«Kapitalmärkte bleiben dieses Jahr unsicher»

«Beim Schlüsselfaktor Inflation ist noch keine Zeit für Entwarnung, aber die Zeichen stehen auf Entspannung», schreibt Dr. Frank Engels, Vorstand von Union Investment, Leiter Portfoliomanagement für Wertpapiere. (Bild pd)
«Beim Schlüsselfaktor Inflation ist noch keine Zeit für Entwarnung, aber die Zeichen stehen auf Entspannung», schreibt Dr. Frank Engels, Vorstand von Union Investment, Leiter Portfoliomanagement für Wertpapiere. (Bild pd)

«Die Schlüsselfaktoren Inflation, Geldpolitik, Finanzmarktstabilität und Konjunktur prägen das Marktumfeld. Erwartungssicherheit bei diesen vier Punkten sind die Voraussetzung für nachhaltige Anstiege bei Risikoanlagen – und die gibt aktuell noch nicht. In der Zwischenzeit sind Aktivität und eine gezielte Titelauswahl gefragt», schreibt Dr. Frank Engels, Vorstand von Union Investment, Leiter Portfoliomanagement für Wertpapiere.

13.06.2023, 11:45 Uhr
Notenbanken

Redaktion: sw

Im Vergleich zum Jahresstart gibt es Fortschritte bei der Inflation. Der Preisdruck hat nachgelassen, wenn auch nicht überall in gleichem Ausmass. «Die Inflation ist auf einen nachhaltigen, aber flachen Abwärtspfad eingeschwenkt», glaubt man bei Union Investment. Einen Schritt voraus die USA bei der Inflationsbekämpfung. Hier wurde der Höhepunkt nicht nur bei der Gesamtrate, sondern auch bei der weniger schwankungsanfälligen Kernrate ohne Nahrung und Energie klar überschritten. «In den USA werden wir in der zweiten Jahreshälfte wieder Kernraten unter 4 Prozent sehen», schreibt Frank Engels im jüngsten Ausblick. Anders sei die Lage im Euroraum: Die Güterpreise steigen zwar kaum noch, aber im Dienstleistungssektor sei der Preisdruck nach wie vor hoch. Das werde sich erst ab dem Spätsommer schrittweise ändern. Er rechne für 2023 in der EU mit einer Teuerungsrate von 5,8 Prozent, die sich im Folgejahr auf 2,9 Prozent verringern dürfte.

Ende der Leitzinsanhebungen nicht mehr weit

«Beim Schlüsselfaktor Inflation ist also noch keine Zeit für Entwarnung, aber die Zeichen stehen auf Entspannung», schreibt der Leiter Portfoliomanagement für Wertpapiere.

Damit sei auch der Handlungsdruck auf die Notenbanken gesunken. Besonders für die Federal Reserve (Fed) in den USA gebe es keinen Grund mehr für anhaltende Leitzinsanhebungen. Der Job der Fed sei weitgehend erledigt. Es sei noch ein letzter Zinsschritt um 25 Basispunkte zu erwarten. Danach werde die Fed bis zum Jahresende pausieren und ihre Straffungen wirken lassen. «So weit ist es im Euroraum noch nicht. Zwar hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen bereits deutlich angehoben. Allerdings ist hier der Inflationsdruck nach wie vor hoch. Die EZB wird voraussichtlich mit zwei weiteren Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte nachlegen», glaubt man bei Union Investment.

Danach dürfte auch in der Währungsunion eine Pause eintreten. Das Ende der Leitzinsanhebungen sei auf beiden Seiten des Atlantiks nicht mehr weit. «Je klarer wird, dass der Höhepunkt bei den Leitzinsen überschritten ist, umso besser sind die Aussichten für Risikoanlagen», so das Fazit.

Finanzmarktstabilität durch Bankenkrise nicht gefährdet

Im ersten Halbjahr 2023 hat auch der Kollaps mehrerer Banken die Märkte belastet. Der starke Zinsanstieg in Verbindung mit der konjunkturellen Abkühlung traf Finanzinstitute mit fragilem Geschäftsmodell hart, insbesondere in den USA. Auch wenn die Folgen zuletzt nicht mehr akut auf den Kapitalmarkt wirkten, so bleibt das Thema doch auf der Agenda: Ganz ausgestanden sei die Krise noch nicht. Punktuell könne der relativ starke und rasche Zinsanstieg der letzten 20 Monate zu Problemen in einzelnen Segmenten des Finanzsystems führen. So sei es beispielsweise durchaus möglich, dass weitere Regionalbanken in Schieflage geraten. Eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität sieht er jedoch nicht. «Das Bankensystem ist insgesamt robust, sowohl in den USA als auch in Europa. Zudem haben Regierungen, Notenbanken und Regulierungsbehörden ihre Fähigkeit demonstriert, mit solchen Krisen erfolgreich umzugehen. Es ist auch im Wiederholungsfall mit dem schnellen und entschlossenen Handeln der Entscheidungsträger zu rechnen, welche die Ausbreitung einer Bankenkrise verhindern werden. Die Finanzmarktstabilität ist derzeit nicht gefährdet», schreibt der Vorstand von Union Investment.

Strengere Kreditvergabe, aber keine Kreditklemme

Allerdings wäre ein Wiederaufflammen der Krise ein Belastungsfaktor für die Kapitalmärkte. Gleichzeitig sei der konjunkturelle Effekt aus der Bankenkrise in den USA derzeit noch offen. Denn: Angeschlagene Banken vergeben weniger Kredite und bremsten somit das Wachstum. Zwar seien in den USA sowohl Kreditangebot als auch -nachfrage als Folge der strikteren Geldpolitik und der schwächeren Konjunktur bereits seit geraumer Zeit rückläufig. Eine zusätzliche, deutliche Verschärfung der Kreditvergabestandards könnte aber die Konjunktur weiter in Richtung Rezession treiben. Wie stark dieser Bremseffekt ausfallen werde, sei derzeit völlig offen. Damit bleibe das Thema vorerst ein Unsicherheitsfaktor für die Märkte.

Wirtschaftliche Stagnation in den USA und Europa

Dies gelte umso mehr, als die weltweite Konjunktur zunächst schwach bleibe. In den USA und im Euroraum stagniert das Wachstum weitgehend. Vor allem die raschen Zinsanhebungen belasteten. Dreh- und Angelpunkt bleibe in beiden Wirtschaftsräumen der Arbeitsmarkt. «Wir gehen zwar davon aus, dass der zeitweise heiss gelaufene Arbeitsmarkt wieder stärker in die Balance kommt und sich die Ungleichgewichte zwischen demografie-bedingt weniger Angebot und robuster Nachfrage abbauen. Ein Einbrechen erwarten wir aber nicht», heisst es dazu.

Damit sei auch ein Abgleiten der amerikanischen Volkswirtschaft in eine tiefe Rezession unwahrscheinlich. Zudem sieht der Kapitalmarktstratege Anzeichen für eine Verbesserung der Lage gegen Jahresende. In Richtung 2024 dürfte die wirtschaftliche Dynamik zulegen, nicht zuletzt wegen anziehender Investitionen. Je mehr Zeit verstreiche, desto stärker würden die strukturellen Umbauten der westlichen Volkswirtschaften mit Blick auf Dekarbonisierung und den partiellen Rückbau globaler Lieferketten schlagend.

Dieses Bild gelte grundsätzlich auch für den Euroraum, allerdings mit Zeitverzug. Hier dürfte die Wirtschaftsaktivität erst gegen Ende 2024 wieder in Richtung Trendwachstum aufschliessen. Die Sorgen um Energieengpässe und Lieferkettenprobleme seien zwar verflogen, gleichzeitig kämen aber die Auftragseingänge nur langsam in Fahrt. Zudem hätten die Verbraucher deutliche Reallohnverluste zu verkraften – und der volle geldpolitische Bremseffekt stehe erst noch bevor. Daher hält er dieses Jahr ein Wachstum des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,5 Prozent für realistisch, bevor der Wert im nächsten Jahr auf 0,8 Prozent ansteigen dürfte. Besonders betroffen von der Abkühlung sei die deutsche Volkswirtschaft, für die in der Jahresrate für 2023 ein Schrumpfen um 0,1 Prozent zu erwarten sei. Deutschland sei gut durch das Winterhalbjahr gekommen. Gleichzeitig waren die Reallohneinbussen aber hoch und der Aussenhandel ist schwach, nicht zuletzt wegen der Ermüdungserscheinung im chinesischen Post-Covid-Aufschwung. Diese Effekte sollten im Jahresverlauf an Kraft verlieren, sodass 2024 die allgemeine wirtschaftliche Wachstumsdynamik zunehmen dürfte.

Chancen steigen je länger das Jahr dauert

In Summe seien bei allen vier Schlüsselfaktoren – Inflation, Geldpolitik, Finanzmarktstabilität und Konjunktur – Verbesserungen beziehungsweise mehr Klarheit im Jahresverlauf zu erwarten. «Auf dem Weg dahin bleibt das Marktumfeld aber fragil. Das zweite Halbjahr bleibt anfällig für starke Schwankungen an den Kapitalmärkten», glaubt man bei Union Investment.

Mit Blick auf die einzelnen Anlageklassen sei keine Fortsetzung der starken Renditeanstiege bei sicheren Staatsanleihen zu erwarten. Das Thema dürfte mit Erreichen des Leitzins- und Inflationsgipfels weitgehend erledigt sein. Zum Jahresende sollten die zehnjährigen US-Staatsanleihen bei 3,75 Prozent liegen, deutsche Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit dürften mit 2,5 Prozent rentieren. «Aufgrund der nach wie vor inversen Zinsstrukturkurve sind Engagements mit kürzerer Laufzeit zu empfehlen. Besonders interessant bleiben Unternehmensanleihen. Die Fundamentaldaten sind nach wie vor gut und die Renditeniveaus attraktiv. In der aktuellen Marktlage weisen diese Anlagen das beste Chance-Risiko-Profil auf. Investoren sind vor allem europäische Emittenten mit gutem Rating zu empfehlen», so das Fazit.

Aktien blieben für langfristig orientierte Investoren «alternativlos». In den kommenden sechs Monaten sei aber auch mit Herausforderungen für die Anlageklasse zu rechnen. Die Aktienmärkte haben sich seit Herbst 2022 bereits spürbar erholt. Für weitere, nachhaltige Anstiege brauche es mehr Erwartungssicherheit bei den Schlüsselthemen, vor allem bei der Konjunktur. Insbesondere die Margen- und Gewinnentwicklung dürfte dabei eine entscheidende Rolle einnehmen. Bis heute hätten die Unternehmen ihre Profitabilität beeindruckend verteidigen können. Bei weiterhin robustem Lohndruck und der abnehmenden Inflation werde das allerdings schwieriger. Es sei damit zu rechnen, dass Investoren vermehrt ein Fragezeichen hinter den Aktienmarkt machen würden. Union Investment prognostiziert einen Gewinnrückgang auf globaler Ebene von 5 Prozent im Jahr 2023. Mit der Stabilisierung der Konjunktur in Richtung Jahreswechsel erwartet der Kapitalmarktstratege eine Gegenbewegung: «Im Jahr 2024 sind zweistellige Gewinnzuwächse drin. Das sollte den Aktienmärkten Auftrieb verleihen.»

Bei Rohstoffen sei die Energiekrise überstanden und der Ölpreis der Sorte Brent bei 80 US-Dollar je Fass auf zwölf Monate gut verankert. Insgesamt dürften Rohstoffe in einem Spannungsfeld zwischen zyklischer Schwäche und strukturellen Knappheiten handeln. Die schwache Konjunktur belastet die Rohstoffpreise, während gleichzeitig die Grüne Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft in vielen Bereichen die Nachfrage strukturell treibe. Vor allem Industriemetalle seien vor diesem Hintergrund als interessant einzuschätzen.



Zeit arbeitet für Risikoanlagen

Ein nervöses zweites Halbjahr 2023 gefolgt von einem aussichtsreicheren 2024 – darauf könnten sich die Investoren einstellen. «Die Kapitalmärkte werden mehr Klarheit bei den Schlüsselfaktoren erhalten, und damit hellen sich die Perspektiven auf. Geduld wird sich auszahlen. Insbesondere ein freundlicherer Wachstums-Inflations-Mix dürfte dazu führen, dass die Attraktivität risikobehafteter Anlagen zunimmt. Bis dahin gibt es weiter Chancen an den Börsen durch Aktivität und Selektion. Unter der Oberfläche tut sich viel an den Märkten, wir erleben grosse strukturelle Bewegungen. Diese Verschiebungen – Stichwort Künstliche Intelligenz, aber auch Grüne Transformation – kann ein aktiver Manager durch geschickte Titelauswahl für sich nutzen», so das Fazit.

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