Droht der Börsen-Crash im Herbst?

Ein Grossteil der schwarzen Tage an den Börsen fiel jeweils in den Herbst. (Bild: Shutterstock.com/winyuu)
Ein Grossteil der schwarzen Tage an den Börsen fiel jeweils in den Herbst. (Bild: Shutterstock.com/winyuu)

Im Herbst könnten die Aktienmärkte einbrechen. Historisch waren das stets die schwächsten Monate und 2020 scheint einiges dafür zu sprechen, meint Joseph Amato von Neuberger Berman. Zumal eine weitere Corona-Welle drohe, die US-Wahlen bevorstehen und die EU mit Grossbritannien im Streit ist.

11.09.2020, 11:21 Uhr

Redaktion: rem

Die Zahlen liegen vor: Die US-Wirtschaft war seit Beginn der Erhebungen noch nie so schwach wie im 2. Quartal 2020. Und doch stiegen S&P 500 und Nasdaq auf neue Hochs. Mittlerweile hat der Nasdaq seit Jahresbeginn um etwa ein Drittel zugelegt. Als die Kurse letzte Woche dann fielen, fragten sich die Anleger, ob sich der Markt jetzt wieder an den wirtschaftlichen Realitäten orientiert – oder folgt die Wirtschaft vielleicht dem Markt?

Oft wiederholt sich Geschichte

"Die Vergangenheit könnte durchaus zur Vorsicht mahnen", sagt Joseph Amato, Chief Investment Officer Equities beim US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman. September und Oktober waren oft die schwächsten Monate für US-Aktien. Auch wenn der S&P 500 seit 1900 in keinem Monat stärker gefallen ist als im November 1929 und im April 1932, waren zweistellige Verluste am häufigsten im Oktober zu beobachten, gefolgt vom September. In acht von 121 Jahren verloren Aktien im Oktober 10% und mehr und seit 1900 büssten sie durchschnittlich 0,29% ein. Die schlimmsten Tage der Finanzkrise 2008/2009, der Schwarze Montag 1987 und die Bankenkrise 1907 – alle fielen in den Oktober.

Tatsächlich ist der Herbst für die Finanzmärkte also keine einfache Zeit – und 2020 könnte das erst recht so sein. "Noch wissen wir nicht, wie die Wahlen in den USA ausgehen werden, aber schon jetzt könnte die amerikanische Politik die Märkte irritieren", meint Amato. Bei den Verhandlungen über ein neues Konjunkturpaket liegen Demokraten und Republikaner noch etwa 1 Bio. US-Dollar auseinander, sodass vielleicht keine Einigung gelingt. Am Monatsende droht ein Verwaltungsstillstand der Regierung, ein sogenannter Government Shutdown. Das macht die Lage nicht einfacher und könnte für neuen Streit sorgen.

In Japan wiederum ist nach der langen Zeit der Stabilität und des Fortschritts unter Premierminister Shinzō Abe unklar, wer jetzt die Führung übernimmt. Und in Europa ist es alles andere als sicher, ob sich Grossbritannien und die EU bis Ende Oktober auf eine Neuregelung ihrer Beziehungen nach dem Brexit verständigen. Die schwierigen Themen heissen Subventionen, einheitliche Regulierungen und Fischereirechte.

Nächste Risiken stehen vor der Tür

Amato erinnert auch daran, dass das Coronavirus noch nicht besiegt ist. Der Sommer brachte bereits eine zweite Infektionswelle, als die Shutdowns gelockert wurden. Die nächsten Risiken lägen auf der Hand: Das Ende der Sommerferien an den amerikanischen Schulen und Universitäten, die Rückkehr weiterer Menschen in ihre Büros, kälteres Wetter und Familienbesuche – insbesondere in den USA zu Thanksgiving am 26. November – sowie zu Weihnachten. Andererseits wüssten Wirtschaft und Märkte die Fortschritte bei der Entwicklung von Impfstoffen und Corona-Therapien durchaus zu schätzen.

Erschwert wird die Corona-Krise dadurch, dass das Kurzarbeitergeld ausläuft und die gravierenden langfristigen Folgen von Covid-19 für den Arbeitsmarkt immer deutlicher werden. "Es ist mehr als ein vorübergehender Schock, wie die anhaltend vielen Erstanträge auf Arbeitslosengeld in den USA und die jüngste Konsumzurückhaltung selbst bei Lebensmitteln und anderen Basisgütern zeigen", so Amato.

Bewertungen nicht so verrückt wie vor 20 Jahren

Vielleicht bleibe deshalb nicht mehr viel Zeit, um sich über den besten August des S&P 500 seit 1984 zu freuen, als der Index um 7% zulegte. Doch der Ausverkauf letzte Woche sei vielleicht der erste Vorbote für einen unruhigen Herbst. Dabei lassen sich laut dem CIO Equities durchaus Argumente für die hohen Kurse finden. Sobald ein Impfstoff existiert, könnte sich die Weltwirtschaft rasch erholen und die Notenbanken dürften noch länger auf eine expansive Geldpolitik setzen, meint er. Auch der schwache US-Dollar sei günstig, vor allem für die Märkte ausserhalb der USA.

An der Spitze der Kursrallye standen grosse Technologiewerte, die von Langfristtrends profitieren. Wenn überhaupt, wurden diese Trends durch den Wechsel ins Homeoffice und die verstärkten Onlinekäufe forciert. "Die Bewertungen sind heute allerdings nicht so verrückt wie zu Zeiten der Dotcom-Blase vor 20 Jahren: Microsoft mag jetzt zum 35-Fachen der für das nächste Jahr erwarteten Gewinne gehandelt werden, aber 1999 und 2000 betrug das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) etwa 65. Das KGV von Cisco Systems, einem Highflyer jener Tage, war damals sogar auf fast 130 gestiegen", erinnert sich Amato.

Grosse Technologieunternehmen als Sündenböcke

Anleger sollten auch nicht vergessen, , so Amato, dass die grossen Technologieunternehmen, deren Aktien in der letzten Woche so stark einbrachen, von Demokraten und Republikanern gleichermassen jetzt zu Sündeböcken erklärt wurden. Der Vorsitzende des Unterausschusses für Kartell-, Handels und Verwaltungsrecht im US-Repräsentantenhaus deutete an, dass man nächsten Monat die Ergebnisse zur dominierenden Marktstellung von Amazon, Apple, Facebook und Google vorlegen wolle – ein weiterer Stolperstein für die Märkte in diesem Herbst.

"All dies könnte erklären, weshalb die CBOE-Volatilitätsindizes des S&P 500 und der Nasdaq trotz der neuen Kurshochs ebenfalls gestiegen sind. Die Investoren scheinen sich in den nächsten Wochen gegen Volatilität absichern zu wollen. Den Märkten steht vielleicht kein Absturz bevor, aber der Herbst steht uns bevor – und es wird ein ereignisreicher Herbst", meint Amato.

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