09.12.2024, 11:25 Uhr
Die 100 Pensionskassen im UBS-Sample erzielten im November eine durchschnittliche Performance von 1,46 Prozent. Geholfen haben speziell die globalen Aktien, während der Schweizer Markt etwas schwächer war. Die...
In der beruflichen Vorsorge findet aktuell eine Umverteilung eines Teils der Anlageerträge auf dem Sparkapital von den Berufstätigen zu den Rentnern statt. Regulatorische Vorschriften zwingen die Pensionskassen dazu, die Vorsorgegelder unnötig konservativ anzulegen, sagen die Experten von Zurich. Gemäss einer HSG-Studie sind die erwarteten Altersguthaben deshalb nur halb so hoch, wie sie unter optimalen Bedingungen sein könnten.
Seit Jahrzehnten stellt die berufliche Vorsorge den bewährten zweiten Pfeiler der Altersvorsorge in der Schweiz dar. Für viele Menschen ist das Pensionskassenguthaben der grösste Teil ihres Privatvermögens und somit eine wichtige Quelle ihres Alterseinkommens. Viele Berufstätige ersparen sich bis zur Pensionierung einen Betrag von mehreren hunderttausend Franken. Auch wenn dies nach einer grossen Summe klinge, werde sie doch durch die heutige Lebenserwartung relativiert, erklären die Experten von Zurich. Nach der Pensionierung mit 65 Jahren (Stand 2019) muss dieser Betrag bei Männern für 20 und bei Frauen sogar für 23 Jahre ausreichen.
Deshalb sei es wichtig und sinnvoll, sich zu fragen, was ein Sparfranken in der beruflichen Vorsorge tatsächlich wert ist und ob aktuell das Optimum aus der beruflichen Vorsorge geholt werde. Eine aktuelle Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen (HSG) hat sich genau mit diesen Fragen beschäftigt – und kommt zu klaren Ergebnissen: Der Sparfranken erreicht längst nicht seinen vollen Wert, sondern hätte noch viel mehr Potenzial. Das erwartete Altersguthaben am Ende des Erwerbslebens ist aufgrund von Umverteilung und konservativen Anlagestrategien viel kleiner, als es unter optimalen Bedingungen sein könnte.
Konkret wurden die Daten von 15 der grössten Anbieter in der beruflichen Vorsorge untersucht, darunter sechs Vollversicherer sowie neun teilautonome Stiftungen. Sie decken gemeinsam etwa 45% des schweizerischen Vorsorgemarktes ab und sind damit gerade auch für KMUs relevant. Zunächst berechneten die beteiligten Wissenschaftler, wie hoch die Summe der in diesen Vorsorgeeinrichtungen von Erwerbstätigen zu Pensionierten umverteilten Gelder in den vergangenen Jahren war. Danach wurde ausgewertet, welche Anlagestrategie mit den Sparfranken der Versicherten verfolgt wurden. Die Ergebnisse beider Bereiche sind gemäss den Zurich-Experten besorgniserregend.
Bei jedem berufstätigen Beitragszahler werden durchschnittlich 1’000 Schweizer Franken von den Anlageerträgen auf dem Sparkapital zu den Pensionierten im Bestand umverteilt – jedes Jahr. Faktisch fällt der Verlust der Berufstätigen deutlich höher aus, denn die 1’000 Franken wären ja jahre- bis jahrzehntelang angelegt worden und hätten durch den Zinseszinseffekt ihren Wert bis zur Pensionierung deutlich erhöht. Aufgrund des Transfers zur Rentnergeneration reduziert sich das Wachstum des Vorsorgekapitals eines Berufstätigen um 1 bis 2% im Jahr. Die HSG-Wissenschaftler prognostizieren, dass diese Umverteilung in den kommenden Jahren sogar noch höher ausfallen wird. Bereits jetzt sei sie erheblich und schmälere die Performance des Vorsorgekapitals empfindlich. Bei den aktuell rekordtiefen Zinsen sei dies besonders schmerzhaft.
1’000 Schweizer Franken pro Jahr werden im Schnitt pro Berufstätigen umverteilt – davon könnten Herr oder Frau Schweizer im Durchschnitt Nahrungsmittel und Getränke für zwei Monate finanzieren oder ein Vierteljahr lang die Krankenkassenprämie bezahlen, welche im Schnitt monatlich etwa 350 Franken beträgt. Über die gesamte Erwerbstätigkeit betrachtet käme ein Betrag von 40’000 Schweizer Franken zusammen. Davon liesse sich ein schönes neues Auto kaufen, eine Aus- oder Weiterbildung finanzieren oder eine grosse Reise machen.
Im Schweizer Pensionskassensystem stelle die Umverteilung jedoch nur einen Teil des Problems dar. Eine andere Herausforderung sei viel weniger bekannt, habe aber weit grössere Auswirkungen: Vor allem die limitierten Anlagemöglichkeiten der Schweizer Pensionskassen tragen dazu bei, dass der Sparfranken der Berufstätigen nicht seinen vollen Wert erreicht. Die gesetzlichen Vorgaben seien auf grösstmögliche Sicherheit ausgerichtet und bieten nur wenig Möglichkeiten, den Pensionskassen gemäss ihrer Risikofähigkeit auch Anlagelösungen mit erhöhten Chancen, aber auch mit mehr Risiko, anzubieten. Entsprechend klein falle der Spielraum der Vorsorgeeinrichtungen bei den Anlagestrategien aus. Oftmals sind sie gemäss den Experten von Zurich gezwungen, besonders risikoarme Anlageformen zu wählen, wie etwa Obligationen. Damit können momentan aber nur äusserst spärliche Renditen erzielt werden, wenn nicht sogar Negativzinsen bezahlt werden müssen, wie das bei den Bundesobligationen derzeit der Fall ist. Auch die mit den aktuell starren und zu hohen Umwandlungssätzen verbundenen Garantien seien mitverantwortlich dafür, dass die Pensionskassen ihre Gelder nicht so chancenreich investieren können, wie sie es eigentlich möchten. Angesichts der langen Anlagehorizonte von bis zu 40 Jahren wäre es laut den Vorsorgeexperten durchaus sinnvoll, die Gelder mutiger und damit über die ganze Zeit betrachtet lukrativer anzulegen, auch wenn zwischendurch Wertminderungen durch Börsentaucher hingenommen werden müssten.
Garantien bedeuten ein solides Versprechen für die Zukunft, auf das man sich verlassen kann. Gemäss Zurich wird das in der beruflichen Vorsorge nicht für die kommenden Jahrzehnte funktionieren. Die in der Vergangenheit abgegebenen Versprechen von garantierten fixen Rentenbeträgen führen unweigerlich dazu, dass die Renten der zukünftigen Rentnergenerationen faktisch deutlich niedriger ausfallen werden. Dazu gehöre auch der überhöhte garantierte Umwandlungssatz. Die Pensionskassen müssen den aufgrund des Umwandlungssatzes versprochenen Rentenbetrag mit hundertprozentiger Sicherheit erwirtschaften – und deshalb gezwungenermassen sehr konservativ investieren, zum Beispiel in Obligationen, mit denen sich momentan kaum Geld verdienen lässt. Beim Ansparen des Alterskapitals werde also viel Potenzial verschenkt und am Ende ergeben sich Rentenbeträge, die zwar garantiert sind, aber bei Weitem nicht die Höhen erreichen, die möglich wären.
Die HSG-Wissenschaftler rechnen vor, wie einschneidend die Auswirkungen der konservativen Anlagestrategien sind: Bei einem Portfolio mit 23% Aktienanteil war das erwartete Endvermögen doppelt so hoch wie bei einem konservativen Portfolio mit nur knapp 6% Aktien. Konkret wurde mit einer Einzahlungszeit von 40 Jahren (von 25 bis 65 Jahren) gerechnet, während der insgesamt 480’000 Schweizer Franken eingezahlt wurden. Bei der konservativen Anlageform ergab sich ein erwarteter Wert von rund 640’000 Schweizer Franken, bei der mutigeren Anlageform ein erwarteter Wert von 1,4 Millionen Schweizer Franken. Die höhere Volatilität des zweiten Portfolios wurde durch die deutlich höhere Performance mehr als kompensiert. Für die Beitragszahlenden bedeutet das: Müssten die Pensionskassen nicht so konservativ anlegen, könnten die Versicherten gemäss den Berechnungen in der HSG-Studie ein doppelt so hohes Altersguthaben und damit auch eine doppelt so hohe Rente erwarten.
Um dies zu ändern, sei ein breiter gesellschaftlicher Diskurs notwendig. Denn die Zurich-Experten sind sich sicher, dass kreative Lösungen notwending sind, um den Vorsorgeeinrichtungen mehr Spielraum zu gewähren und damit neue Chancen in der beruflichen Vorsorge zu eröffnen.