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Das BIP-Wachstum im Euroraum könnte 2022 trotz Ukraine-Krieg über 3% liegen

Wenn sich die Spannungen auf dem Energiemarkt nicht wesentlich verschärfen, könnte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Euroraum 2022 immer noch über 3% liegen. (Bild: Shutterstock.com/shuttersv)
Wenn sich die Spannungen auf dem Energiemarkt nicht wesentlich verschärfen, könnte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Euroraum 2022 immer noch über 3% liegen. (Bild: Shutterstock.com/shuttersv)

Die ökonomischen Folgen des Ukraine-Krieges sind derzeit noch nicht konkret absehbar, da der Konflikt nach wie vor tobt. Expertinnen von Candriam versuchen dennoch, Antworten auf drängende Fragen zu geben und Szenarien aufzuzeigen. So haben sie unter anderem die Positionen in Rohstoffen – im Bergbau und im US-Ölsektor – aufgestockt und ihr Engagement in Finanztiteln reduziert.

21.03.2022, 16:29 Uhr

Redaktion: rem

Was bedeuten die aktuellen Geschehnisse im Ukraine-Konflikt aus ökonomischer Sicht und mit Blick auf Anlagethemen? Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset, und Florence Pisani, Global Head of Economic Research bei Candriam, fassen die Lage und die wichtigsten Ereignisse für Investoren zusammen. Sie erläutern deren Bedeutung für die Wirtschaft und betrachten mögliche Szenarien und deren Folgen.

Wo stehen wir?

Die russische Wirtschaft dürfte von den Sanktionen stark betroffen sein: Zusätzlich zu einem möglichen Vertrauensschock hat die russische Zentralbank (Central Bank of Russia, CBR) ihren Leitzins auf 20% (von 9,5%) angehoben, um den Abzug von Einlagen zu verlangsamen und der Abwertung des Rubels (RUB) entgegenzuwirken – der RUB hat seit Mitte Februar gegenüber dem Dollar bereits um rund 50% nachgegeben. Die CBR hat auch beschlossen, einige Kapitalverkehrskontrollen einzuführen und insbesondere Ausländern den Verkauf von Wertpapieren vorübergehend zu verbieten.

Der Krieg in der Ukraine wird sich auf das weltweite Wachstum auswirken, da die Rohstoffpreise in die Höhe geschnellt sind, und das nicht nur für Energie, sondern auch für Lebensmittel und Metalle, aber auch wegen der erneuten Spannungen in den Lieferketten: Die Ukraine liefert mehr als 90 Prozent des US-amerikanischen Neons in Halbleiterqualität, während mehr als ein Drittel des Palladiums, eines seltenen Metalls, das ebenfalls für Halbleiter verwendet wird, aus Russland bezogen wird. Einige Länder, insbesondere die Länder Afrikas und des Nahen Ostens, die von Russland und der Ukraine bei Weizen abhängig sind, werden wahrscheinlich stärker betroffen sein als andere. "Wir sind jedoch nach wie vor der Ansicht, dass die Erholung der Weltwirtschaft von der Pandemie nicht völlig zum Erliegen kommen wird", so die Expertinnen von Candriam.

Makroszenario für den Euroraum

In Europa sind ihrer Einschätzung nach die Risiken für das Wachstum eher negativ, und ein Worst-Case-Szenario könne nicht ausgeschlossen werden, bei dem eine vollständige Einstellung der russischen Gasversorgung eine Rezession auslösen würde. Bislang sind die Sanktionen jedoch eng gefasst, um die europäischen Energieimporte aus Russland nicht direkt zu beeinträchtigen. So hat Italien bereits ein 8-Milliarden-Euro-Hilfspaket zur Entlastung des Energie- und Automobilsektors beschlossen, Deutschland ein 13-Milliarden-Euro-Paket, um die Haushalte bei der Bewältigung des Energiepreisanstiegs zu unterstützen, und Frankreich hat eine vorübergehende Begrenzung der regulierten Energiepreiserhöhungen ab Ende 2021 beschlossen. "Wenn sich die Spannungen auf dem Energiemarkt nicht wesentlich verschärfen, könnte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Euroraum 2022 immer noch über 3% liegen", meinen Nadège Dufossé und Florence Pisani. In diesem Umfeld werde die EZB wahrscheinlich an ihrem Plan festhalten und ihre lockere Geldpolitik behutsam aufgeben.

Die US-Wirtschaft ist weniger stark von Russland abhängig, und der Aufschwung werde wahrscheinlich nicht aus dem Rhythmus geraten. Zwar werde die höhere Inflation den privaten Konsum belasten, doch würden überschüssige Ersparnisse und höhere energiebezogene Investitionen für einen gewissen Puffer sorgen. Bei einer Wirtschaft mit maximaler Beschäftigung und einer hohen Inflation werde die Federal Reserve zu einer neutralen Haltung tendieren und die Zinsen bis Ende 2023 mehrmals in Richtung 2,25% anheben.

Eingepreiste Risiken auf den Finanzmärkten

Die Volatilität der Aktien, insbesondere in Europa, erreicht Höchststände, was logischerweise den Stress widerspiegele, der mit der totalen Invasion der Ukraine durch Russland verbunden ist. Ein Ereignis, das Anfang Februar noch unwahrscheinlich schien. "Was die absolute Höhe der Volatilität anbelangt, so haben wir noch nicht die Spitzenwerte erreicht, die man aus grossen Krisen kennt und die ein Zeichen für die Kapitulation der Finanzmärkte wären", so die Expertinnen.

Die Aktienindizes haben bereits seit Anfang Jahr Korrekturen erfahren. Am 15. März hatte die Eurozone einen Rückgang von etwa 15% zu verzeichnen, mehr oder weniger im Einklang mit den amerikanischen Märkten und den Schwellenländern. Der FTSE100 (Vereinigtes Königreich) ist der widerstandsfähigste Index mit einem Rückgang von nur etwa 5%. Die Zinsen sind nach wie vor extrem volatil. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine fielen die Zinsen stark, um dann im Anschluss an die EZB-Sitzung wieder kräftig anzusteigen, als Reaktion auf den zunehmenden Inflationsdruck und die Entschlossenheit der Zentralbanken zur Inflationsbekämpfung. Schliesslich haben Rohstoffe, die der grösste Ansteckungsfaktor dieser Krise für die Volkswirtschaften sind, neue Höchststände erreicht (Ölpreis, Erdgas in Europa, Landwirtschaft, Störung des Nickelmarktes...), bevor sie diese Woche wieder zurückfielen. Die Volatilität und die Gegenbewegungen machen es laut Dufossé und Pisani schwierig, diesen Markt zu lesen und zu antizipieren.

Welches Szenario in Betracht ziehen?

Wenn dieser Konflikt schnell gelöst werde und die Rohstoffpreise weiter sinken, könnte sich der gesamtwirtschaftliche Schaden in Grenzen halten. Die Märkte könnten auf ihren Wachstumskurs zurückkehren: Der Inflationsdruck würde zurückgehen und das wirtschaftliche Umfeld würde sich verbessern. Die Zentralbanken könnten ihren Normalisierungskurs gelassener verfolgen. In diesem Zusammenhang könnten nach Ansicht der Expertinnen die "wertvollsten" Regionen wie Europa und Japan am meisten von dieser Erholung profitieren.

"Umgekehrt könnte die Verschlechterung der gegenwärtigen Situation die Wachstums- und Inflationsprognosen etwas mehr belasten und das Risiko einer Stagflation verstärken, die schliesslich zu einer Rezession führt. In diesem Zusammenhang sollte die Allokation in risikoreiche Vermögenswerte reduziert werden, während die Renditekurve sich abflachen sollte, bevor sie sich umkehrt. Das Ergebnis bleibt also binär und für die Anleger unangenehm. Dies erklärt auch, warum die Abflüsse aus Aktien bisher begrenzt sind", erläutern Dufossé und Pisani. Bewaffnete Konflikte hätten keine dauerhaften und signifikanten Auswirkungen auf die Märkte, es sei denn, sie führten zu einer Energiekrise... was heute der Fall sei.

Portfolios angepasst

"Seit Anfang Februar haben wir unser Engagement in Aktien reduziert, indem wir die Absicherung in unseren Portfolios erhöht haben. Wir steuern das Aktienexposure aktiv, indem wir uns auf einen potenziell binären Ausgang der Krise einstellen und dabei sowohl Aufwärts- als auch Abwärtsrisiken berücksichtigen. Wir haben unsere Investments in Gold und in bestimmten Währungen wie dem USD, dem Yen und dem Schweizer Franken erhöht. Wir haben ausserdem die Positionen in Rohstoffen (Bergbau und US-Ölsektor) aufgestockt und unser Engagement in Finanztiteln, dem seit Anfang Februar am stärksten betroffenen Sektor, reduziert. Wir behalten einen flexiblen und pragmatischen Ansatz bei, bis wir mehr Klarheit über den Ausgang des Krieges haben", sagen die beiden Expertinnen.

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