13.06.2024, 13:55 Uhr
Diese Art der Hilfe für die Ukraine hat eine neue Qualität. Bis Ende des Jahres soll das von Russland angegriffene Land auf einen Kredit in Höhe von etwa 50 Milliarden US-Dollar zurückgreifen können - auch für...
Die Energiesicherheit rückt auf der politischen Agenda nach oben. Isabella Hervey-Bathurst von Schroders untersucht, was Russlands Überfall auf die Ukraine für Investitionen in den Klimawandel bedeutet.
Russlands unfassbarer Überfall auf die Ukraine hat laut Isabella Hervey-Bathurst vom globalen Aktienteam von Schroders katastrophale Folgen. Als Investoren in den Klimawandel müsse man jedoch auch die Auswirkungen des Konflikts auf die Energiewende und die globalen Klimaherausforderungen berücksichtigen. Drei Themenbereiche seien zu beachten, unter Berücksichtigung, dass sich die aktuelle Lage ständig ändern kann.
Der Ukraine-Krieg habe die Frage nach der Energieversorgung in Europa in den Brennpunkt gerückt. Für die Europäische Union sei Russland der grösste Lieferant von Erdgas (45%), Erdöl (27%) und Kohle (46%). Präsident Putins Angriffskrieg habe zu einer raschen und grundlegenden Umgestaltung der europäischen Energiepolitik geführt. Es gehe in erster Linie um die Versorgungssicherheit auf dem Kontinent. "Kurzfristig liegen alle Optionen auf dem Tisch: Die Verlängerung der Kohleverstromung sowie potenzielle Eingriffe in den CO2-Markt", so die Schroders-Expertin.
Damit sei jedoch nicht gemeint, dass die Energiewende ins Abseits gedrängt werde. Ganz im Gegenteil. Wenn es um Energie ginge, seien Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit in der Lage, sich zu ergänzen. Denn es sind gemäss Hervey-Bathurst die Entkarbonisierung und die Elektrifizierung der Energieversorgung, die die Abhängigkeit von Russland beenden. Der logische Schluss von Netto-Null sei in Europa, stets auf eine Energieerzeugung aus 100% erneuerbaren Energien hinzuarbeiten. Das Ziel sei eigentlich gleich geblieben, aber diese Krise habe einen zusätzlichen Impuls geschaffen, schneller aus fossilen Brennstoffen auszusteigen.
"Bis Ende 2022 will die Europäische Kommission die Abhängigkeit von russischem Erdgas um zwei Drittel senken. Die vollständige Unabhängigkeit von allen russischen fossilen Brennstoffen soll noch weit vor 2030 Realität werden", komentiert Isabella Hervey-Bathurst. "Die kurzfristigen Massnahmen konzentrieren sich auf die Diversifizierung der Erdgasversorgung. Damit will man die europäischen Vorräte vor dem nächsten Winter auffüllen", so die Akienexpertin weiter. Zudem sei es das Ziel, schutzbedürftige Verbraucher und Unternehmen vor steigenden Strompreisen zu schützen.
Bei den Strukturmassnahmen drehe sich alles um die Energiewende. Hierbei gehe es um den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, die Elektrifizierung der Heizung durch Wärmepumpen und die Anhebung der kurzfristigen Ziele für grünen Wasserstoff sowie die Berücksichtigung der Energieeffizienz von Gebäuden. Eine schnellere Weiterentwicklung sei auf diesen Märkten nicht möglich. Es dauere beispielsweise drei bis fünf Jahre, um einen Offshore-Windpark zu errichten. Mittlerweile sei allerdings eine echte Dynamik festzustellen, um verfahrenstechnische Hürden abzubauen, die diese Trends bisher behinderten.
In dieser neuen Realität, was die Energie angehe, seien die Möglichkeiten zur Entkarbonisierung wichtiger denn je. Dazu gehören gemäss Hervey-Bathurst Windturbinen, Hochspannungskabel, Solarzellen, Elektrofahrzeuge, Energiespeicher und Wärmepumpen. Die Krise erhöhe jedoch auch die Kosten und die Verfügbarkeit einiger der wichtigsten Rohstoffe, die für diese Technologien erforderlich seien. Die Preise von Nickel (E-Auto-Batterien) und Aluminium (Rahmen der Solarzellen, Verkabelung, E-Autos) seien infolge des russisch-ukrainischen Kriegs angestiegen.
Ein ganz wichtiger Kostenfaktor für diese Metalle, vor allem Aluminium, sei die Energie. Auf Russland entfallen laut ihrer Informationen 7% der globalen Nickelexporte und rund 6% der weltweiten Aluminiumausfuhren. Hier bestehe ein erhebliches Risiko bei der Versorgung. "Seit Jahresbeginn haben sich die Aluminiumpreise um über 20% erhöht, nachdem sie 2021 um fast 50% zugelegt hatten. Ein chinesischer Metallproduzent, der seine Short-Position im Zuge der Befürchtung einer Unterbrechung der russischen Exporte absicherte, löste einen dramatischen Anstieg der Nickelpreise aus", stellt die Schroders-Expertin fest.
Für Unternehmen der Energiewende bedeute dies einen Zuwachs der Kosten. Nach der Pandemie hätten Firmen bereits mit höheren Kosten zu kämpfen, allen voran in den Bereichen Stahl und Logistik.
Eine tiefgreifendere Frage sei, ob Preissteigerungen Folgen für die Wirtschaftlichkeit dieser Technologien haben. Die europäischen Energiepreise werden nach Einschätzung von Hervey-Bathurst über längere Zeit hoch bleiben. Die billigste Option sei daher, auch künftige regenerative Energien aufzubauen, selbst wenn die Preise aufgrund wachsender Kosten gestiegen seien.
Die angezogenen Kraftstoffpreise würden die Gesamtkosten von E-Autos im Vergleich zu Verbrennungsmotoren verbessern. Damit werde die Verteuerung der Batterie- und Strompreise mehr als ausgeglichen. Generell sei jedoch der Einkommensdruck auf die Privathaushalte nachteilig für die Nachfrage nach Autos. Strukturell betrachtet blieben E-Autos von der Krise verschont, aber die Branche stehe vor zyklischen Problemen.
Der Mangel an Halbleitern nach der Pandemie habe das Kfz-Angebot im vergangenen Jahr belastet, wodurch die Gesamtlage etwas undeutlicher wurde. Es sei daher möglich, dass noch ein gewisser Nachholbedarf als Ausgleich bestehe. Für 2022 und danach erwarte sie ein weiteres Wachstum des europäischen E-Automarkts. Die erhöhten Gaspreise hätten letztlich, Jahre früher als erwartet, zu einer Parität von grünem und grauem Wasserstoff geführt. Die Aktienexpertin rechnet nicht mit einem baldigen Rückgang der Gaspreise. Damit verbessere sich das wirtschaftliche Argument für die Herstellung von Wasserstoff aus Elektrolyseuren, die mit erneuerbarem Strom betrieben würden.
Die internationale Gemeinschaft sei mit dem Krieg in der Ukraine und der sich verschärfenden humanitären Krise befasst. Es sei bezeichnend gewesen, dass zwei bedeutende Ankündigungen zum Klima nahezu unbeachtet blieben. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats warnte, dass für die Welt nicht genügend Zeit bliebe, sich auf den Klimawandel vorzubereiten.
Positiv zu vermerken sei eine Vereinbarung, die als die grösste Vereinbarung seit dem Pariser Abkommen gefeiert werde. Fast 200 Länder verständigten sich darauf, an der Entwicklung eines Rahmenwerks zur weltweiten Reduzierung von Kunststoffabfällen zu arbeiten. Die Welt sei gespalten und abgelenkt, was nicht förderlich sei für den Kampf gegen die Erderwärmung. Allerdings sei der neue Plan, sich von Energielieferungen aus Russland unabhängig zu machen, auch ein Weg zur Dekarbonisierung und Elektrifizierung. Die Politik bewege sich also in der Praxis weiter im Kampf gegen den Klimawandel.
"Kurzfristig werden wir uns mit Ungewissheiten auseinandersetzen müssen. Und die Probleme einiger Marktbereiche werden schwerwiegender sein und länger anhalten. Unternehmen mit soliden Bilanzen sind am besten in der Lage, dem kurzfristigen Druck standzuhalten. Mittelfristig gilt es im Wesentlichen, die Energiewende zu beschleunigen", so Hervey-Bathurst.
In den letzten zwei Jahren seien allerorts Netto-Null-Ziele ausgegeben worden, was zeige, dass die Welt aufgewacht sei. Bei der Dekarbonisierung ginge es jedoch nur sehr langsam voran. Es habe vielleicht Putins entsetzlichen Angriffskrieg und das neue Gebot der Energiesicherheit gebraucht, um endlich eine Revolution bei der Energieversorgung auszulösen.