10.06.2025, 10:08 Uhr
«US-Staatsanleihen gelten eigentlich als sicherer Hafen für Investorinnen und Investoren. Angesichts der Zoll-Drohungen und geopolitischen Anspannung werden sie nun aber zum strategischen Hebel: Wer den USA Geld...
«Jeder weitere Monat, in dem Investitionsentscheidungen ausbleiben oder verschoben werden, schmälert die Wachstumsaussichten der US-Wirtschaft», schreibt Nicolas Jullien, Global Head of Fixed Income bei Candriam.
Nach den Verlusten bei risikoreichen Anlagen und sogar bei US-Staatsanleihen infolge der Ankündigung eines deutlich verschärften Zollregimes am «Liberation Day» kehrte wieder etwas Ruhe an den Märkten ein. US-Staatsanleihen machten einen Grossteil ihrer Verluste wett und auch die Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen gingen zurück. Sie erreichten jedoch nicht ganz das Niveau von Ende März. Der US-Dollar konnte sich zwar nicht erholen, stabilisierte sich nach einem Verlust von rund 4 Prozent gegenüber einem globalen Währungskorb bis Mitte April jedoch wieder.
Hauptgründe für das erneute Kaufinteresse der Anleger, waren gemäss Jullien eine leicht abgeschwächte Rhetorik der Regierung, die spürbar gestiegene Bedeutung von Finanzminister Bessent im Kabinett, die Bekanntgabe umfangreicher Ausnahmen von den neuen Zollregelungen sowie die Hoffnung auf bilaterale Abkommen. Die politische Unsicherheit bleibe jedoch historisch betrachtet aussergewöhnlich hoch und stelle Verbraucher und Unternehmen vor grosse Herausforderungen. «Jeder weitere Monat, in dem Investitionsentscheidungen ausbleiben oder verschoben werden, schmälert die Wachstumsaussichten der US-Wirtschaft», schreibt der Global Head of Fixed Income bei Candriam.
Euro-Anlagen haben zwar von der Umschichtung aus Dollar-Anlagen profitiert, allerdings handle es sich hierbei «eindeutig nur um eine relative Präferenz». «Die Aussichten für die Wirtschaft der Eurozone sind zweifellos trüb und angesichts ihrer zentralen Rolle im Welthandel sogar zunehmend unsicher. Vor diesem Hintergrund bleiben wir bei unserer verhalten positiven Einschätzung von Staatsanleihen der Eurozone mit längerer Laufzeit und setzen weiterhin auf eine vorsichtige Positionierung im Bereich Kreditrisiken», erläutert der Experte.
Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen hat die zu Monatsbeginn erlittenen Verluste wieder ausgeglichen und im April nahezu auf dem gleichen Niveau wie Ende März abgeschlossen. Die Einführung von Zöllen dürfte das US-Wachstum deutlich negativ beeinflussen. Während sich die Auswirkungen auf die Inflation schwerer abschätzen liessen, könnten die Nachfragerückgänge letztlich stärker ins Gewicht fallen als die unmittelbaren Preiseffekte.
Da sich in den sogenannten «weichen» Konjunkturdaten bereits eine gewisse Schwäche zeige und Investoren erwarteten, dass sich dies auch in den «harten» Wirtschaftsdaten widerspiegeln werde, bestehe für Long-Positionen das Risiko von Kursverlusten durch positive Überraschungen bei den Wirtschaftsdaten.
Ein solches Szenario zeigte sich bereits teilweise beim überraschend starken ISM-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe. Darüber hinaus bewegten sich – anders als noch im ersten Quartal – beide Komponenten der zehnjährigen Anleiherendite, also Realrenditen und Breakevens, zuletzt im Gleichklang. Dies deute auf zunehmende Sorgen vor einem Rezessionsszenario hin. Insgesamt liegen die Renditen weiterhin auf einem erhöhten Niveau im Vergleich zu dem, was als «neutraler» Zinssatz angesehen werde. «Es besteht vermutlich noch weiteres Abwärtspotenzial für den von den Märkten eingepreisten Endzinssatz», schreibt Jullien.
Der April habe Anlegern eine klare Botschaft vermittelt: Anders als früher können die Aktienmärkte nicht mehr darauf hoffen, dass die US-Regierung im Fall von Kursverlusten stützend eingreift. Diese Erwartung wurde oft als «Trump Put» bezeichnet. Für den Markt der US-Staatsanleihen scheine eine solche Unterstützung jedoch weiterhin zu bestehen. Niedrigere Renditen stehen offenbar ganz oben auf der Prioritätenliste der US-Regierung. Trotz teils widersprüchlicher Aussagen gebe es Instrumente, mit denen das US-Finanzministerium gezielt den Druck auf die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe erhöhen kann, selbst wenn dies mit höheren Renditen bei anderen Laufzeiten einhergehe.
«Es sei jedoch daran erinnert, dass Euro-Anleger die Entwicklung der US-Renditen nicht isoliert betrachten sollten. Wir sind gegenüber dem US-Dollar im Vergleich zum Euro weiterhin skeptisch eingestellt. Zudem führt der deutliche Unterschied bei den kurzfristigen Zinssätzen dazu, dass Anleger bei der Währungsabsicherung einen erheblichen Renditeverzicht in Kauf nehmen müssen. So wirft eine auf Euro abgesicherte zehnjährige US-Staatsanleihe derzeit deutlich weniger Rendite ab als eine zehnjährige Bundesanleihe», erläutert der Spezialist.
Die Renditen von Staatsanleihen aus den Kernländern der Eurozone haben den deutlichen Anstieg nach der Ankündigung der deutschen Regierung, fast eine Billion Euro in Infrastruktur und Verteidigung zu investieren, inzwischen weitgehend wieder abgegeben. Die Wachstumsaussichten für Europa seien schwach und haben sich sogar weiter eingetrübt. Zudem werde die fiskalische Unterstützung voraussichtlich erst ab 2026 spürbare Wirkung zeigen. Die Inflationserwartungen dürften hingegen künftig weniger unterstützend für die Anleihemärkte wirken. Eine Wiederbelebung der Inflation erwartet Candriam nicht. Der Prozess der Disinflation sei bereits weit fortgeschritten, sodass hier nur noch begrenztes weiteres Potenzial bestehe.
Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, zeigte sich auf der Sitzung im April sowohl hinsichtlich Wachstum als auch Inflation zurückhaltend. Das macht die Geldpolitik weiterhin zu einem unterstützenden Faktor. «Kurzfristig rechnen wir zudem mit weiteren technischen Unterstützungsfaktoren: Die nationalen Schuldenagenturen haben bereits einen überproportionalen Teil ihres jährlichen Finanzierungsbedarfs gedeckt, das Nettoangebot fällt im Mai weniger ins Gewicht und auch die Marktstimmung sollte unterstützend wirken. Aufgrund der guten Entwicklung in den vergangenen Wochen sind wir jedoch insgesamt etwas weniger optimistisch, da sich die Kurse den fairen Bewertungen annähern.»
Candriam bleibt bei seinem Engagement in Euro-Unternehmensanleihen weiterhin vorsichtig. Die Auswirkungen von Zöllen sowie möglichen Verhandlungsergebnissen seien nach wie vor ungewiss. Zwar haben sich die Spreads zuletzt wieder etwas verengt, da die Rhetorik im Handelsstreit aktuell nachgelassen hat. «Wir rechnen jedoch künftig mit stärkeren Auswirkungen auf Unternehmen und Verbraucher. In der laufenden Berichtssaison betonen viele Unternehmen die mangelnde Planungssicherheit und verzichten teilweise sogar ganz auf einen Ausblick. Im Markt für Unternehmensanleihen bevorzugen wir nach wie vor nachrangige Finanzanleihen gegenüber Hochzinsanleihen, da sie weniger stark von den globalen Handelsbedingungen abhängig sind», schreibt der Global Head of Fixed Income bei Candriam.
In letzter Zeit begeben US-Unternehmen vermehrt Anleihen am Euro-Anleihenmarkt. Vermutlich wollen sie so von den niedrigeren Finanzierungskosten profitieren. Ob dieser Trend anhält, bleibe abzuwarten. Er sollte im Hinblick auf die Risiken und Chancen, die ein Engagement in Unternehmen mit überwiegend US-amerikanischen Aktivitäten in einem Portfolio mit Euro-Unternehmensanleihen mit sich bringe, genau beobachtet werden.
«Zudem sind wir US-Unternehmensanleihen gegenüber deutlich negativer eingestellt als Euro-Unternehmensanleihen. Obwohl Europa stark von globalen Handelsbedingungen abhängig ist, fühlen wir uns mit dem aktuell im US-Kreditmarkt eingepreisten Risiko weniger wohl», schreibt der Experte. Die Risikoprämien im Investment-Grade-Bereich liegen nahezu auf dem gleichen Niveau wie in Europa, während in den USA klare Rezessionsrisiken vorhanden seien.
Besonders im Hochzinssegment erwartet Candriam zusätzlichen Druck durch drei «Blue Chip»-Unternehmen, die von einer Herabstufung bedroht sind: Ford, Boeing und Warner. Dies könnte die Marktliquidität belasten und den Verkaufsdruck verstärken. Zwar würde der Eintritt dieser grossen Unternehmen in das Hochzinssegment dessen durchschnittliche Liquidität und Qualität möglicherweise erhöhen. Candriam geht jedoch nicht davon aus, dass die gestiegene Marktgrösse von einer entsprechend höheren Nachfrage nach Hochzinsanleihen kompensiert wird. Somit könnte sich das Gleichgewicht deutlich in Richtung eines Überangebots bei zu geringer Nachfrage verschieben. Zumal viele der aktuellen Investoren dieser potenziell herabgestuften Emittenten gezwungen sein werden, zu verkaufen. Dies dürfte wiederum die Nachfrage nach anderen Emittenten zusätzlich verdrängen.