05.10.2018, 09:13 Uhr
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Thomas Schüssler, Fondsmanager und Dividendenexperte der Deutschen Asset Management, sagt im Interview, weshalb er Aktien mit sehr hohen Ausschüttungen meidet, warum der Konsumsektor attraktiv ist und auf welchen Etikettenschwindel Anleger nicht hereinfallen sollten.
Herr Schüssler, der Ölpreisrutsch, die Sorgen um Chinas Wachstum und das Brexit-Votum haben in den vergangenen Monaten für starke Schwankungen an den Aktienmärkten gesorgt. Weisen Dividendenfonds in dieser volatilen Phase einen Vorteil gegenüber klassischen Aktienfonds auf?
Thomas Schüssler: Ich würde nicht im Plural sprechen. Dividendenfonds ist nicht gleich Dividendenfonds. Ob es einen Vorteil gibt, hängt davon ab, wie man die Dividendenstrategie interpretiert.
Und wie lautet Ihre Interpretation?
In den vergangenen zwei Jahren haben wir sehr stark auf Unternehmen gesetzt, deren Gewinne wenig konjunkturabhängig sind und die verlässliche Dividenden zahlen. Das sind genau die Unternehmen, die Investoren in unsicheren Zeiten verstärkt nachfragen. Ihre Kurse steigen also tendenziell, was die Wertentwicklung der Strategie stützt.
Andersherum profitieren solche Titel in der Regel weniger, wenn die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt.
Richtig, das ist keine Einbahnstrasse. In dem Augenblick, in dem Investoren risikofreudiger werden, sind wieder andere Sektoren gefragt, die mehr von einem Aufschwung profitieren. Man muss also stets abwägen, wie man sich positioniert.
Sie halten also nicht starr an bestimmten Positionen im Portfolio fest?
Langfristig nicht, da schauen wir natürlich darauf, wie attraktiv die Einzeltitel sind und wie verlässlich sie Dividenden zahlen. Kurzfristig ändert sich in den Portfolios aber relativ wenig. Pro Jahr schichten wir lediglich etwa 10 bis 20 Prozent um. 2016 liegen wir bis dato deutlich darunter.
Schütten konjunkturunabhängige Unternehmen hohe Dividenden aus?
Die Ausschüttungsquote ist in diesem Bereich relativ hoch. Das können sich die Unternehmen leisten, weil ihre Gewinne ja relativ wenig schwanken. Die Dividendenrendite selbst liegt eher im Mittelfeld, etwa bei 3 bis 3,5 Prozent.
Wäre es nicht schlauer, auf Sektoren mit höheren Dividendenrenditen zu setzen?
Das glaube ich nicht. Sicherlich gibt es eine Reihe von Unternehmen, die auch fünf oder sechs Prozent anpeilen. Anleger sollten aber hinterfragen, ob es dann auch wirklich so kommt.
Das heisst, bei hohen Dividendenrenditen weicht die prognostizierte Ausschüttung eher von der tatsächlich gezahlten ab?
Ja, Dividendenkürzungen sind dort durchaus möglich. Solch einen Fall möchten wir unter allen Umständen vermeiden.
Ist das Risiko für Dividendenkürzungen in Europa gestiegen?
Allgemein betrachtet ist das Risiko momentan noch relativ niedrig. Dividendenkürzungen auf breiter Front sind relativ selten und kommen eigentlich nur in Rezessionen vor. In manchen Sektoren, wie etwa bei Öl- und Gasunternehmen, ist es aber durchaus hoch, weil die Gewinne aufgrund der gesunkenen Rohstoffpreise unter Druck geraten sind.
Auch in einigen zyklischen Branchen nimmt das Risiko zu. Machen Sie um diese Sektoren einen Bogen?
Zumindest schauen wir uns die einzelnen Werte sehr genau an und beobachten die Gewinnentwicklung der Unternehmen. Man muss prüfen, bei welchen Unternehmen die Dividendensteigerungen auch mit Gewinnen unterfüttert sind. Generell verfolgen wir einen sehr konservativen Ansatz und fokussieren uns stark auf den Kapitalerhalt.
Wo liegt Ihre goldene Mitte bei der Dividendenrendite?
Momentan bei etwa 3 bis 3,5 Prozent.
In den vergangenen fünf Jahren ist die Dividende je Aktie in Europa um ein Viertel gestiegen, die Gewinne je Aktie sind im selben Zeitraum um knapp ein Zehntel gefallen. Hält dieser Trend an?
Schwer zu sagen. Fest steht: Wir brauchen mehr Gewinndynamik in Europa. Dass die Gewinne sinken, ist bedenklich. Sollte es zu einem wirtschaftlichen Abschwung kommen, würde sich das Risiko für Dividendenkürzungen stark erhöhen.
Weshalb halten die Unternehmen so eisern an den Dividenden fest, wenn es ihre Gewinne nicht hergeben?
Das habe ich nicht gesagt. Natürlich sind die Dividenden durch Gewinne gedeckt. Die Dividenden steigen in einigen Sektoren zwar schneller als die Gewinne. Aber das ist per se noch nicht verwerflich. Schöner wäre es aber andersherum: Erst klettern die Gewinne, dann steigen die Dividenden.
Üben Investoren Druck auf die Unternehmen aus, dass die Dividenden beibehalten oder gesteigert werden?
Ja, der Druck steigt. Das liegt am Niedrigzinsumfeld. Die Zentralbanken haben die Welt absichtlich in eine Renditewüste verwandelt. Auf eine solide oder leicht steigende Dividendenrendite von drei oder vier Prozent sind viele Investoren mittlerweile angewiesen. Umso schlechter ist das Signal, wenn eine Dividende nicht mehr erhöht oder sogar gesenkt wird. Dann würde der Aktienkurs deutlich fallen. Niemand kürzt heute leichtfertig seine Dividende.
Eine Studie der Deutschen Bank hat ergeben, dass die Zahl der Unternehmen in Europa, die eine Sachdividende in Form von Aktien ausschüttet, zuletzt gestiegen ist. Ist das ein Warnsignal?
Diese sogenannten Scrip Dividends sind in meinen Augen ein reiner Etikettenschwindel und haben mit der ursprünglichen Barzahlung nichts zu tun. Für mich ist es mit einer Dividendenkürzung gleichzusetzen. Selbst wenn Investoren ein Wahlrecht eingeräumt wird, ist das Signal eindeutig: Das Unternehmen kann sich eigentlich keine Dividende mehr leisten.
Welche Branchen sind betroffen?
Sie müssen zwei Bereiche unterscheiden. Bei den kapitalintensiven Unternehmen etwa Infrastrukturunternehmen oder Versorgern gibt es solche Scrip Dividends schon länger. Sie benötigen die Mittel, die sie an ihre Aktionäre ausschütten könnten, für ihr Tagesgeschäft. Scrip Dividends sind in diesem Bereich nicht zu begrüssen, aber keine Katastrophe. Bei Firmen, die sich die Dividende aufgrund von Gewinnrückgängen im Kerngeschäft nicht mehr leisten können, ist der Trend zu Scrip Dividends besorgniserregend. Spanische Banken sind ein Beispiel oder Öl- und Gasfirmen.Verbessert sich ihre Gewinnsituation nicht, droht eine Dividendenkürzung.
In den USA sind Aktienrückkäufe statt Ausschüttungen üblich. Warum?
Amerikaner gelten eher als kursgewinnorientiert. Ein offenes Geheimnis ist aber auch, dass viele Manager in Form von Aktien bezahlt werden. Die profitieren von Kurssteigerungen deutlich mehr als von Ausschüttungen.
Was ist sinnvoller für die Aktionäre?
Bei einer Dividende können sie selbst entscheiden, wie sie das Geld anlegen möchten. Sie können es in dasselbe Unternehmen reinvestieren, aber auch anderswo. Aktienrückkäufe erfolgen zudem meist prozyklisch: Bei hohen Kursen wird zugekauft. Das ist kein toller Kapitaleinsatz.
In den USA liegen die Dividendenrenditen nur bei etwa zwei Prozent. Ist das trotzdem ein spannender Markt?
Natürlich, um die USA kommt praktisch kein Investor herum. Und die Dividendenrendite ist wegen der Aktienrückkäufe so niedrig. Auf der anderen Seite unterstützen diese Rückkäufe den US-Markt. Das fehlt in Europa fast vollständig. Ausserdem ist das Dividendenwachstum in vielen Fällen höher und die Gefahr einer Dividendenkürzung geringer, weil man im Ernstfall erst mal die Rückkäufe zurückfahren kann. Auch dort favorisieren wir antizyklische Branchen wie Konsum, Pharma oder Versorger.
Welches Ertragsziel verfolgen Sie?
Es gibt zwei Komponenten für die Gesamtwertentwicklung der Fonds: die Dividenden und die Kursentwicklung. Die Ausschüttungen sind zu 95 Prozent planbar, die Kursentwicklung überhaupt nicht. In der Summe kann ich also nicht wissen, wie sich die Fonds entwickeln werden, zumindest auf Jahressicht. In den nächsten fünf bis sieben Jahren wollen wir dank unserer konservativen Strategie im Schnitt die Dividendenzahlung erwirtschaften, also drei bis vier Prozent. So gesehen liegen unsere Fonds 2016 schon wieder weit über Plan.
Die Dividendenrendite spielt bei Ihrer Einzeltitelauswahl also eine wichtige Rolle. Worauf legen Sie ausserdem Wert?
Die Dividendenrendite allein sagt nicht viel aus erst in Kombination mit einem soliden Geschäftsmodell und Wachstumspotenzial für die Dividende. Man kann auch in eine Dividendenzahlung hineinwachsen. Das ist ein schöner Effekt, weil meist die Kurse mitsteigen. Mir ist zum Beispiel wichtig, die Dividendenzahlung auch zu vereinnahmen. Auf Dividendensicherheit lege ich grossen Wert. Ich will das Nervenkostüm unserer Anleger schliesslich nicht überstrapazieren.
Wie sieht die Unternehmensanalyse in der Praxis aus? Studieren Sie haargenau die Bilanzen? Haben Sie auch persönlichen Kontakt zum Management?
Natürlich schauen wir uns die Bilanzen sehr genau an. Ein solides Zahlenwerk kann dem Unternehmen ein bis zwei Jahre Luft verschaffen, wenn die Gewinne einbrechen sollten. Daneben befassen wir uns mit der Historie des Unternehmens, um zu erkennen, wie gut es sich in Krisensituationen schlägt. Wir stehen aber auch im direkten Kontakt mit den Unternehmen. Erst heute Vormittag hatten wir Besuch vom Management eines Dax-Konzerns.
Sind Sie bei solchen Treffen eher ein stiller Zuhörer, der sich die Strategie erklären lässt, oder vertreten Sie aktiv die Interessen Ihrer Anleger?
Ich bin kein aktivistischer Anteilseigner und masse mir nicht an, mich im operativen Geschäft besser auszukennen als das Management. Aber ich fühle mich meinen Anlegern verpflichtet. Wenn das Kapital beispielsweise für eine völlig überteuerte Übernahme eingesetzt wird, nur um ein Imperium aufzubauen, bin ich nicht gerade begeistert. Bei eklatanten Fehlentwicklungen sage ich durchaus unsere Meinung. Und wenn das nicht gehört wird, investiere ich dort eben nicht.