Chinesischer Balance-Akt

Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Management.
Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Management.

Der Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums scheint vorerst gestoppt. Chinas Bruttoinlandprodukt (BIP) ist im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr real um 7.5% gewachsen, was eine leichte Beschleunigung zum ersten Quartal darstellt. Doch die Aussichten bleiben durchwachsen, ohne staatliche Schützenhilfe wären die Wachstumsraten wohl weiter gesunken. Lesen Sie hier den aktuellen Marktkommentar von Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Management.

23.07.2014, 10:07 Uhr

Chinas Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008 und das schwierige Exportumfeld war massiv. Die Zinszügel wurden erheblich gelockert und USD 586 Milliarden für Infrastrukturprojekte, Immobilienentwicklungen und öffentliche Wohlfahrt zur Verfügung gestellt. Dank dem entschlossenen Eingreifen Pekings beschleunigte sich Chinas Wachstum wieder rasant, was seinerseits einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der Weltwirtschaft zur Folge hatte. Die Nebenwirkungen und Spätfolgen dieser Rettungsmassnahmen werden nun aber immer deutlicher: Schuldner in Schwierigkeiten, Fehlallokationen, Überkapazitäten.

China nähert sich dem Ende eines kreditfinanzierten Investitionsbooms. Zunehmend werden faule Kredite an die Oberfläche geschwemmt. Die Verschuldung der Wirtschaft und Lokalregierung hat kritische Niveaus erreicht. Besonders aber die Dynamik des rasanten Schuldenwachstums gibt Anlass zur Sorge. Ein Kollaps wie in den USA, England oder der Euro-Peripherie ist dennoch sehr unwahrscheinlich. Neben den geringen Hypothekarschulden, den enormen Devisenreserven und der hohen Eigenkapitalquote der systemrelevanten Banken, verfügt die Regierung auch über genug Spielraum zum Gegensteuern, selbst wenn im Schattenbankensektor grössere Zusammenbrüche drohen sollten.

Ein Umbau des Wirtschaftsmodells ist unumgänglich
Doch die Kosten solcher Rettungsmassnahmen wären immens, weshalb die Regierung bereits jetzt versucht das Kreditwachstum zu dämpfen. Dieses Unterfangen ist nicht ohne Risiken. Wird die Politik zu restriktiv, könnten nicht nur Infrastruktur- und Immobilieninvestitionen, die noch immer wichtigsten Wachstumstreiber des chinesischen Bruttoinlandproduktes, sondern auch das Finanzsystem (anfangs vor allem aus dem Schattenbanken-Markt) Probleme bekommen. Es ist ein heikler Balanceakt, Kredit- und Investitionswachtum nicht zu sehr abzuwürgen, um es aber doch auf nachhaltige Niveaus zu bringen. Die restriktive Politik für nicht-traditionelle Finanzierungsquellen (WMP, Trusts) sowie Überkapazitäten bei wichtigen Industriezweigen wie Bergbau oder Stahlindustrie haben das Wachstum bereits deutlich verlangsamt. In Peking ist von einer „neuen Normalität“ die Rede, die zweistelligen Wachstumsraten seien Vergangenheit, der Umbau der Wirtschaft habe Priorität.

Trotzdem ist das angestrebte 7.5% BIP-Wachstum mehr als nur ein Nebenziel. Denn sie sorgen laut Peking für die notwendige Stabilität und eröffnen Handlungsspielraum für mögliche Reformschritte. Deshalb hat die Regierung auch mit einem „Mini-Stimulus“ und gezielten geldpolitischen Eingriffen auf die Wirtschaftsabschwächung reagiert und ist kurzfristig von ihrem Langfrist-Ziel abgewichen. Damit ist aber auch gesagt, das nicht mit grossangelegten Konjunkturpaketen zu rechnen ist. Denn die Regierung scheint sich auch bewusst, dass jedes zusätzlich kreditfinanzierte BIP-Wachstumsprozent in Zukunft um ein Vielfaches zurückbezahlt werden müsste.

China tut gut daran, den eingeschlagenen Weg der Reformen und Kreditrestriktionen fortzusetzen um Infrastrukturexzesse zu verhindern und den Binnenkonsum zu intensivieren. Dies mag in der kurzen Sicht negativ sein, dürfte sich längerfristig aber auszahlen. Vielleicht werden am Schluss die angestrebten 7.5% Realwachstum für 2014 mit Ach und Krach erreicht, zu mehr wird es aber nicht reichen. Auch wegen des Immobilienmarkts, wo es vermehrt zu Angebotsüberschüssen kommt. Auch hier ist eine Abkühlung strukturell notwendig und erwünscht, doch in der kurzen Frist sehr schmerzhaft, da die Baubranche direkt und indirekt ca. 30% zum chinesischen Bruttoinlandprodukt beiträgt.

Auswirkungen auf den Aktienmarkt
Der chinesische Aktienmarkt wurde bereits im Frühjahr aufgrund von Wachstumssorgen deutlich abgestraft. Die Gefahr eines weiteren Absturzes scheint aufgrund der günstigen Bewertung und Pekings Absicht, die gesteckten Wachstumsziele trotz Reformwille zu verteidigen, limitiert. In der langen Frist könnte sich der Umbau zu einer konsumorientierten und liberaleren Wirtschaftspolitik sogar positiv auf die Aktienmärkte auswirken.

Chinas wachsende Schuldenlast
Die unten stehende Grafik (Siehe PDF Seite 2) zeigt, dass Chinas Verschuldungsquote seit 2008 um einen Drittel zugelegt hat. Mittlerweile übersteigen die Gesamtschulden („Total Social Financing“) im Verhältnis zum BIP bereits 200%, was für ein Schwellenland eine sehr hohe Marke darstellt. Dennoch erscheint ein Kollaps des Kreditsystems unwahrscheinlich. Die Verschuldung ist zu einem grossen Teil inländisch finanziert, was eine gewisse Absicherung im Krisenfall darstellt. Bei den Krediten handelt es sich meist um Leihgeschäfte zwischen staatlichen Banken und anderen staatlichen Unternehmen. Daher ist das Risiko, dass die Banken die Kredite einfordern und so eine Liquiditätskrise auslösen, sehr gering. Dennoch wird die Verschuldung immer mehr zu einer Wachstumsbremse. Bei durchschnittlichen Finanzierungskosten von ca. 7 Prozent beeinträchtigt die hohe Schuldenlast die Profitabilität vieler Unternehmen.

Aktienmarkt günstig bewertet
Die beiden Grafiken (Siehe PDF Seite 2) unten zeigen das Kursgewinnverhältnis von chinesischen Aktien absolut und relativ zu dem MSCI World. Aus Value-Sicht erscheinen chinesische Unternehmen attraktiv. Das KGV ist mit einem Wert von unter 10 nahe seinen Tiefstständen. Relativ zum MSCI World zeigt sich, wie negativ das Sentiment auf chinesische Aktien mittlerweile ist. Für eine „Einheit Gewinn“ zahlt man im globalen Durchschnitt fast doppelt so viel wie in China. Falls es nicht zum Kollaps des Kreditsystems kommt, wovon wir wie oben ausgeführt nicht ausgehen, bieten chinesische Aktien für längerfristige Investoren viel Potential. Dabei benötigt man aber Geduld und Durchhaltewillen. Negative Nachrichten über die schwächelnde Konjunktur, den Immobiliensektor und die Kreditexzesse werden das Sentiment weiterhin drücken. Die Profitabilität wird auch wegen der erhöhten Finanzierungskosten weiter unter Druck bleiben. Bis die Reformen der neuen Regierung wirklich Früchte tragen, wird noch viel Wasser den Jangtsekiang hinunterfliessen.

Lesen Sie hier den vollständigen Kommentar von Daniel Kunz, Financial Economist bei LGT Capital Management.

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