«Die Chancen für europäische Value-Aktien»

«Wir sind überzeugt, dass europäische Value-Titel in den Aktienportfolios wieder stärker gewichtet werden sollten», schreibt Anthony Bailly., Fund Manager des R-Co Conviction Value Euro bei Rothschild & Co Asset Management. (Bild pd)
«Wir sind überzeugt, dass europäische Value-Titel in den Aktienportfolios wieder stärker gewichtet werden sollten», schreibt Anthony Bailly., Fund Manager des R-Co Conviction Value Euro bei Rothschild & Co Asset Management. (Bild pd)

Weltweit weisen viele Aktienmärkte recht hohe Bewertungsniveaus auf. Europäische Value-Aktien bilden laut Rothschild jedoch die Ausnahme. «Trotz der deutlichen Überperformance seit Beginn der Normalisierung der Zinsen sind sie immer noch historisch günstig», schreibt Anthony Bailly, Fund Manager des R-Co Conviction Value Euro bei Rothschild & Co Asset Management.

01.11.2023, 09:18 Uhr
Aktien

Redaktion: sw

Die historisch tiefe Gewichtung von Aktien in den Allokationen zeigt das Misstrauen der Investoren. Doch obwohl das «TINA»-Argument (There Is No Alternative) nicht mehr gilt, konnten Aktien nicht nur seit Jahresbeginn, sondern auch in den letzten drei Jahren eine komfortable Überperformance gegenüber Anleihen und Cash erzielen. «Auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt im Zyklus eine relativ vorsichtige Strategie verfolgen, sind wir davon überzeugt, dass europäische Value-Titel in den Aktienportfolios wieder stärker gewichtet werden sollten», schreibt Anthony Bailly.

Sind Aktien zu teuer?

Auf diese Frage kann man nach zweierlei Antworten geben. Einerseits hängt dies von der geografischen Zone ab. US-Aktien weisen mit einem KGV von 18,4 de facto eine hohe Bewertung auf, die deutlich über dem historischen Median von rund 16 liegt. Diese Bewertung wird von den Tech-Riesen, den so genannten «glorreichen Sieben», in die Höhe getrieben, die ein KGV von 27 aufweisen. Ihr Gewicht erhöht den KGV im Index um mehr als zwei Punkte.

Insgesamt liegen die Bewertungen fast aller Märkte über ihrem historischen Median. Dies gilt sowohl für internationale Aktien als auch für japanische Werte und sogar für Schwellenländertitel. Die einzige Ausnahme bildet Europa, wo das KGV von 11,9 unter dem historischen Median liegt. Europa ist also die einzige Anlagezone, deren Bewertung offensichtlich attraktiv ist.

Gute Performance

Anderseits hängt die Antwort auch vom Anlagestil ab, denn innerhalb des europäischen Index ist eine starke Diskrepanz zwischen Value- und Growth-Werten festzustellen. So weisen Wachstumswerte mit einem KGV von über 19,2 deutlich über ihrem historischen Median liegende Bewertungen auf, während die KGVs von Value-Titeln praktisch auf dem historischen Tiefststand von 8,7 gesunken sind – damit liegen sie 2,4 Prozentpunkte unter ihrem historischen Median. Diese Diskrepanz ist umso bemerkenswerter, als sie eine historische Abweichung erreicht – trotz der Veränderung des Zinsumfelds, die dem Value-Stil zugute gekommen ist.

Seit Beginn des Zinserhöhungszyklus, der auf Anfang 2021 datiert werden kann, erzielten europäische Value-Aktien eine Performance von 31,2 Prozent. Dies ist fast doppelt so hoch wie die Performance von Growth-Werten und deutlich mehr als die Rendite von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen erstklassiger Bonität und Geldmarktinstrumenten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Aktien insgesamt zwar recht hohe Bewertungsniveaus aufweisen, dass das Segment der europäischen Value-Aktien jedoch die Ausnahme bildet, mit einem Bewertungsniveau nahe historischer Tiefststände, trotz der deutlichen Überperformance seit Beginn der Normalisierung der Zinsen.

Historisch günstig bewertet

Um zu erfassen, was vom Markt bereits eingepreist ist, sind zwei Parameter wichtig: erstens die Bewertungsmultiples und zweitens das erwartete Gewinnwachstum. Betrachtet man die Bewertungsmultiples, liegen die Bewertungsniveaus bestimmter Value-Sektoren auf historischen Tiefstständen, wie beispielsweise der Automobilsektor mit einem KGV von 5,4 oder auch der Banken- bei 6,3 und dem Energiesektor bei 7,6). Am anderen Ende des Spektrums liegen Konsumgüter, die von der Luxusgüterbranche Auftrieb erhalten, mit einem KGV von durchschnittlich 21,1 sowie Technologie mit Multiples von 19,2 und Gesundheit 17,0.

Diese Bewertungen liegen in einem Markt, der für das Jahr 2024 mit einem Anstieg der Gewinne je Aktie (GpA) von 7 Prozent rechnet, die Gewinnerwartungen schwanken zwischen 11,9 Prozent für den Gesundheitssektor bis 15,1 Prozent für den Technologiebereich. Für die drei genannten Value-Sektoren sind diese Erwartungen niedrig oder sogar negativ und reichen von einem Anstieg um 3,0 Prozent im Bankensektor bis hin zu einem Rückgang um 3,0 Prozent bei den Autoherstellern.

Mit anderen Worten: Die Wachstumssektoren sind relativ teuer und die Gewinn-Erwartungen hoch. Demgegenüber stehen günstige Value-Sektoren mit konservativen Erwartungen an das Gewinnwachstum. Keiner dieser Sektoren ist gegen den Konjunkturabschwung gefeit, doch konservative Gewinnerwartungen in Kombination mit niedrigen Bewertungskennzahlen in den Sektoren Bergbau, Energie und Banken bieten eine gewisse Sicherheitsmarge. In den teureren Wachstumssektoren wie Technologie und Luxusgüter liegt die Messlatte für die Gewinne höher. Diese Situation erzeugt eine für Anleger besonders interessante Risiko-Gewinn-Asymmetrie.

Wie sieht der mittel- bis langfristige Horizont aus?

Auf mittlere Sicht ist die berühmte «higher for longer»-Rhetorik der Federal Reserve bisher nur zum Teil in der relativen Performance von Value-Titeln im Verhältnis zu Growth-Werten eingepreist. Die historische Korrelation zwischen der Performance dieser Anlagestile und dem Zinsniveau hat sich in den vergangenen 12 Monaten nicht wirklich bestätigt. Zwar hat der Value-Stil eine Überperformance erzielt, aber nicht in dem Ausmass, wie man es angesichts der höheren Zinsen hätte erwarten können. Der Grund ist, dass einige zyklische Value-Sektoren unter den makroökonomischen Sorgen gelitten haben, die zunächst mit geopolitischen Spannungen und später mit Zweitrundeneffekten des geldpolitischen Straffungszyklus zusammenhingen.

Rothschild ist der der Ansicht, dass in den Bewertungen dieser Sektoren teilweise bereits ein Szenario der Konjunkturverlangsamung eingepreist ist. Das war jedoch kein Hindernis für den Value-Stil, denn er erzielte sowohl in einem Baisse- (2022) als auch in einem Hausse-Umfeld (2023) eine deutliche Überperformance. «Wir sind davon überzeugt, dass diese Überperformance nur die einsetzende Annäherung der beiden Stile widerspiegelt. Auf lange Sicht sind wir zu der Ansicht gelangt, dass wir seit fast drei Jahren mit einem neuen Paradigma mit de facto drei Facetten, nämlich Inflation, Geldpolitik und Zinsen konfrontiert sind. Wir sind von einem deflationären Umfeld (von der Finanzkrise 2008 bis zur Covid-19-Pandemie), welches die Zentralbanken zu einer expansiven Geldpolitik trieb, mit negativen Zinsen als Folge, ins Gegenteil umgeschlagen – in ein inflationäres Umfeld, das dieselben Währungshüter zu einer restriktiven Geldpolitik veranlasst und die Zinsen in die Höhe getrieben hat.»

Aus welchen Gründen könnte diese Situation über einen längeren Zeitraum anhalten? Auch wenn die deflationären Kräfte der Vergangenheit (wie der technologische Fortschritt, für den heute vor allem die KI steht) immer noch Bestand haben, werden sie nun durch neuen Inflationsdruck ausgeglichen, für den folgende Faktoren verantwortlich sind: (i) Klimawandel, (ii) politische und soziale Faktoren, (iii) Deglobalisierung, die zu Standortverlagerungen führt, und (iv) Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern. «Aus all diesen Gründen sind wir davon überzeugt, dass wir ein neues Paradigma erleben, das massive Folgen für Aktienanlagen haben wird, insbesondere für Anlagestile.»

Banken und Energie

Es gebe zwei Sektoren, die aufgrund ihrer Fundamentaldaten im derzeitigen makroökonomischen Umfeld eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erzielen können. Erstens der Bankensektor, denn er verzeichnet ein sehr hohes Gewinnwachstum – eine direkte Folge der gestiegenen Zinsmargen, die aufgrund der Verlängerung von Krediten auch weiterhin ein Fakt sind. Die Auswirkungen auf die Gewinne des Sektors sind gewaltig: Seit Jahresbeginn wurden diese um fast 25 Prozent nach oben korrigiert. Allerdings hinkt die Börsenperformance hinterher – nur so lasse sich die historisch niedrige Bewertung des Sektors erklären. Das makroökonomische Umfeld ist unsicher und die Risikokosten könnten steigen, doch die Banken haben hohe Rückstellungen in ihren Bilanzen gebildet und könnten dies verkraften. Letztlich werde der positive Zinseffekt überwiegen und von Dauer sein.

Ein weiterer empfehlenswerter Sektor sei trotz der Sorge um eine Konjunkturverlangsamung der Energiesektor. Auch hier scheint die Nachfrage ein Risikofaktor zu sein, allerdings muss man diesbezüglich den positiven Basiseffekt in China und die niedrigen Lagerbestände in den OECD-Ländern berücksichtigen – diese beiden Elemente dürften die Nachfrage in den kommenden Monaten stützen. Das Angebot scheint vor allem seit der Verlängerung der Produktionskürzungen durch die OPEC+, insbesondere aber Saudi-Arabien, unter Druck zu stehen. Alle diese Elemente erklären die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage in einer Grössenordnung von 2 Millionen Barrel pro Tag in der zweiten Jahreshälfte und den jüngsten Anstieg des Ölpreises, der in der aktuellen Bewertung des Sektors nicht eingepreist ist.

Günstige Rohstoffe

Trotz des gestiegenen Ölpreises wurden die Gewinne des Energiesektors seit ihrem Höchststand um etwa 20 Prozent nach unten korrigiert, was eine Schrumpfung der Gesamtaktivität widerspiegelt. Ein möglicher Impuls durch China könnte dagegen die Nachfrage und gegebenenfalls den Preis stützen. Die genannten Faktoren lassen sich auch auf den Rohstoffsektor übertragen, der wieder an Attraktivität gewinnt. Seine Bewertung ist niedrig und liegt unter seinem historischen Median und die Erwartungen an das Gewinnwachstum wurden bereits um 50 Prozent nach unten korrigiert. In früheren Rezessionen lagen die Abwärtskorrekturen dagegen bei durchschnittlich 30 Prozent. Für den Sektor wird daher scheinbar bereits ein besonders ungünstiges Szenario eingepreist, zu einem Zeitpunkt, an dem die Frühindikatoren für die Industrie wohl auf einen Tiefpunkt gesunken sein dürften.

Wie ist der R-co Conviction Equity Value Euro positioniert?

Der Fonds hält an seinem Value-Schwerpunkt fest. «Wir versuchen derzeit, unseren Ansatz im Zyklus umzusetzen. Hierzu reduzieren wir den zyklischen Schwerpunkt des Fonds in dem von uns erwarteten makroökonomischen Abschwung und erhöhen die Gewichtung der defensiven Säule im Portfolio.» Derzeit liegt sie bei 35 Prozent und nahe der historischen Höchststände, was zu einer Übergewichtung insbesondere des Telekommunikationssektors (Deutsche Telekom, Orange, KPN), der Nahrungsmittel- und Getränkebranche (AB Inbev, CCEP, Danone), aber auch zu einer erhöhten Gewichtung von Sanofi im Gesundheitssektor geführt hat. Die grössten Übergewichtungen betreffen, wie bereits erwähnt, den Banken- und Energiesektor, in geringerem Masse aber auch Rohstoffe und Immobilien, wobei der Immobiliensektor vom Ende des Zinserhöhungszyklus für eine Erholung profitieren dürfte. Umgekehrt sind Wachstumssektoren wie Konsumgüter und Technologie nach wie vor stark untergewichtet, da ihre Bewertungen als zu hoch erachtet werden.

Wie hat sich der Fonds zuletzt und langfristig entwickelt?

Der Anstieg der Zinsen verlieh dem Value-Stil Auftrieb, der den Eurostoxx-Index im Dreijahresvergleich um 24 Prozent und den Growth-Index um 32,4 Prozent übertroffen hat. Nur ist in dieser Überperformance der Paradigmenwechsel noch nicht vollständig eingepreist. Interessant ist, dass diese Überperformance sowohl in Hausse- als auch in Baissephasen erzielt wurde. Der R-co Conviction Equity Value Euro schloss den Berichtszeitraum mit einem Vorsprung von 24,2 Prozent auf den Eurostoxx-Index. Seit Beginn des Jahres 2023 übertrifft der Fonds seinen Referenzindex somit um 3,2 Prozent. Dabei ist die Volatilität des Fonds über ein Jahr nunmehr etwa gleich hoch wie im Eurostoxx – dies ist für einen naturgemäss besonders zyklischen Value-Fonds eher ungewöhnlich.

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