29.11.2024, 13:56 Uhr
«Die Inflation im Euroraum steigt, aber die Daten ermöglichen der EZB einen geldpolitischen Kurswechsel», schreibt Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price in seinem aktuellen Marktkommentar.
Aufgrund schwacher Wirtschaftsdaten hat die Europäische Zentralbank zum dritten Mal die Zinsen gesenkt. Weitere Schritte dürften bald folgen – auch weil die Inflation noch stärker als gedacht gefallen ist.
Die Euro-Währungshüter beschlossen, die Leitzinsen wie schon im Juni und September um einen Viertelprozentpunkt zu senken. Der für die Finanzmärkte relevante Einlagesatz geht von 3,5 auf 3,25 Prozent zurück. Diesen Zins erhalten Geschäftsbanken für überschüssiges Kapital, das sie bei der Notenbank anlegen.
Die aktuellen Daten zur Inflation zeigten, dass der Rückgang der Inflationsrate gut voranschreite, heisst es. Die Notenbanker weisen auf schwächer als erwartet ausgefallene Konjunkturdaten hin. Ausserdem blieben die Finanzierungsbedingungen trotz der dritten Zinssenkung «restriktiv».
Eine erneute Anpassung der Zinsen im Oktober galt bis vor Kurzem noch als unwahrscheinlich. Doch der Rückgang der Inflation fiel im September stärker aus als erwartet: Das Statistikamt Eurostat gab die Teuerungsrate am Donnerstag mit 1,7 Prozent an und korrigierte sich somit leicht nach unten. Ausserdem äußern sich Unternehmen pessimistischer über die Aussichten für die Konjunktur.
«Alle Informationen, die wir in den vergangenen fünf Wochen erhalten haben, zeigen in dieselbe Richtung: nach unten», sagte EZB-Chefin Christine Lagarde. Die 26 Mitglieder des EZB-Rats hätten deshalb einstimmig entschieden, die Leitzinsen abzusenken.
Die EZB peilt zwei Prozent Inflation an. Sie sieht ihr Ziel aber noch nicht als vollständig erreicht an, weil die Teuerung nach einhelligen Prognosen von Experten und rund um den Jahreswechsel erneut über zwei Prozent steigen wird. Auch die EZB bekräftigte, dass dies vorübergehend der Fall sein wird. Die Inflation werde im Laufe des kommenden Jahres auf zwei Prozent sinken, sagte Lagarde.
Die bisherigen Fortschritte auf dem Weg zum Inflationsziel und die Entwicklung der Konjunktur machen indes weitere Zinsschritte wahrscheinlich. Analysten hatten ihre Prognosen über das Tempo der Senkungen bereits vor dem Zinsentscheid angepasst. Deshalb kommt der jetzige Beschluss nicht überraschend.
Der EZB-Rat selbst macht auch diesmal keine Angaben zum weiteren Kurs. «Angesichts der Unsicherheiten, die vor uns liegen, ist dies vernünftig», sagte Mark Wall, EZB-Beobachter der Deutschen Bank. «Aber die Chancen stehen gut, dass die heutige Entscheidung einen Wendepunkt hin zu einer schnelleren Normalisierung der Geldpolitik darstellt.»