03.12.2024, 15:42 Uhr
Der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, Daniel Zuberbühler, fordert für die UBS deutlich höhere Eigenkapitalvorgaben. Damit solle das «desaströse» Szenario einer Abwicklung der Grossbank...
Die Rechtsparteien, die in vielen europäischen Ländern auf dem Vormarsch sind, können mit einem starken Wahlergebnis rechnen. Die Folgen für Staatsanleihemärkte, Finanz-, Handels- und Haushaltspolitik erläutert Andrea Iannelli von Fidelity International.
"Die Wahlen zum Europaparlament stehen gewöhnlich ganz unten auf der Liste der politischen Risiken, die Anleger auf dem Schirm haben", meint Andrea Iannelli, Investment Director, Fixed Income von Fidelity International. Bei der Abstimmung im Mai sei das jedoch anders. Dafür würden die Rechtsparteien sorgen, die in vielen europäischen Ländern auf dem Vormarsch sind. Mit einem starken Wahlergebnis könnten die Populisten der Politik in den Mitgliedstaaten ihren Stempel aufdrücken, sagt der Experte – mit Folgen für die Staatsanleihemärkte. Auch die europaweite Finanz-, Handels- und Haushaltspolitik könnten sie grundlegend verändern und die Entscheidungsprozesse auf den Kopf stellen.
Alle fünf Jahre werden für das Europäische Parlament mehr als 700 Abgeordnete gewählt, die rund 512 Millionen Menschen in 28 Ländern vertreten. In der Vergangenheit dominierten sozialdemokratische, liberale und Mitte-rechts-Parteien die Wahlen. Die stetig sinkende Wahlbeteiligung hat den Parteien am äussersten rechten Rand jedoch geholfen, Fuss zu fassen. Dies und das geltende Verhältniswahlrecht spielen den nicht etablierten Parteien in die Karten. In diesem Jahr profitieren davon vor allem die extremen Rechten.
Nach der Prognosen von Fidelity International könnten Populisten und Euroskeptiker bei der diesjährigen EU-Parlamentswahl im Extremfall über 30% der Sitze erobern. Die Mitte-Rechts- und Links-Parteien wären damit erstmals in der Minderheit. Im für die Populisten ungünstigsten Fall sagen die Modelle der Experten immer noch fast 25% der Parlamentsmandate für sie voraus. Verstärkt werde der Einfluss der populistischen Parteien noch durch die Allianz der rechten Gruppierungen und die Zersplitterung der Parteien in der Mitte des Spektrums.
"Die grosse Formation der Euroskeptiker könnte zu einer Fraktion der Populisten verschmelzen", sagt Iannelli. Dazu müsste es jedoch dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Italiens, Matteo Salvini, gelingen, die drei Parteien Europa der Nationen und Freiheit (ENF), Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) und Europäische Konservative und Reformer (EKR) auf einen Nenner zu bringen. Eine solche Koalition könne das traditionelle Gefüge gehörig durcheinanderbringen. "Unser Ziel ist es, die EU-Wahlen zu gewinnen und die Regeln Europas zu ändern", rief Salvini seinen Anhängern Anfang April in einer voll besetzten Halle in Mailand zu.
Zusätzlich kompliziert werde das Ganze durch die ungarische Regierungspartei Fidez. Auf dem Papier ist sie Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), tendiert aber zu den Euroskeptikern. Die von Victor Orban geführte Partei wurde unlängst von der EVP suspendiert, die ihr mit Ausschluss droht. Das könnte das Mitte-rechts-Bündnis 14 Mandate kosten und das Kräfteverhältnis weiter nach rechtsaussen verschieben.
Unterdessen haben die Briten bestätigt, dass sie an den Wahlen teilnehmen und ihre 73 Sitze behalten werden. Gemäss neuer Prognosen würden etwa 32 der britischen Sitze an euroskeptische Parteien gehen. Die anderen 41 Mandate würden Labour, Liberaldemokraten, Schottische Nationalpartei, Unabhängige und andere Parteien unter sich aufteilen.
Am Tag nach Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses werden Anleiheinvestoren damit beginnen, den Ausgang der Europawahl und ihre Folgen für die Staatsanleihemärkte zu bewerten.
Iannelli ist der Meinung, dass ein besonderes Risiko für die Märkte von Italien ausgeht:
"Salvinis Lega-Partei könnte einen Erfolg bei der EU-Wahl dazu nutzen, Neuwahlen zu erzwingen und Kapital aus ihrer Popularität zu schlagen."
Ein Vertrauensverlust bei italienischen Rentenanlegern könnte die Folge davon sein, so Iannelli. Ihnen bereite die undisziplinierte Ausgabenpolitik nach dem umstrittenen Haushaltsentwurf für 2019 Sorgen, der sich auf optimistische Wachstumsprognosen zur Finanzierung von Steuersenkungen und Transferzahlungen statt auf Strukturreformen stützt.
Italien habe einen der grössten Schuldenberge unter den Industrieländern angehäuft und mit dem demografischen Wandel zu kämpfen. Zudem leide seine Wirtschaft unter schwindender Produktivität. Sollte das Land in eine Rezession schlittern und zugleich seine aktuelle Ausgabenpolitik beibehalten, könne die Schuldenquote weiter massiv steigen. Der von der Regierung prognostizierte Rückgang auf unter 130% wäre damit Makulatur. Eine verstärkte Ausgabe von Staatsanleihen zur Finanzierung der Staatsverschuldung würde aufgrund der bereits hohen Schuldenlast wohl den Risikoaufschlag bei italienischen Staatspapieren gegenüber deutschen Bundesanleihen weiter nach oben treiben, so der Investment Director. Verliert das Land seinen Investment-Grade-Status bei allen vier grossen Ratingagenturen, hätte das vermutlich verheerende Folgen, räumt er ein und meint, dass Italien schon heute mit seinem Länderrating von "BBB" nur noch eine Stufe vom spekulativen Segment entfernt ist.
Eine Herabstufung des Ratings unter Investment Grade würde nicht nur die Kreditaufnahme verteuern, vielmehr wäre die Europäische Zentralbank als wichtiger Käufer italienischer Staatsanleihen nicht mehr in Lage, diese im Rahmen ihres Ankaufprogramms zu erwerben, erklärt Iannelli. Wegen der Grösse der italienischen Wirtschaft könne eine solche Herabstufung auf andere europäische Märkte durchschlagen und stärkere Schwankungen nach sich ziehen. Denn schliessliech ist Italien die drittgrösste Volkswirtschaft der Eurozone und trägt rund elf Prozent zum realen Bruttoinlandsprodukt der 28 EU-Länder bei.
Sollten die populistischen Parteien bei den Wahlen zum EU-Parlament ein starkes Ergebnis einfahren, hätte das nicht nur für die nationalpolitischen Verhältnisse Folgen. Neben der EU-Kommission und dem Europarat ist das Europaparlament eine zentrale Institution im Entscheidungsprozess der Europäischen Union. Eine weitere Zersplitterung in der Mitte der Parteienlandschaft würde die für die Ratifizierung von Handelsabkommen, für politische Massnahmen und die Verabschiedung von Gesetzen erforderliche Konsensbildung deutlich erschweren, erläutert Iannelli. In etlichen Bereichen könne das in eine Sackgasse führen und die Politik lähmen. Ein von Nationalisten dominiertes Parlament könne die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion blockieren und die Finanzmarktintegration infrage stellen. Auch in Handelsfragen ist die Zustimmung des Parlaments erforderlich: etwa bei Abkommen mit den USA, China und Grossbritannien – sobald dieses die EU verlassen hat. Den Amerikanern sei das Handelsdefizit mit der Europäischen Union schon lange ein Dorn im Auge. Eine Spaltung des Bündnisses würde dessen Verhandlungsposition schwächen und damit langfristig auch seine Wachstumsaussichten dämpfen.
Schon bald muss das Europaparlament zudem den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 verabschieden. Haushaltsgespräche auf EU-Ebene seien stets heikel. Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Parlament zugunsten der Nationalisten, würde den Prozess weiter erschweren, so Iannelli. Einigen EU Programmen drohe dann eine Kürzung der Mittel. In einer zunehmend von Konkurrenz geprägten Welt würde das der Wettbewerbsfähigkeit der Europäer in Bereichen wie Wissenschaft und Technologie schaden.
Ebenso eine zentrale Aufgabe liegt in der Überwachung der Führung der Europäischen Zentralbank. Da Mario Draghi im Herbst durch seinen Nachfolger abgelöst wird, könnte der Ausgang der Europawahl auch hier für Verunsicherung sorgen. Aufgrund von den starken Kandidaten, würde sich das Risiko jedoch in Grenzen halten. Für die Zukunft sei besonders wichtig, dass die EZB schlagkräftiger werde, wenn es mehr und nicht weniger Solidarität auf der Ebene der EU-Institutionen gebe.
Gelingt es den radikalen Parteien, ihren Stimmenanteil zu vergrössern, wird das Parlament zu einem Forum erbitterter Kämpfe zwischen den Befürwortern einer stärkeren Integration und ihren Gegnern, erläutert Iannelli. Ein erheblicher Stimmenzuwachs radikaler und nationalistischer Parteien bei der Europawahl könne handfeste innenpolitische Auswirkungen haben und die Fliehkräfte weg von der Mitte der Parteienlandschaft verstärken. Das könne die Haushaltsdisziplin in einzelnen Ländern schwächen und sich nachteilig auf ihre Finanzierungskosten und die Renditen ihrer Anleihen auswirken. Auf EU Ebene werde dies möglicherweise die Entscheidungsfindung erheblich erschweren und in die Länge ziehen. Damit steige die Gefahr, dass die Bemühungen zur Vertiefung der Finanzintegration ins Stocken geraten. Mit den Wahlen zum Europaparlament könne kurz- bis mittelfristig das politische Risiko an den Staatsanleihemärkten zunehmen. Der Experte rät den Anleiheninvestoren daher, die Europawahlen und die Ernennung wichtiger Funktionsträger im Blick zu behalten.