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Brauchen nachhaltige Fonds einen "digital detox"?

In Öffentlichkeit und Politik wird zunehmend diskutiert, ob soziale Medien gesellschaftlich schädlich seien. (Bild: Shutterstock.com/RoBird)
In Öffentlichkeit und Politik wird zunehmend diskutiert, ob soziale Medien gesellschaftlich schädlich seien. (Bild: Shutterstock.com/RoBird)

Technologieunternehmen werden für zahlreiche Probleme verantwortlich gemacht: darunter steigende Depressionsraten bei Jugendlichen und die Zunahme von Extremismus. Katherine Davidson von Schroders fragt sich, ob ein "digital detox" notwendig ist.

08.03.2021, 12:02 Uhr

Redaktion: vik/rem

Der Netflix-Dokumentarfilm "Das Dilemma mit den sozialen Medien" ist nach Meinung von Katherine Davidson, Portfoliomanagerin, internationale Aktien bei Schroders, besonders für Benutzer von Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram, Snapchat, YouTube oder Twitter unangenehm – sprich für so ziemlich jeden und jede. "Zeugen» – also Insider der Technologiebranche –, die sich mit den Auswirkungen ihrer Konstrukte zunehmend unwohl fühlen, zeigen in dem Film auf, wie Technologieunternehmen mit dem Verkauf von Werbeflächen das meiste Geld verdienen: Im Sinne von "Wenn es kostenlos ist, sind die Nutzer und Nutzerinnen das Produkt" – denn Unternehmen können nicht philanthropisch Geld verdienen.

Vor diesem Hintergrund wirft Davidson die Frage auf, warum es für nachhaltige Portfolios möglicherweise einer digitalen Entgiftung bedarf. Die Nachhaltigkeitsspezialistin sieht zwei Hauptprobleme: Sucht und Polarisierung.

Gefahr der Sucht und Polarisierung durch Social Media

"Die Plattformen steigern ihren Wert für Werbetreibende, indem sie das Nutzerengagement maximieren. Je mehr Zeit ein Besucher auf einer Webseite verbringt, desto mehr Anzeigen können sie schalten", sagt Davidson und fügt an: "Und je mehr sie über den Nutzer erfahren, desto mehr können sie ihre Ausrichtung weiter verfeinern und mehr verdienen."

Wie die Insider im Dokumentarfilm erklären, wurden die Dienste entwickelt, um eine "Dopamin-gesteuerte Feedbackschleife" zu kreieren. Dopamin, die "Wohlfühl-Chemikalie», die mit Suchtverhalten verbunden ist, werde durch positive soziale Interaktionen und Bestätigung durch Altersgenossen freigesetzt. Social Media liefere soziale Reize wie ein Spielautomat: Belohnungen mit unregelmässigem Zeitplan in Form von Likes und anderen Benachrichtigungen.

Das Ziel sei es, Nutzer daran zu hindern, ihr Gerät wegzulegen, und dies funktioniere bemerkenswert gut. Viele seien buchstäblich süchtig danach, so Davidson. Eine Studie in den USA ergab, dass die durchschnittliche Person ihr Telefon mehr als 2'600 Mal pro Tag berührt. Der Bestätigungsdruck und unrealistische Beispiele in den sozialen Medien wurden auch für die Zunahme von Depressionen, Essstörungen und Selbstmord verantwortlich gemacht – insbesondere bei jungen Menschen.

Dies führt laut der Expertin zum zweiten Problem: Das Engagement der Nutzer ist höher, wenn die Plattform ansprechende Inhalte bereitstellt. Dies können Dinge sein, an denen Nutzer zuvor Interesse gezeigt haben oder sie "klicken" auf Leute mit gleichen Interessen. "Das sind natürlich Inhalte, die mit der bestehenden Weltanschauung des Nutzers übereinstimmen. Die Algorithmen funktionieren so gut, dass der Nutzer mit geringer Wahrscheinlichkeit Inhalte sehen wird, die seiner bestehenden Ansicht widersprechen", sagt Davidson. Das sei nichts Bösartiges, denn die Algorithmen wurden entwickelt, um die Ergebnisse zu liefern, die für den Nutzer am relevantesten seien. Dies könne jedoch zu Bestätigungsverzerrungen führen.

Denn laut der Expertin neigen wir dazu, Quellen und Unternehmen zu suchen, die mit unseren Ansichten übereinstimmen. Menschen unterschiedlicher politischer Überzeugungen kaufen unterschiedliche Zeitungen oder schauen sich verschiedene Fernsehkanäle an, in denen die Moderatoren die eigenen Ansichten vertreten. Die Technologie habe dies bis zum n-ten Grad gesteigert. Das habe einen Einfluss auf die Gesellschaft.

Wichtig sind Regulierung und Bildung

Die Geschichte habe jedoch zwei Seiten und man werde leicht in das Melodrama des Tech-Bashing verwickelt. "Wenn Sie einen Zauberstab schwingen und die Welt von Big Tech befreien könnten, würden Sie es tun?" Die Schroders-Expertin würde es auf keinen Fall tun. Es gibt ihrer Ansicht nach auch Vorteile für die Gesellschaft insgesamt. "Technologieunternehmen spielen eine wichtige Rolle beim Vorantreiben der Preisdeflation von Konsumgütern, der Förderung von Innovationen und der Senkung von Eintrittsbarrieren für kleine Unternehmen", betont Davidson.

In den letzten Jahren war Big Tech auch führend in Bezug auf Umweltstandards und Emissionsreduzierung. Microsoft versprach, bis 2050 das erste "lebenslang klimaneutrale" Unternehmen zu werden. Die Portfoliomanagerin sieht zwei wichtige Wege, um die negativen Auswirkungen der Technologie zu mildern: Regulierung und Bildung.

In Bezug auf die Regulierung wird ihrer Ansicht nach das Umfeld zunehmend feindlich. Europa habe bereits Schritte unternommen, um die Macht von Big Tech einzuschränken, und sie glaubt, dass der Wechsel der US-Regierung zu mehr regulatorischen Aktivitäten führen werde. Die Herausforderung für die Regulierungsbehörden bestehe darin, dass diese Geschäftsmodelle sehr schwer zu regulieren seien. Es gebe jedoch einige vernünftige Massnahmen, die ergriffen werden könnten, z. B. die Rechte der Benutzer an ihren Daten zu verbessern (wie in Europa). Mehr Transparenz bei internen Algorithmen, Richtlinien und der Verwendung von Daten würden dazu beitragen, Vorwürfe von Verzerrungen und Machtmissbrauch zu reduzieren.

Die Expertin geht auch davon aus, dass der Druck auf Technologieunternehmen, Inhalte auf ihren Plattformen zu überwachen, zunehmen wird, da die Grenze zwischen sozialen und traditionellen Medien zunehmend verschwimmt. Dies könnte das kapitalschwache, hoch skalierbare Geschäftsmodell untergraben, das Technologie für Investoren so attraktiv macht. Diese Unternehmen werden immer arbeitsintensiver, nicht nur in Bezug auf die Anzahl der benötigten Mitarbeiter (Facebook hat in den USA bereits mehr als 15'000), sondern auch in Bezug auf die Gehälter, die erforderlich sind, um Menschen für die Moderation von Inhalten zu gewinnen.

Bildung ist aus Davidsons Sicht noch wichtiger. Der beste Ansatz sei wahrscheinlich der gleiche wie bei anderen potenziellen Schadensquellen wie Drogen und Alkohol, nämlich offen und ehrlich über die Risiken zu sprechen. Es gebe ein Argument dafür, "Internet-Hygiene» in den Lehrplan der Schule aufzunehmen. "Je besser wir alle und insbesondere junge Menschen die Techniken der Plattformen verstehen, desto mehr können wir uns schützen", sagt die Portfoliomanagerin.

Brauchen nachhaltige Fonds eine digitale Entgiftung?

Das Dilemma mit den sozialen Medien male Tech-Unternehmen als Bösewichte, die das Grundgefüge der Gesellschaft zerstören. Dies mache den erwähnten Film mitreissend, aber die Realität sei nuancierter. Davidson stimmt zu, dass die psychologischen Auswirkungen von Social Media bei Geschäftsmodellen, die auf Sucht und Polarisierung bauen, schädlich sein können. Dies bedeute jedoch nicht, dass Technologieunternehmen – und ihre Produkte – alle giftig seien. Wie es bei vielen Dingen der Fall ist, könnten soziale Medien nützlich und unterhaltsam sein, wenn sie im Mass konsumiert würden.

In Bezug auf die Regulierung und Bildung könnte nach Ansicht der Expertin sicherlich noch mehr getan werden, aber man könne sich nicht nur auf Top-Down-Lösungen verlassen. Letztendlich müssen nachhaltige Investoren eine Rolle dabei spielen, diese Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen und positive Veränderungen zu fördern, wo dies möglich sei.

"Eine digitale Entgiftung sei zu extrem und unrealistisch. Eine regelmässige digitale Untersuchung könnte jedoch genau das sein, was ein Arzt verordnen würde", kommt Katherine zum Schluss.

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