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Barings: Zentralbanken in der Kritik

Bild: Bildpixel (pixelio)
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Marino Valensise, Head of Global Multi Asset Group bei Barings, sagt, dass wir bald eine Systemverschiebung weg von der Geldpolitik, deren Wirksamkeit erschöpft ist, hin zu etwas anderem erleben werden.

13.10.2016, 11:18 Uhr
Notenbanken

Redaktion: jog

Die Massnahmen der Zentralbanken verlieren allmählich ihre Wirkung, da negative Nebeneffekte mittlerweile die möglichen Vorteile überschatten. Seit Anfang des Jahres weist Marino Valensise, Head of Global Multi Asset Group bei Barings, in seinen monatlichen Mitteilungen auf diesen Kollateralschaden hin, doch erst jetzt, so scheint es, ziehen die Entscheidungsträger Bilanz aus der Situation und erkennen die Schwachstellen ihrer Vorgehensweise.

Der erste Schwachpunkt liegt darin, dass das günstigere Geld der Wirtschaft effektiv schadet. Seit 2009 konzentrieren sich die wichtigsten Zentralbanken darauf, den "Preis für Geld" durch das Herabsetzen der Leitzinsen auf niedrigere Niveaus zu senken. Die Reduzierung der kurzfristigen Zinsen hatte allerdings eine Reihe unbeabsichtigter Folgen. Diese Folgen beinhalten ein Paradoxon: Niedrigere Zinsen und flachere Zinsstrukturkurven hatten negative Auswirkungen auf die Rentabilität des Kreditgeschäfts, da sie die Kreditvergabe für Banken unattraktiver machten.

Zweitens muss auch der Transmissionsmechanismus der quantitativen Lockerungsmassnahmen infrage gestellt werden. Ziel der Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbanken war eine Freisetzung von Liquidität, damit Banken Kapital in das gewerbliche Kreditgeschäft umschichten konnten. Der Effekt fiel jedoch schwächer aus als beabsichtigt und das Bankensystem gab die zusätzliche Liquidität nicht so aggressiv weiter wie erwartet oder gewünscht.

Die dritte Schwachstelle betrifft die Art und Weise, wie quantitative Lockerungsprogramme umgesetzt werden. Die Bilanzen der Zentralbanken wurden stark ausgeweitet und sollte diese Ausdehnung noch länger fortbestehen, könnten die Zentralbanken den Grossteil der entsprechend verfügbaren Vermögenswerte absorbieren. Laut Prognose des IWF wird die Bank of Japan (BoJ) zwischen 2017 und 2018 an ihre "Kapazitätsgrenzen" stossen. Gleichermassen wird die Europäische Zentralbank (EZB) irgendwann gezwungen sein, das Universum geeigneter Wertpapiere auszuweiten, damit ihr die verfügbaren Vermögenswerte nicht ausgehen.

Es gibt noch viele andere negative, unbeabsichtigte Konsequenzen, darunter die Folgen für Versicherungsunternehmen und leistungsorientierte Pensionsfonds sowie die Probleme, die durch den fast unbegrenzten Zugang zu Krediten für Firmen verursacht wurden, die andernfalls bankrott wären.

Ein neuer Fokus?
Wir werden bald eine Systemverschiebung weg von der Geldpolitik, deren Wirksamkeit erschöpft ist, hin zu etwas anderem erleben, sagt Marino Valensise. Was kommt als nächstes? Gibt es irgendwelche Optionen für Zentralbanken, bevor sie das Zepter an die Fiskalpolitik übergeben?

Im Laufe der letzten Quartale verschob sich der Fokus der Zentralbanken in Richtung verschiedener Initiativen. Welchen Anreiz könnte man Banken bieten, damit sie sich an der Kreditvergabe beteiligen? Die Antwort ist eine Kombination aus einem einfachen Zugang zu Finanzierungen und günstigem Geld. Das ergänzende Kreditprogramm der BoJ und das GLRG-II-Programm der EZB sind zwei wichtige Instrumente. Sie ermöglichen Banken, die bereit dazu sind, Kredite an Unternehmen und Privathaushalte weiterzugeben, einen Zugang zu Finanzmitteln zu "günstigeren Konditionen als normal". Richtig strukturiert könnte ein solcher Ansatz einen strafferen Transmissionsmechanismus hervorbringen und eine echte Unterstützung für die Wirtschaft darstellen.

Für das Wirtschaftswachstum ist eine gesunde Dosis an Kreditwachstum notwendig. Niedrigere Zinsen und flachere Zinsstrukturkurven wirkten sich jedoch nachteilig auf die Rentabilität der Kreditvergabe für Banken aus.

Eine extrem lockere Geldpolitik sorgte ungewollt dafür, dass die Kreditvergabe für Banken unattraktiver wurde. In Japan sackte das Zinsniveau ab. Vielleicht war es jedoch das Abflachen der Renditekurve, das die Rentabilität der Banken am stärksten strapazierte. Dem Chef der Bank of Japan, Kuroda, ist das durchaus bewusst. Er bezeichnete "den übermässigen Rückgang und das Abflachen der Zinsstrukturkurve" unlängst als Problem. In einem Umfeld, in dem das Kreditgeschäft kaum noch rentabel ist, überrascht es wenig, dass das Kreditwachstum von fast 4% im Vergleich zum Vorjahr auf knapp über 2% gefallen ist. Zwar sind die Banken liquide, aber das Verhältnis von Krediten zu Einlagen ist mit 65% sehr niedrig, was verdeutlicht, dass die Banken aufgrund fehlender Ertragsaussichten nicht bereit dazu sind, Kapital zu riskieren. Wie kann Japan also von einer Geldpolitik, die dem Nutzen der Banken entgegenwirkt, zu einer Politik übergehen, die die Rentabilität erhöht?

Das Problem hängt nur am Rande mit den niedrigen (und sogar negativen) Zinsen zusammen, die Banken für ihre Liquidität erhalten. Die Guthaben in Yen, die die Stadtbanken und die grossen regionalen Banken zu negativen Zinssätzen hinterlegt haben, sind äusserst gering. Das eigentliche Problem besteht darin, dass eine kurzfristige Kreditaufnahme und eine langfristige Kreditvergabe in einem Umfeld mit flacher Zinsstrukturkurve nicht nebeneinander funktionieren. Der Spread zwischen 10-jährigen und 2-jährigen japanischen Staatsanleihen ist in den letzten Jahren von 1,0% auf 0,1% abgesackt, was mitunter ein Auslöser für den Einbruch der Nettozinsmargen war.

Hilfe ist unterwegs
Die erste Massnahme der BoJ, um das Leben der Banken zu erleichtern, wurde vor wenigen Monaten eingeführt. Japanische Banken erhielten einen grösseren und einfacheren Zugang zu der bestehenden US-Dollar-Finanzierungsfazilität bei der BoJ. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine revolutionäre Reform, dennoch brachte die Massnahme das Auslandskreditgeschäft sowie die Investitionsaktivitäten japanischer Banken wieder in Gang. Es war ein klares Signal dafür, dass zukünftige politische Massnahmen den gestressten Bankensektor stützen würden. Im Rahmen der umfassenden Prüfung der BoJ wurden Ende September zwei weitere unterstützenden Massnahmen angekündigt.

Bei der ersten Massnahme handelt es sich um den unbedingten Unterstützungswillen für die Aktienkurse der Banken. Das Aktien-ETF-Programm mit einem Umfang von 6 Billionen Yen wird sich nun auf den TOPIX konzentrieren, dem der Grossteil der Kapitalflüsse zugute kommen wird. Die Gewichtung von Bankaktien ist im TOPIX höher als im Nikkei, weshalb diese Aktien in Zukunft eine stärkere technische Unterstützung erhalten dürften. Zweitens führt die BoJ ein neues aggressives und ziemlich stark eingreifendes Instrument, definiert als "Kurvenkontrolle", ein. Die traditionelle Geldpolitik sieht vor, dass die Zentralbank das kurze Ende der Zinskurve steuert. Die BoJ bekundete jetzt die Absicht, die Rendite 10-jähriger japanischer Staatsanleihen aktiv zu steuern und dabei eine Rendite von etwa 0% anzustreben. Es ist bewundernswert, wie sehr die BoJ die Steilheit der Renditekurve und die Rentabilität im Kreditgeschäft durch eine höhere Nettozinsmarge wiederherstellen möchte. Allerdings steht diese Politik im Widerspruch zu anderen Initiativen der BoJ, was einige Marktteilnehmer etwas perplex zurück lässt. Diese zusätzliche Manipulation der Anlagemärkte kann aus dieser Perspektive nur eine vorübergehende Massnahme und keine Lösung für das übergeordnete Problem sein. Doch obgleich die Vorgehensweise kontrovers ist, so ist sie doch ein klares Zeichen dafür, dass eine flachere Renditekurve von der BoJ nicht toleriert wird und dass die Notenbank die Rentabilität des gewerblichen Kreditgeschäfts als wichtigen Aspekt betrachtet, den es zu schützen gilt.

Bücher japanischer Banken sind "sauber"
Da Anleger die Existenzfähigkeit der traditionellen Geschäftsmodelle in einem Umfeld mit flacher Renditekurve infrage stellten, sackten die Aktienkurse japanischer Banken im Jahresverlauf 2016 stark ab. Das Bewertungsniveau ist bei einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von etwa 0,4 niedrig. Wenn man sich auf eine solche Bewertungskennziffer verlassen möchte, ist die Qualität des Buchwerts entscheidend. Diesbezüglich können Anleger beruhigt sein, denn die Bücher japanischer Banken sind "sauber" und negative Überraschungen auch zukünftig unwahrscheinlich.

Ein interessantes und attraktives Merkmal japanischer Banken ist der Cashflow, der jährlich in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an die Investoren zurückfliesst. Grosse Bankhäuser warten mit Kapitalströmen zwischen 3,5% und 4,5% pro Jahr auf.

Im Hinblick auf die regulatorische Kapitalausstattung sind diese Unternehmen solide und viele von ihnen sind besser kapitalisiert als ihre internationalen Mitbewerber. Dennoch wartet der Markt auf eine Bestätigung darüber, dass diese Solidität auch nach den Eigenkapitalvorschriften der neuen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bestand hat, die am Jahresende veröffentlicht werden.

Im Hinblick auf das Geschäft insgesamt sind japanische Banken heute internationaler und diversifizierter aufgestellt als noch vor einigen Jahren, was als Reaktion auf die schwache Sektorendynamik in Japan zu werten ist. Die internationale Kreditvergabe hat sich über die letzten fünf Jahre mehr als verdoppelt und nimmt mittlerweile einen grossen Marktanteil ein. Durch enorme Marktanteilsgewinne am globalen Syndizierungsmarkt steigen auch die Einkünfte ausserhalb des Kreditgeschäfts sowie vermögensabhängige Erträge.

Überkreuzbeteiligungen als Gefahr
In einem Umfeld, in dem die BoJ erfolgreich zu einer steileren Renditekurve beiträgt, könnte das Engagement von Banken bei japanischen Staatsanleihen als Risiko angesehen werden. Theoretisch könnte es zu hohen Verlusten bei langlaufenden japanischen Staatsanleihenpositionen kommen. Da sich die Bestände japanischer Staatsanleihen in den letzten Jahren mehr als halbiert haben, stellt dies glücklicherweise kein Problem mehr dar. Das Engagement liegt mittlerweile nur noch bei den sichereren, kürzeren Laufzeiten.

Eine weitere Gefahr könnte von Überkreuzbeteiligungen ausgehen, da sie bei Bankaktien prozyklische Verhaltensweisen verursachen können. Im Fall eines Rückgangs am Aktienmarkt könnte die Entwicklung von Bankaktien aufgrund der Verflechtung mit anderen inländischen Banken und Unternehmen schwächeln. Das verursacht Verluste, vermindert Kapital und reduziert insgesamt die Kreditvergabeaktivitäten. Dieses Problem existiert zwar nach wie vor, allerdings haben grosse Banken ihre Überkreuzbeteiligungen in den letzten Jahren bereits um 20% reduziert und reduzieren sie auch weiterhin.

Die letzte Gefahr ist die Stagnation. Sollte die BoJ nicht in der Lage dazu sein, ein konstruktiveres Umfeld für Banken zu schaffen, dann werden die Aktien von Banken keine attraktiven Renditen abwerfen. Allerdings haben diese Aktien aufgrund der überaus niedrigen Bewertungen meiner Auffassung nach auch kein allzu grosses Verlustpotenzial.

Kurz gesagt, ein "Value-Trade wie aus dem Lehrbuch", von dem Anleger profitieren dürften. Bis sich der Markt für Bankaktien dreht, müssen sich wertorientierte Investoren jedoch eventuell noch etwas länger gedulden.

Sogar Yellen scheint interventionistischer zu werden
Zentralbanken haben letztendlich die Fähigkeit, den Preis des Geldes, sowohl am kurzen als auch am langen Ende der Kurve, zu senken, ihre Bilanzen auszuweiten, verlässlichere Transmissionsmechanismen zu identifizieren, damit politische Massnahmen in der Realwirtschaft ankommen, und sie haben auch die Möglichkeit, wirtschaftliche Anreize für Kreditgeber zu schaffen. Sogar Janet Yellen scheint in ihrer Vorgehensweise interventionistischer zu werden. Sie sprach unlängst darüber, dass die Fed unter bestimmten Bedingungen dem Beispiel der BoJ und der EZB folgen könnte und gegebenenfalls inländische Unternehmensanleihen und Aktien kaufen würde. All das hat den Beigeschmack einer Zentralverwaltungswirtschaft nach altem Vorbild: Eine Welt, in der Zentralbanken zu Hauptakteuren an bestimmten Anlagemärkten werden und dort die Preise bestimmen. Durch nichts, was in diesem Artikel behandelt wurde, werden Zentralbanken das Problem der schleppenden Gesamtnachfrage beheben können, sagt Valensise.

Kuroda stellte fest, dass eine Monetarisierung von Haushaltsdefiziten "nicht legal vorgenommen werden kann oder vorgenommen werden sollte". Die Bundesbank würde dieser Aussage zustimmen. Insofern sich die Situation nicht verbessert oder falls eine erneute Konjunkturabkühlung eintritt, ist Valensise dennoch der Auffassung, dass Helikoptergeld in Kombination mit einem zielgerichteten Finanzplan die wirksamste Lösung für die Probleme darstellt.

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