Schluss mit drei Mythen über Erträge und ESG-Anlagen

Eine zentrale Frage lautet, welche wesentlichen Auswirkungen ein ESG-Risiko auf den künftigen Cashflow eines Unternehmens hat. (Bild: Shutterstock.com/Roschetzky Photography)
Eine zentrale Frage lautet, welche wesentlichen Auswirkungen ein ESG-Risiko auf den künftigen Cashflow eines Unternehmens hat. (Bild: Shutterstock.com/Roschetzky Photography)

Immer mehr Anleger möchten Positives bewirken, während regulatorische Veränderungen zunehmend verlangen, äusserst dynamische ESG-Standards zu erfüllen. Wie also nachhaltige Produkte in das Portfolio integrieren? Drei Vontobel AM-Experten räumen auf mit drei Mythen über ESG und Anleihegeschäfte.

23.02.2021, 10:12 Uhr
Nachhaltigkeit

Redaktion: rem

"Ein Faktor, den alle Anleger im Blick haben: die Performance. Denn ein weiterer Mythos – gewissermassen der Bonus-Mythos, den wir gleich kostenlos mit entzaubern – besagt, dass Nachhaltigkeitskriterien die Performance belasten. Dies ist jedoch nicht der Fall", sagen die Experten von Vontobel Asset Management. Als Beispiel führen sie die Indizes für Emerging-Markets-Staatsanleihen in Hartwährung an: Laut Research von JP Morgan weist der Index für Emerging-Markets-ESG für die letzten sieben Jahre höhere Renditen und geringere Risiken auf als der breitere Index (siehe Grafik unten). Die Experten erläutern nachfolgend, woran das liegt. Der Grund dafür verberge sich in Mythos 3, während Mythos 2 erklären könne, warum ein aktiver Ansatz nötig sei, wenn Anleiheanleger ESG-Kriterien in den Anlageprozess integrieren wollen, und Mythos 1 zeige auf, wie Anleiheanleger positive Entwicklungen fördern können.

ESG-Index

Mythos 1: Fixed-Income-Anleger haben keinen Einfluss auf die Unternehmensführung

Das Potenzial der Anleihenmärkte, um Emittenten von Unternehmens- und Staatspapieren zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen zu bewegen, werde oftmals unterschätzt, sagt Simon Lue-Fong, Leiter der Fixed Income Boutique. "Der allgemeinen Wahrnehmung nach ist 'Impact' gleichbedeutend mit Macht", so seine Einschätzung. Daher werde die Beeinflussung von Unternehmensführungen häufig als Privileg von Aktienanlegern betrachtet. An den Märkten für Primär- und Sekundäranleihen wirkten jedoch starke Preismechanismen, die von den Anlegern genutzt werden könnten, um greifbare ESG-bezogene Veränderungen zu bewirken.

Während Aktienanleger Teilhaber von Unternehmen und mit Stimmrechten ausgestattet sind, handelt es sich bei Anleihenanlegern um reine Kapitalgeber, für die Kreditkonditionen gelten und die weniger Einfluss auf die Entscheidungen der Geschäftsführung haben. "Diese Einschätzung ist zwar nicht falsch, lässt aber ausser Acht, dass Anleiheanleger Kapitalgeber sind, deren Überzeugungen sich in Marktkursen und Anleihebewertungen spiegeln, auf denen wiederum die Kapitalkosten eines Unternehmens basieren", sagt der Experte. Nachhaltigkeitskriterien gewinnen für Anleiheanleger zunehmend an Bedeutung und werden immer häufiger bei der Titelauswahl berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund führen negative ESG-Schlagzeilen zu steigenden Finanzierungskosten. Dies liege daran, dass Anleiheanleger mit einem Augenmerk auf Nachhaltigkeit beginnen, ESG-Sünder zu meiden, wodurch der Anleihekurs sinke und die Rendite anziehe.

Primär- und Sekundärmärkte

Nach Lue-Fongs Meinung könnten Kritiker einwenden, dass die Primärmärkte der eigentliche Ort des Geschehens sind: Dort erfolgt die Kapitalallokation, nicht an den Sekundärmärkten, wo das Kapital lediglich den Besitzer wechselt. Dies treffe jedoch nur bedingt zu. Unternehmen und Staaten sind mit sehr wenigen Ausnahmen Serienemittenten, die immer wieder auf die Märkte zurückgreifen, um sich zu refinanzieren. Zudem fungieren sie als Benchmark für den Handel an den Sekundärmärkten. "Bei Unternehmen mit fragwürdiger ESG-Bilanz sind die Anleger daher oftmals vorsichtig und fordern am Sekundärmarkt höhere Renditen für die Anleihen eines solchen Emittenten, was sich direkt auf den Preismechanismus der Neuemissionen am Primärmarkt auswirkt. Höhere Renditen bedeuten höhere Zinsaufwendungen, und dies trifft die Unternehmen an einem empfindlichen Punkt: beim Gewinn", erklärt der Anleihenspezialist.

Der Begriff "Engagement" wurde durch aggressive Aktienanleger bekannt, die Unternehmen zum Handeln zwingen, um offensichtliche Schwächen zu beheben und den Shareholder Value zu maximieren. Im Anleihenbereich gestalte sich das Engagement weit weniger spektakulär. Da die Möglichkeit der Stimmrechtsvertretung nicht gegeben sei, seien die Formen einer Einflussnahme auf den Emittenten eher indirekter als direkter Natur und müssten noch ausreifen. Als Kapitalgeber geniessen Anleiheanleger einen direkten Zugang zu Unternehmensführungen und staatlichen Vertretern und können strittige Themen sowie mögliche Defizite ansprechen – je mehr Anteile ein Anleger hält, desto mehr Gewicht bringt er ein. "Um nicht mit einer Standardantwort der PR-Abteilung abgespeist zu werden, müssen Anleiheanleger stärker als Gruppe auftreten", betont Lue-Fong. "Bisher kommen sie häufig nur bei Ausfällen und Schuldenrestrukturierungen zusammen. Die gute Nachricht: Angesichts der rasant steigenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen ist es nur eine Frage der Zeit, bis Anleiheanleger ein gemeinsames Forum entwickeln, über das sie Emittenten bei 'ESG-Bedenken' unter Druck setzen können – nicht zuletzt, weil sich Verbesserungen im Bereich Nachhaltigkeit direkt auf die Bonität auswirken können."

Mythos 2: Beurteilungen von ESG-Ratingagenturen reichen für Nachhaltigkeitsansatz aus

"Nach unserer Überzeugung müssen aktive Manager, die sich auf Überzeugungen stützen, mehr als nur aggregierte Ratings betrachten", betont Darya Granata, Client Portfolio Manager. Anleiheanleger orientierten sich gewöhnlich an Bonitätsratings, die auf konkreten Faktoren wie Verschuldungsgrad oder Cashflows basieren. Die Ansätze der drei grossen Ratingagenturen S&P, Moody’s und Fitch ähnelten sich, und extreme Unterschiede zwischen den Bonitätsratings der einzelnen Agenturen seien de facto sehr selten. Anders sei es jedoch bei der deutlich jüngeren und subjektiver geprägten ESG-Ratingbranche. "Hier unterscheiden sich die Ansätze und damit die Ergebnisse der ESG-Ratingagenturen erheblich", sagt Granata.

Neben ihrem subjektiven Charakter sei auch die Datenqualität ein Problem für ESG-Ratings. Nicht alle Unternehmen seien bereit, sämtliche Informationen bereitzustellen, die ESG-Ratingagenturen benötigen. So seien kleinere Unternehmen (z. B. im High-Yield- oder Emerging-Markets-Segment) oft hinsichtlich Berichterstattung und Offenlegung nicht auf demselben Stand wie grössere Unternehmen und erhielten daher aufgrund fehlender Informationen schlechtere Noten, oder aufgrund eines Mangels an Daten werde eine Note vergeben, die dem Sektordurchschnitt entspreche, meint die Portfolio Managerin. Daher sei es entscheidend, dass Analysten bei der Interpretation der Rating-Scores ein klares Verständnis der Methoden haben.

Mangelnde Datenqualität

"Aufgrund der mangelnden Datenqualität und der uneinheitlichen Bewertungen sind wir der Ansicht, dass sich die Anleger nicht auf ein einzelnes ESG-Rating verlassen, sondern vielfältige Information heranziehen sollten, um führende Unternehmen im Nachhaltigkeitsbereich aufzufinden. Wir sind aktive Manager, und unser Credit Team kauft Unternehmensanleihen nicht allein aufgrund des Bonitätsratings. Warum sollten wir unsere Entscheidungen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit daher ausschliesslich anhand von ESG-Ratings treffen? Wenn der Weg das Ziel ist, sind das Verständnis einzelner ESG-Risiken und die Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die Performance wertvoller für Analysten als die reinen Zahlen, die das Modell einer ESG-Ratingagentur ausspuckt", betont Granata.

Ein weiteres Argument für eine differenzierte Betrachtung sieht die Portfolio Managerin in der Tatsache, dass Ratings nur die Vergangenheit betrachten. Dies gelte sowohl für Bonitätskennzahlen als auch für ESG-Ratings. "Wir sind keine Nachrichtenagentur, habe ich einmal auf einem Seminar zu ESG-Ratings gehört, und diese Aussage ist zutreffend", sagt sie. Der Mangel an Daten schaffe jedoch auch Chancen. Im Bereich Unternehmensanleihen sei häufig die Rede von "Rising Stars", Unternehmen, deren Ratings sich von High Yield zu Investment Grade wandeln, und frühzeitigen Anlegern stattliche Renditen bringen. Ein Unternehmen möge zwar derzeit noch kein hohes ESG-Rating aufweisen, aber es sei wichtig, sich auf den Weg eines Unternehmens zu einem besseren ESG-Niveau zu konzentrieren. Zum einen könnte so ein "Rising Star" im ESG-Bereich gefunden und in ihn investiert werden. Gleichzeitig unterstütze man dabei Unternehmen auf ihrem Weg, positive globale Veränderungen zu bewirken.

Mythos 3: Unternehmen mit hohen ESG-Risiken für nachhaltigen Ansatz ungeeignet

"Bei hohen Nachhaltigkeitsrisiken ist ein gutes Risikomanagement von entscheidender Bedeutung. Daher schliessen wir Unternehmen mit hohen ESG-Risiken nicht von vornherein aus. Unsere Portfolios enthalten einige Unternehmen mit überdurchschnittlichem Nachhaltigkeitsrisiko, die wir allerdings nur aufnehmen, wenn sich die Risiken unserer Analyse zufolge gut bewirtschaften lassen und das Unternehmen über einen klaren Übergangsplan zur Minderung von Risiken verfügt (siehe untenstehende Tabelle). Dies bedeutet auch, dass wir die Emittenten und Nachzügler mit dem schlechtesten ESG-Risikomanagement ausschliessen. Die Konzentration auf Unternehmen mit der Kapazität zum ESG-Risikomanagement hat einen weiteren Vorteil, da Emittenten, die sich aktiv mit Nachhaltigkeitsfragen befassen, unserer Erfahrung nach tendenziell über ein besseres allgemeines Risikomanagement verfügen", erklärt Anna Holzgang, Head of Sustainable Bonds bei Vontobel AM.

ESG-Risikobeurteilung

Quelle: Vontobel AM
Quelle: Vontobel AM

Holzgang ist während ihrer Laufbahn als Anlagespezialistin aufgefallen, dass der Ausschluss eines wesentlichen Teils des Anlageuniversums, der sogenannte "Best-in-Class"-Ansatz, nicht der optimale Weg ist. Vontobel AM schliesst beispielsweise Stromerzeuger aus, die mehr als 10% ihrer Umsätze aus der Kohleverstromung erzielen. Wenn Unternehmen jedoch über eine klare Ausstiegsstrategie verfügen, ksnn diese Umsatzschwelle auf 25% angehoben werden. "Wir möchten Unternehmen auf ihrem Weg begleiten und unterstützen, wenn sie konkrete Massnahmen zur Verbesserung ihrer ESG-Performance ergreifen: Wir setzen aber auch klare Grenzen und vermeiden beispielsweise die riskantesten Segmente sowie Extremrisiken, die sich aus schlechter Governance und einem hohen Engagement in Risiken für das Eintreten ökologischer und sozialer Probleme ergeben", sagt Holzgang.

Auf die wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken konzentrieren

Es gehe nicht darum, moralische und ethische Werte vorzuschreiben. "Wir konzentrieren uns auf die wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken", betont die Expertin. Daher seien die Ausschlüsse auf ein Minimum beschränkt, wodurch eine ausreichende Diversifikation erzielt werden könne. Eine zentrale Frage laute, welche wesentlichen Auswirkungen ein ESG-Risiko auf den künftigen Cashflow eines Unternehmens habe. Nachhaltigkeitsaspekte, die ignoriert würden, könnten sich in erheblichem Masse auf die finanzielle Flexibilität eines Unternehmens auswirken.

Wenn Staaten sich für eine Beschleunigung ihrer Massnahmen zur Dekarbonisierung sowie eine Anhebung der CO2-Steuern entscheiden und ein Unternehmen nicht ausreichend darauf vorbereitet ist, könne dies eine spürbare finanzielle Belastung zur Folge haben. Folglich könnten sich ESG-Risiken direkt auf die finanzielle Performance eines Unternehmens und die Renditen von Anlegern auswirken, sagt Holzgang und fügt an: "Unserer Ansicht nach sind ESG-Aspekte ein integraler Teil jeder Fixed-Income-Strategie, nicht nur von nachhaltigen Strategien: Alle Anleiheanleger sollten ESG-Kriterien in ihre Analyse der Emittenten von Unternehmens- und Staatsanleihen integrieren."

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