Artikel-9-Fonds sind kein Gütesiegel für echte Öko-Fonds

Scope rät Anlegern, sich vor einer Investition detailliert über die Anlagestrategie und die angewendeten Ausschlusskriterien zu informieren. (Bild: Shutterstock.com/Wright Studio)
Scope rät Anlegern, sich vor einer Investition detailliert über die Anlagestrategie und die angewendeten Ausschlusskriterien zu informieren. (Bild: Shutterstock.com/Wright Studio)

Anleger dürfen nicht davon ausgehen, dass ein Artikel-9-Aktienfonds ausschliesslich in nachhaltige Bereiche wie Erneuerbare Energien oder Gesundheit und Wohlbefinden investiert beziehungsweise in nachhaltige Aktien, also Aktien von Unternehmen, die nachhaltige Produkte herstellen, wie eine Scope-Analyse zeigt.

20.08.2022, 06:00 Uhr
Nachhaltigkeit

Redaktion: rem

Viele Fonds, die laut EU-Verordnung als besonders nachhaltig gelten, investieren stark in konventionelle Unternehmen. Die Regularien lassen das zu, weil die Unternehmen nicht direkt an klimaschädlicher Produktion beteiligt sind und ihre umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung zu positiven ESG-Ratings führt.

Scope hat untersucht, in welche Titel nachhaltige Aktienfonds besonders häufig investieren. Die Ratingagentur analysierte dazu die Top-10-Positionen von Fonds, die nach Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung klassifiziert und damit einem konkreten, nachhaltigkeitsbezo- genen Anlageziel verpflichtet sind. Betrachtet wurden Fonds aus gängigen marktbreiten Peergroups: "Aktien Welt» und "Aktien Nachhaltigkeit/Ethik Welt» sowie "Aktien Europa» und "Aktien Nachhaltigkeit/Ethik Europa».

Die Scope-Analyse zeigt, dass das Segment der Artikel-9-Aktienfonds mit globalem bzw. europäischem Fokus sehr heterogen ist und es diverse Möglichkeiten gibt, die Vorgaben der EU-Offenlegungsverordnung zu erfüllen. Auch wenn Artikel-9-Fonds als höchste Stufe nachhaltiger Fonds gelten, sind das Niveau der Nachhaltigkeit und die Herangehensweise der einzelnen Fondsanbieter bei der Produktkonzeptionierung unterschiedlich.

Kunden mit Nachhaltigkeitspräferenz haben die Qual der Wahl und können unter anderem zwischen Klimafonds, SDG-Fonds, Impact-Fonds, Fonds mit sozialem Fokus, Fonds mit Fokus auf bestimmte Trends, Fonds mit mehr oder weniger umfangreichen Ausschlusskriterien etc. wählen.

Nicht unbedingt klassisch nachhaltige Investment

Anleger sollten sich laut Scope darüber im Klaren sein, dass eine Kennzeichnung mit Artikel 9 nicht automatisch bedeutet, dass auf Investitionen in Unternehmen wie Microsoft, Alphabet oder Apple verzichtet wird, die auch in Artikel-6- und Artikel 8-Fonds zu finden sind. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass ein Artikel-9-Aktienfonds ausschliesslich in nachhaltige Bereiche wie Erneuerbare Energien oder Gesundheit und Wohlbefinden investiert bzw. in nachhaltige Aktien, also Aktien von Unternehmen, die nachhaltige Produkte herstellen (z.B. Vestas Wind Systems, Tomra Systems, American Water Works).

Eher sei das Gegenteil der Fall: Die Unternehmen, die am häufigsten in den Top-10 der Artikel-9-Fonds zu finden sind und damit die höchsten Gewichtungen aufweisen, sind mehrheitlich solche, die nicht unbedingt als klassisch nachhaltiges Investment gelten.

So sind Sektoren wie Technologie oder Finanzen typischerweise CO2-arme Branchen und können deshalb für Artikel-9-Fonds interessant sein. Viele Unternehmen aus diesen Sektoren könne man aber kaum als tiefgrün bezeichnen. "Wer ein Investment sucht, das zum Ziel hat, die CO2-Emissionen zu verringern, mag mit derartigen Titeln leben können. Wer dagegen strikt ethisch/ökologisch/grün investieren will, dürfte mit konventionellen grosskapitalisierten Konzernen im Portfolio nicht glücklich sein, wenngleich diese Unternehmen im Vergleich zu einer Benchmark untergewichtet sein können", so Scope.

Anleger mit hohen moralischen Ansprüchen sollten genau hinschauen

Anleger seien deshalb angehalten, mehr denn je genau hinzuschauen und nachzufragen – besonders solche, die hohe moralische Ansprüche haben und denen es wichtig ist, ihr Vermögen in Unternehmen zu investieren, die die Welt besser machen. Weniger wählerisch müssen Anleger sein, die den Begriff Nachhaltigkeit weiter auslegen und auch dann ein nachhaltiges Investment erkennen, wenn ein Fonds Unternehmen kauft, die beispielsweise "nur" ihre Emissionen oder ihren Wasserverbrauch signifikant reduzieren.

Scope rät Anlegern, sich vor einer Investition detailliert über die Anlagestrategie und die angewendeten Ausschlusskriterien zu informieren und zumindest einen Blick auf die Top-10-Holdings zu werfen. Nur so können sie sich vor "Überraschungen" bei der Titelauswahl des Fonds schützen.

Wer Artikel-9-Fonds nutzen will, dabei aber Megacaps wie Microsoft, Alphabet, Apple oder Amazon vermeiden möchte, sollte das Kapital in Impact-Fonds mit umfangreichen Ausschlusskriterien investieren. Fonds, die den Zusatz "Impact" im Namen tragen, halten diese Titel aktuell kaum. Eine Garantie, dass man damit ausschliesslich in Unternehmen investiert, die mit einem Grossteil ihres Umsatzes zum Beispiel die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDG) erfüllen, geben aber auch sie nicht zwingend.

Selbst Fonds, die sich auf die eigentlich recht strengen UN-Nachhaltigkeitsziele berufen, sind häufig nicht darauf beschränkt, ausschliesslich solche Unternehmen aufzunehmen, die grosse Teile ihres Umsatzes mit der Verwirklichung der SDGs machen. Vielmehr investieren sie auch in Firmen, die mit ihrem Verhalten bestimmte Effekte erzielen und damit indirekt zur Erfüllung der SDGs beitragen. Dies wären zum Beispiel Unternehmen, die ihren Wasserverbrauch, ihre Emissionen oder ihren Plastikmüll reduzieren.

Artikel-9-Fonds können laut Scope also prinzipiell in Unternehmen investieren, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit einer nachhaltigen Investition in Verbindung gebracht werden und deren Produkte oder Dienstleistungen nicht unmittelbar eine positive Wirkung auf Gesellschaft oder Umwelt haben. Sie seien damit nicht zwangsläufig ein Gütesiegel für echte Öko-Fonds oder lupenreine Weltverbesserer-Produkte. Solche seien natürlich in der Riege der Artikel-9-Fonds zu finden, sie konkurrierten aber in diesem Segment mit einer Reihe von Produkten, die z.B. auch Unternehmen aufnehmen, die lediglich vorbildlich wirtschaften.

Artikel 9 bietet Spielräume für verschiedene Ansätze

Die EU hat Artikel 9 so gefasst, dass er Spielräume für verschiedene Ansätze lässt, und die Anbieter bewegen sich in diesem Rahmen. Artikel-9-Fonds, welche die aufgeführten "normalen" Konzerne halten, einen Etikettenschwindel vorzuwerfen, hält Scope für übertrieben, zumal die Offenlegungsverordnung keine bestimmten Nachhaltigkeitskriterien vorschreibt. Zudem weisen viele dieser Unternehmen zumindest ein gutes ESG-Rating auf und/oder lassen Ambitionen erkennen, zur Einhaltung der globalen Klimaziele beizutragen. Wie auch die Europäische Zentralbank in ihrer Anlagepolitik beschreibe, seien Nachhaltigkeitsziele nur dann erreichbar, wenn den Unternehmen Unterstützung bei der Reduktion ihrer negativen Beiträge zukomme. Aufgabe der Anleger sei es, sich zunächst über ihre Anlageziele hinsichtlich Nachhaltigkeit klar zu werden, um dann in das für sie passende Fondskonzept zu investieren, so Scope.

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