Die Ukraine steht unter einem schlechten Stern

Gemäss Marina Zech von LGT Capital Management, verliert die Führung in Kiew zunehmend die Kontrolle über die Geschehnisse im Osten der Ukraine. Während pro-russische Separatisten immer mehr Verwaltungsgebäude in diversen Städten übernehmen, ist die Regierung in den letzten Tagen im Rahmen ihrer „Anti-Terror-Operation“ mit Gewalt gegen die Separatisten vorgegangen. Wir behalten unsere aktuelle Positionierung bei, solange sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzt und nicht durch mögliche Sanktionen gefährdet wird. Dabei betrachten wir fünf Szenarien als mögliche Entwicklungen des Konflikts.

07.05.2014, 13:29 Uhr

Redaktion: jf

Szenario 1: Deeskalation
In einem ersten, wenn auch momentan sehr unwahrscheinlichen Szenario wird ein Kompromiss gefunden, welcher zur Deeskalation der Lage führt. Dabei kehrt politische Stabilität zurück und die russischen sowie ukrainischen Aktienmärkte erholen sich stark von den erlittenen Verlusten.

Szenario 2: Kalter Konflikt mit moderaten politischen Sanktionen (Szenario des Durchwurstelns)
In einem zweiten, als wahrscheinlich einzustufenden Szenario halten die Spannungen zwischen Kiew und pro-russischen Separatisten an. Die russische Armee sieht allerdings von einer Intervention in der Ostukraine ab. Die USA und Europa reagieren mit moderaten Sanktionen politischer Natur, die keinen signifikanten Einfluss auf die eigenen Volkswirtschaften haben. Infolge internationaler Kapitalabflüsse kann aber eine Rezession in Russland nicht ausgeschlossen werden. Die Auswirkungen auf die globalen Finanzmärke (exkl. Russland und Ukraine) sind hingegen begrenzt.

Szenario 3: Kalter Konflikt mit politischen und beträchtlichen wirtschaftlichen Sanktionen
Bei einer erweiterten Ausgestaltung des Szenarios vom Kalten Konflikt werden zusätzliche Sanktionen von den USA und der EU, möglicherweise aber auch von Russland, ergriffen, welche beträchtlich negative Folgen für die europäische und insbesondere russische Wirtschaft nach sich ziehen. Auch dieses Szenario kann als wahrscheinlich betrachtet werden. Die ökonomischen Auswirkungen dürften jedoch vom Grade der Massnahmen abhängen. Hierbei reicht die Spannweite vom spezifischen Export-Embargo bis hin zu Exportkürzungen von russischem Gas.

Szenario 4: Heisser Konflikt mit politischen und beträchtlichen wirtschaftlichen Sanktionen
Während die Spannungen zwischen Kiew und den pro-russischen Separatisten anhalten, greift Moskau in diesem Szenario militärisch ein. Dabei beschränkt sich der Kreml jedoch auf den Osten der Ukraine. Aufgrund der Überlegenheit der russischen Armee werden die ukrainischen Streitkräfte nach nur wenigen Tagen nach Kiew zurückbeordert, um die Hauptstadt zu schützen. Die USA und Europa wiederum beschränken sich auf Sanktionen zur Schwächung der russischen Wirtschaft. Wegen des temporären Preisrückgangs riskanter Anlagen bieten sich günstige Kaufgelegenheiten. Auch dieses Szenario kann mit einer plausiblen Wahrscheinlichkeit eintreten.

Szenario 5: Krieg zwischen Russland und der Ukraine
Eine solche Zuspitzung des Konflikts zu einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist sehr unwahrscheinlich. In einem solchen Szenario toleriert die NATO einen Militäreingriff Russlands nicht und unterstützt die ukrainischen Streitkräfte. Die USA und EU verhängen wie im vorherigen Heissen Konflikt umfangreiche wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen Russland. Darunter leidet aber nicht nur die russische Wirtschaft, sondern aufgrund von Handelsbarrieren und möglichen Zahlungsausfällen von russischen Unternehmensanleihen auch die europäische Wirtschaft. Die Nachfrage nach riskanten Anlagen sinkt stark, ein Default Russlands ist aber sogar in diesem Szenario eher unwahrscheinlich.

Marktimplikationen
Die derzeitige Lage entspricht dem zweiten Szenario. Wir erachten die momentane Marktsituation als kurzzeitige Nervosität und behalten unsere aktuelle Positionierung bei (OW von DM-Aktien, UW von EMMA-Aktien, -FI und -FX), solange sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzt und nicht durch mögliche Sanktionen gefährdet wird.

Auch die Wahlen präsentieren kaum einen möglichen Endzustand
Die einzelnen Szenarien können ineinander übergehen sowie auch für längere Zeit bestehen. Einen möglichen Endzustand stellen, nebst eines Kompromisses sowie einer einstimmigen oder durch Russland militärisch unterstützten Abspaltung der Ostukraine, ferner die für den 25. Mai angekündigten Präsidentschaftswahlen dar. Eine ordentliche Durchführung der Wahl gestaltet sich angesichts der instabilen Lage jedoch zunehmend schwieriger. Zwar liegt der Oligarch Petro Poroschenko in den derzeitigen Umfrageergebnissen klar vor der zweiten Spitzenkandidatin Julia Timoschenko. Sollte es aber dennoch zu einer Stichwahl zwischen dem «Schokoladenkönig» und der «Gasprinzessin» kommen, könnte aufgrund der westlichen Orientierung der beiden Kandidaten die Wahlbeteiligung in der Ostukraine relativ gering ausfallen. Ob ein schwaches oder sogar ausbleibendes Wahlergebnis das Land stabilisieren und einigen würde, bleibt fraglich.

Diskutiert wird derzeit, ob zeitgleich zu den Präsidentschaftswahlen ein nationales Referendum zur Dezentralisierung der Ukraine stattfinden soll. Ein solches Referendum würde den Regionen mehr Autonomie einräumen und den Einfluss aus Kiew reduzieren. Während der Westen eine starke, pro-europäische Führung in Kiew bevorzugt, plädiert Russland für eine föderalistischere Ukraine. Der Westen befürchtet dabei hingegen, dass sich die östlichen Regionen durch die gewonnene Autonomie stärker an Russland orientieren und sich möglicherweise auch abspalten und Russland anschliessen würden.

Die pro-russischen Separatisten in der Region Donbass haben angekündigt, bereits am 11. Mai 2014 ein eigenes Referendum abzuhalten, wobei über die Unabhängigkeit der Volksrepublik Donbass abgestimmt werden soll. Ob sich grundsätzlich einzelne Regionen per Referendum wie auf der Krim Mitte März abspalten und Russland anschliessen würden, ist ungewiss. Auf der Krim sind die Mehrheit der 2.3 Mio. Bevölkerung ethnische Russen und russischsprachig. Zwar wird in einzelnen Regionen der Ostukraine (Luhansk, Donetsk) überwiegend russisch gesprochen, aber dies ist nicht flächendeckend im ganzen Osten des Landes der Fall. Die letzten Präsidentschaftswahlen 2010 zwischen der pro-westlichen Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und dem pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch ziehen allerdings eine deutliche Grenze der politischen Orientierung von Nord-Osten nach Süd-Westen des Landes.

Energieabhängigkeit als wirtschaftliches Risiko für die EU
Die anhaltende Krise hat auch wirtschaftliche Auswirkungen. Russlands Volkswirtschaft leidet vor allem via internationaler Finanzströme unter dem West-Ost-Konflikt. Im ersten Quartal sollen fast USD 70 Mrd. abgezogen worden sein. Die Rating-Agenturen haben die Bonität Russlands auf knapp über Ramschniveau gesenkt und Anleiheemissionen mussten mangels Investoren-Interesse mehrfach abgesagt werden. Das Risiko für die Weltwirtschaft ist überschaubar. Während Russland aber der drittwichtigste Handelspartner der Eurozone ist, stammen insbesondere ca. 30% der Erdgas- und 35% der Rohölimporte der EU aus Russland. Doch selbst wenn alle ökonomischen Verbindungen gekappt würden, dürfte die Wachstumseinbusse für die EU weniger als 1% betragen.

Der IWF eilt zu Hilfe
Um der finanziell stark angeschlagenen Ukraine unter die Arme zu greifen, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) letzte Woche ein Hilfspaket von USD 17 Mrd. beschlossen. Zusammen mit den zugesagten Krediten der Weltbank, EU, Kanadas und Japans in der Höhe von USD 15 Mrd. und der amerikanischen Darlehensgarantie über USD 1 Mrd. sollte Kiew den grössten Teil des derzeit erwarteten Finanzierungsbedarf über die nächsten zwei Jahre begleichen können.

Die Kredit-Gewährung ist allerdings auch an Bedingungen geknüpft. Diese umfassen Steuererhöhungen, höhere Energiepreise und ein Einfrieren des Mindestlohns. Für die Regierung in Kiew ist die milliardenschwere Hilfe aber nicht nur ein Segen. Die ukrainische Bevölkerung wird die Umsetzung der Reformen direkt zu spüren bekommen, was den Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung weiter schwächen dürfte.

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