% der Obligationen weniger als 2% Rendite ab1.

Der Handlungsspielraum für Anleger bleibt auf wenige Möglichkeiten beschränkt, selbst unter Berücksichtigung unterschiedlicher Szenarien. Zunächst müssen die Anleger evaluieren, ob die Weltwirtschaft langsam, aber unaufhaltsam in eine strukturelle Deflation schlittert oder ob wir es hier mit dem weniger verheerenden Phänomen einer Lowflation zu tun haben. Unseres Erachtens ist diese Frage wahrscheinlich eine der relevantesten, was die
Auswirkungen für Anleger betrifft. Wären wir der Ansicht, eine strukturelle Deflation sei das wahrscheinlichste Szenario, würden wir die oben erwähnten Zinssätze auf Staatsobligationen als attraktiv ansehen und die Situation bei anderen Anlageklassen schon als Blase.

Im Falle einer Lowflation (die wir für wahrscheinlicher halten) könnten sich die aktuellen Bewertungen von Anlagen mit hohem Risiko noch immer als nachhaltig erweisen, auch wenn mit sehr niedrigen potenziellen Renditen zu rechnen ist.

Unserer Einschätzung nach werden der fortgeführte Schuldenabbau, die Überalterung der Bevölkerung und eine immer ungleichere Einkommensverteilung die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten trüben.

Mit ihrer Politik versuchen die Zentralbanken derzeit eindeutig, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, um eine Inflation zu generieren. Ob sie damit erfolgreich sind, wird sich noch weisen einstweilen verschiebt sich die Schuldenlast jedenfalls aufgrund der durch diese Politik verursachten Finanzrepression2 von den Schuldnern (insbesondere dem öffentlichen Sektor) zu den Sparern (Privathaushalten).

Erstens müssen die Zentralbanken den wachsenden Deflationsrisiken entgegenwirken. Wahrscheinlich einzig und allein mit Ausnahme der USA leidet jede Region momentan an einer eigenen Art von "Inflationskrankheit". In Europa geht es um die Nivellierung innerer Ungleichgewichte, einer Nachwirkung der Krise (hohe Arbeitslosigkeit und hohe Arbeitskosten in Peripherieländern). In China besteht die "Krankheit" in den in vielen Sektoren bestehenden Überkapazitäten. Dadurch wird über Rohstoffexporte Deflation exportiert, unter anderem in Schwellenländer (Emerging Markets, EM). In Japan dauert der Kampf gegen die Deflation nun schon zwanzig Jahre, und sogar mit Quantitative Easing schafft es die Bank of Japan noch immer kaum, eine Inflation herbeizuführen. Die infolge von Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage sowie geopolitischen Faktoren gesunkenen Ölpreise machen die Sache in diesem Szenario noch komplizierter. Deshalb dürften unserer Einschätzung nach die Zinssätze noch lange auf niedrigem Niveau verharren.

Zweitens beobachten wir, dass sich die Fahrpläne der Zentralbanken entsprechend der unterschiedlich weit vorangeschrittenen wirtschaftlichen Erholung zunehmend auseinanderentwickeln. Auf der einen Seite werden die Federal Reserve und die Bank of England wahrscheinlich als Erste mit einer allmählichen Normalisierung beginnen, da die jeweiligen Volkswirtschaften mit einer soliden Leistung aufwarten. Auf der anderen Seite gehen wir davon aus, dass die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan vermutlich weiterhin unkonventionellere Wege beschreiten werden.

Bei Zinssätzen nahe null werden unseres Erachtens die Wechselkursbewegungen dafür ausschlaggebend sein, ob die unkonventionellen geldpolitischen Massnahmen in der Realwirtschaft ihre Wirkung entfalten können. Somit steigt das Risiko eines Währungskriegs und damit einhergehend jenes einer neuen Welle an Marktvolatilität.

Zugleich ist auch eine aktivere Rolle der Staaten in Bezug auf Reformen eine weitere Variable, die unserer Einschätzung nach die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich ziehen dürfte. Es wird für uns nämlich immer klarer, dass geldpolitische Massnahmen allein zur Ankurbelung des Wachstums nicht ausreichen dürften, besonders wenn die Liquidität der Zentralbanken sich nicht richtig auf die Realwirtschaft auswirkt. Beim Drahtseilakt zwischen wachstumsfördernden (keynesianischen) Massnahmen und Strukturreformen wird der Art und Qualität der politischen Führung eine Schlüsselrolle zukommen, was die Implikationen für die Anleger anbelangt. Angesichts dessen räumen wir den Schwellenländern Indien, Indonesien und China bessere Erfolgschancen ein als anderen (z. B. Brasilien oder Russland). Die Lage in der Eurozone ist komplizierter, und der Übergang zu einem solideren Wachstum ist noch lange nicht abgeschlossen. Es fehlt nicht nur eine gemeinsame Vision im Hinblick auf mögliche Lösungen, sondern es besteht auch keine Einigkeit über die Art der Probleme selbst (z. B. in Bezug auf die Sparpolitik wie im Fall Griechenlands). Bis jetzt steht der Euro als politisches Projekt nicht zur Debatte was die relative Ruhe an den Finanzmärkten trotz der griechischen Krise erklärt. Wir glauben jedoch, dass die mangelnde Flexibilität der europäischen Entscheidungsträger einen fruchtbaren Boden für eurofeindliche Parteien schaffen könnte; dies wäre ein weiterer mittelfristig destabilisierender Faktor.

Was die Auswirkungen auf die Anleger betrifft, dürfte eine zunehmend politikabhängige Welt unserer Einschätzung nach unter politischen Fehlentscheidungen und volatilen Ergebnissen zu leiden haben.
Wir rechnen nicht damit, dass Inflation das grösste Schreckgespenst bei Obligationen in voraussehbarer Zukunft ein Thema wird; im Gegenteil, es könnten sogar strukturelle Deflationskräfte zu wirken beginnen, wenn ihnen nicht mit aggressiveren politischen Massnahmen entgegengetreten wird.

Die übermässige Nachfrage nach Obligationen (vonseiten der Zentralbanken und Institutionen, infolge strengerer Vorschriften) könnte die traditionelle Wechselwirkung zwischen Zinssätzen und den wirtschaftlichen Fundamentaldaten noch stärker schwächen, auch in Regionen mit besseren Konjunkturaussichten wie den USA. Unserer Einschätzung nach würde dies die Anlageerträge sehr niedrig halten, in einer Art "Euthanasie des Rentiers" (Keynes in der "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes"). Dies würde sowohl für Klein- als auch institutionelle Anleger gelten. Letztere werden sich vermutlich zu einer Revision ihrer bestehenden Verpflichtungen gegenüber ihren eigenen Anlegern gezwungen sehen.
Daher sehen wir für Anleger nur noch eine einzige Möglichkeit: das Risiko bei Anlagemöglichkeiten zu steigern, die leider nach fünf Jahren Hausse nicht besonders attraktiv sind, bei denen sie aber für ihr Risiko immer noch (bescheiden) entschädigt werden. Wir glauben, dass die Jagd nach Rendite, die den Markt in den vergangenen fünf Jahren geprägt hat, weitergehen und auch den institutionellen Bereich erfassen wird. Daher werden Anlageklassen vermutlich auch in Zukunft nach ihrer "Ertragsprämie" bewertet. Angesichts dieser Ertragsperspektiven werden europäische Aktien und andere Bereiche des Kreditmarktes (z. B. Schuldtitel aus Schwellenländern) auch weiterhin attraktiv bleiben.

Des Weiteren wird durch die unterschiedlichen Strategien der Zentralbanken und verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungen geschaffenen Relative-Value-Chancen unseres Erachtens bei der Wertschöpfung eine besondere Bedeutung zukommen (u. a. innerhalb der Renditekurve bzw. Renditekurve-übergreifend sowie auf Sektor-, Länder- und Währungsebene, um nur einige Bereiche zu nennen). In diesem Umfeld sehen wir das Alpha3 als dominierende Quelle der Gesamtrendite. Im oben beschriebenen Szenario (Schuldenabbau, immer langsameres Wachstum und Risiko politischer Fehlentscheide) wird das Risikomanagement ebenso wichtig wie die Suche nach Erträgen, wenn nicht gar wichtiger ganz zu schweigen vom steigenden Marktliquiditätsrisiko, da weniger liquide Instrumente wie Schuldtitel aus Schwellenländern, Darlehen oder High-Yield-Obligationen in den Anlegerportfolios immer mehr Platz einnehmen. Somit kommen wir zu dem abschliessenden Befund, dass die Finanzmärkte heute weniger Chancen als früher bieten doch so wie der Kluge im Francis-Bacon-Zitat werden wir uns unsere Chancen im Alpha-Bereich selbst holen. Gleichzeitig behalten wir einstweilen einen konservativen Ansatz bei, halten mit unseren Strategien viel Liquidität und sichern Anlagen mit hohem Risiko teilweise gegen Tail-Risiken ab."

1 Quelle: Bloomberg, auf Grundlage des Staatsobligationenuniversums der Eurozone (yield to worst case) am 15. Februar 2015. Investment-Grade-Bewertungen und alle Laufzeiten einberechnet.
2 Der Begriff "Finanzrepression" wurde in den Siebzigerjahren eingeführt und bezieht sich auf eine Reihe an Massnahmen zum Abbau der Staatsschulden. Im hiesigen Fall meinen wir damit die von den Zentralbanken festgesetzten Null- oder gar Negativzinsen.
3 Alpha misst die risikobereinigte Performance und stellt die Überrendite im Vergleich zur Rendite der Benchmark dar.

Fondmanager Anthony Bailly von Rothschild & Co Asset Management. (Bild pd)

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