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"Dieser US-Straffungszyklus ist anders"

Die Fed wird die Zinsen nicht so stark anheben, wie die Finanzmärkte es erwarten. (Bild: Shutterstock.com/orhan_cam)
Die Fed wird die Zinsen nicht so stark anheben, wie die Finanzmärkte es erwarten. (Bild: Shutterstock.com/orhan_cam)

Die Marktteilnehmer unterschätzen, wie hoch die Zinsen steigen werden, sagt Russell Silberston von Ninety One. Das bedeute auch, dass die Anleiherenditen viel stärker steigen werden und die Anleihekurse entsprechend tief fallen.

21.01.2022, 05:00 Uhr

Redaktion: maw

Vor vierzehn Jahren hat die Finanzkrise die Weltwirtschaft überrollt und zu Zinssenkungen rund um den Globus geführt. Erst im Dezember 2015 hob die US-Notenbank Fed die Zielrate um 0,25% auf 0,5%. Es dauerte jedoch noch ein Jahr, bis der Zyklus der Zinserhöhungen mit einer Anhebung um weitere 25 Basispunkte im Dezember 2016 ernsthaft begann.

Es folgte quartalsweise eine Reihe von Anhebungen um 25 Basispunkte, welche die Fed Funds Rate bis im Dezember 2018 auf 2,5% steigen liess. Innerhalb von lediglich sieben Monaten sah sich die Fed jedoch gezwungen, diese Straffungen teilweise rückgängig zu machen. Der Leitzins wurde dann in der zweiten Jahreshälfte 2019 auf 1,75% angepasst, da die Finanzmärkte trotz der guten Konjunkturentwicklung sehr volatil waren.

"Nun da die US-Notenbank erneut am Anfang eines Straffungszyklus steht, wiederholt sich die Geschichte an den Finanzmärkten", sagt Marktstratege Russell Silberston von Ninety One. Es werde davon ausgegangen, dass die Fed die Leitzinsen nur auf rund 1,75% anheben kann. Das sei weit entfernt von dem wirtschaftlich neutralen Zinsniveau. "Der Wunsch der Federal Reserve, die Bilanz zu verkleinern, steht weiteren Zinserhöhungsschritten entgegen", so Silberston.

Werde auf die sehr hohe Inflation geblickt, dann erstaune die Zuversicht an den Finanzmärkten bezüglich der Zinsentwicklung. Die Antwort für die relative Gelassenheit liege in der Bilanz der Fed begründet und besonders in der Höhe der Überschussreserven, die die Geschäftsbanken dort angelegt haben.

Quantitative Straffung nach Plan

Wenn eine Zentralbank die Geldpolitik lockert (Quantitative Easing), schafft sie sich selbst Reserven und kauft damit Staatsanleihen und andere Vermögenswerte. Diese stehen als Aktiva in ihrer Bilanz. "Das Geld, das sie für den Kauf dieser Vermögenswerte geschaffen hat, landet im Bankensystem, das wiederum als Überschussreserven zur Zentralbank zurückfliesst", erklärt der Marktstratege. Diese stellen wie jede Bankeinlage eine Verbindlichkeit für die Zentralbank dar. Buchhalterisch gesehen sind also sowohl die Aktiva als auch die Passiva der Zentralbank gestiegen.

Bei der quantitativen Straffung (Quantitative Tapering) kehrt sich der Prozess um: Die Zentralbank verkauft entweder eine Anleihe oder lässt sie fällig werden, wodurch sich die Aktivseite der Bilanz verkürzt. Als Folge schrumpfen auch die Verbindlichkeiten der Zentralbank, da die Überschussreserven der Geschäftsbanken im gleichen Masse sinken.

Als die Federal Reserve das letzte Mal mit dem Tapering begann, machten sie zwei Schätzungen betreffend der Verbindlichkeiten: Erstens, wie viele Banknoten und Münzen benötigt werden, und zweitens, wie viele Reserven die Geschäftsbanken benötigen. Ersteres sei ziemlich einfach zu berechnen: "Man nimmt den aktuellen Stand und geht davon aus, dass dieser mit dem nominalen BIP wächst", erklärt Silberston weiter.

Die zweite Frage sei schwieriger zu beantworten. Deshalb befragt die Fed in regelmässigen Abständen alle grossen Banken nach dem zukünftigen Reservebedarf. Daraus ermittelt der Offenmarktausschuss (FOMC) ein grobes Ziel für die optimale Grösse der Bilanz.

Kompass falsch eingestellt

Als die Überschussreserven als Folge des Tapering schrumpften, wurde rasch klar, dass die Banken weit mehr Reserven benötigten, als sie angaben. Was auch immer der Grund dafür war – es gebe hierzu diverse Theorien – der Kompass der Fed war falsch eingestellt. "Die Notenbank hat es mit der Straffung übertrieben und weit mehr Liquidität abgezogen, als der Bankensektor entbehren konnte. Wir glauben, dass dies der Grund für den abgebrochenen Straffungszyklus 2016/2018 war", sagt Silberston.

Dieses Mal sei es anders! Damit sich die Geschichte nicht wiederhole, habe die Federal Reserve für den aktuellen Zyklus neue Instrumente zur Steuerung der Tagesgeldzinsen eingeführt. Zumindest theoretisch sollte sie also in der Lage sein, die Bilanz zu verkürzen, ohne die Liquiditätsengpässe der letzten Zyklen zu verursachen. "Wenn das zutrifft, unterschätzt der Markt, wie hoch die Zinsen steigen werden. Das bedeutet auch, dass die Anleiherenditen viel stärker steigen und die Anleihekurse entsprechend tiefer fallen werden", meint Silberston abschliessend.

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