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"Es gibt deutlich mehr Prämien zu holen als vor ein paar Monaten"

Karsten Bierre, Head of Fixed Income Asset Allocation von Nordeas Multi-Asset-Team
Karsten Bierre, Head of Fixed Income Asset Allocation von Nordeas Multi-Asset-Team

Karsten Bierre, Head of Fixed Income Asset Allocation von Nordeas Multi-Asset-Team, ordnet im Interview die Verwerfungen am Fixed-Income-Markt und die Politik der grossen Zentralbanken ein. Trotz gewisser Risiken behält er einen konstruktiven Ausblick auf die nähere Zukunft.

14.07.2022, 05:54 Uhr
Notenbanken

Autor: René Maier

Was sehen wir derzeit im globalen Bond-Markt?
Karsten Bierre: Einen regelrechten Schock bei den Anleiherenditen. Es ging schon letztes Jahr los und hat sich dieses Jahr sehr stark ausgedehnt. Geschuldet ist dies der hohen und hartnäckigen Inflation, die viel stärker gestiegen ist, als die Zentralbanken letztes Jahr erwarteten. Das hat sich auf alle Finanzmärkte ausgewirkt und die Riskoprämien in allen Assetklassen hochgetrieben.

Wann gab es zuletzt solche Verwerfungen am Fixed-Income-Markt?

Bei den risikofreien Staatsanleihen muss man mehrere Dekaden zurückgehen, um eine ähnliche Konstellation zu sehen. Betrachtet man zum Beispiel den langfristigen US Treasury Index auf Bloomberg, so kam es in den 70ern zu einem Rückschlag von 20%. Aktuell war der Rückschlag sogar 30%. Die realen Verluste heute sind also noch höher als damals. Ich habe das in meiner Karriere noch nicht erlebt.

Normalerweise ist die Korrelation zwischen Anleiherenditen und Kreditspreads negativ. Jetzt ist sie positiv. Was hat dieses Chaos am Markt ausgelöst?

Die normalerweise negative Korrelation von Anleiherenditen und Kreditspreads hat tatsächlich von negativ auf positiv gedreht. In den letzten Monaten war die Korrelation bei 0.8, was im historischen Kontext sehr hoch ist. Der Hauptgrund ist auch hier die hohe Inflation. In der Vergangenheit hat es bei starker Inflationsentwicklung auch schon positive Rendite-Spread-Korrelationen gegeben. Insofern ist es aktuell kein absoluter Einzelfall, aber eine negative Korrelation war mindestens die letzten zwei Jahrzehnte die Norm.

Wie ist es dazu gekommen?

Die Zentralbanken fokussieren sich sehr stark auf die Bekämpfung der Inflation und berücksichtigen andere ökonomische Indikatoren zu wenig. Die schnelle und starke Straffung der Geldpolitik hat sowohl die Renditen von Staatsanleihen als auch von risikoreicheren Anlagen wie Krediten und Aktien abgestraft. Natürlich spielt auch Covid eine zentrale Rolle in diesen Entwicklungen. Die Interventionen von Staaten und Notenbanken haben den Nährboden gelegt für die ansteigende Inflation. Auf der einen Seite wurde die Nachfrage animiert, auf der anderen Seite ist es zu Angebotsschocks gekommen.

Wie unterscheidet sich die aktuelle Lage an den Anleihemärkten von jener in der Finanzkrise?

Die Finanzkrise wurde ausgelöst durch einen Kollaps auf der Nachfrageseite, verursacht durch eine geplatzte Anlageblase auf dem Immobilienmarkt und strauchelnde Banken. Das kreierte ein deflationäres Umfeld – und Staaten und Zentralbanken griffen ein mit nie gesehenen Unterstützungen. Die Situation heute ist hauptsächlich durch einen Angebotsschock hervorgerufen, auf den die Notenbanken nun gegenteilig reagieren: sie entziehen dem Markt wieder Geld, das sie reingepumpt haben und erhöhen die Zinsen. Gemeinsam ist den beiden Ereignissen, dass die risikoreichen Anlagen angeschlagen sind.

Mit der hartnäckigen Inflation zeichnete sich bereits letztes Jahr ein Kurswechsel in der Geldpolitik der Zentralbanken ab. Wie haben Sie die Entwicklung antizipiert und welche Konsequenzen haben Sie für Ihr Fixed-Income-Portfolio getroffen?

Generell haben wir unsere Portfolios im letzten Jahr mit einer ziemlich tiefen Duration aufgestellt. Wir erwarteten, dass die Anleiherenditen ab einem gewissen Punkt wieder zunehmen müssten. Aber der Anstieg ist viel schneller gekommen, als wir und viele andere Marktteilnehmer dachten. Im laufenden Jahr haben wir dann damit begonnen, die Duration in unseren Fonds graduell zu erhöhen. Wir nahmen die Zinssensitivität auf ein Niveau zurück, wie wir sie im Durchschnitt vor fünf Jahren hatten. Und wir haben letztes und auch dieses Jahr bisher das Währungsrisiko in US-Dollar gehalten, weil wir die Zinsanhebung der US-Notenbank erwarteten. Diese Präferenz basiert auf dem Fakt, dass eine «long»-Position in US-Dollar sehr oft zu einer gewissen Diversifizierung und zu einem Anstieg der realen Anleiherenditen führt und die Spreads für die Emerging Markets ausweitet.

Wie werden sich die starken Zinsschritte in den USA und das Zurückfahren der Anleihekäufe auf den Bond-Markt auswirken?

Fakt ist, dass es niemand wirklich weiss. Wir werden in den beiden Märkten USA und EU eine sehr starke Verzerrung bei Staatsanleihen und Kreditanleihen sehen. Es ist auch anzunehmen, dass viel von diesem Impact schon vorweggenommen ist. So haben die aktuelle Reduktion der Anleihekäufe und die Anhebung der Leitzinsen den Markt bereits beeinflusst. Ich denke, die weitere Verschärfung der Geld- und Zinspolitik hat die Fed in ihrer Forward Guidance sehr gut angekündigt. In gewissem Mass hat das auch Christine Lagarde bei der EZB getan. Die Anleihenmärkte sind also schon gewappnet. Man muss bedenken, dass Finanzmärkte immer sehr vorwärtsschauend orientiert sind und alle verfügbaren Informationen einpreisen. Wenn sich die Fed an das Skript hält, das sie kommuniziert hat, sollte der weitere Impact auf die Bondmärkte moderat sein.

Wie beurteilen Sie allgemein die Politik der grossen Zentralbanken?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie bei der Bekämpfung der Inflation erfolgreich sein werden. Allerdings bleibt die Frage, wie hart die Landung für die globale Ökonomie sein wird. Das Risiko einer harten Landung besteht sowohl in den USA als auch in Europa, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. In den USA geht der Inflationsdruck eher vom Arbeitsmarkt aus, während Europa mehr unter dem Angebotsschock leidet.

Können die Fed und die EZB eine Rezession oder gar eine Stagflation abwenden? Welches Szenario ist aus Ihrer Sicht am wahrscheinlichsten?

Ich denke, die beiden Notenbanken können eine Stagflation verhindern. Der Grund ist, dass die Inflationserwartungen verankert bleiben, das heisst, dass die Menschen und Akteure im Wirtschaftsleben davon ausgehen, dass die Inflation mittelfristig wieder bei 2% landen wird, so dass die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung und gleichzeitig immer noch sehr hohen Inflation ziemlich klein ist. Die Nachfrage zu drosseln und eine Rezession zu vermeiden – und das kombiniert mit einem Angebotsschock – wird allerdings ziemlich schwierig sein. Das Rezessionsszenario ist in meinen Augen wesentlich wahrscheinlicher als eine Stagflation.

Die aktuelle Krise öffnet uns die Augen dafür, wie komplex die Lieferketten der Unternehmen geworden sind und wie erschreckend gross der Mangel an Kontrolle in diesem Bereich ist. Wird sich das wieder einpendeln oder erleben wir tatsächlich eine Zeitenwende in Richtung Deglobalisierung?

Anzeichen einer Deglobalisierung hat es schon lange Zeit vor Covid gegeben. Eigentlich begann es mit der globalen Finanzkrise. Seither ist der Anteil international gehandelter Güter am GDP zurückgegangen. Das hat vielleicht seine Ursache auch darin, dass die Unterschiede zwischen den Ländern im Westen und Osten bei Einkommen und Vermögen sowie in der Demographie kleiner geworden sind. Es bleibt abzuwarten, ob die Preisentwicklungen den Deglobalisierungstrend intensivieren werden – das könnte sehr gut der Fall sein. Mit zunehmenden politischen Spannungen zwischen Ost und West könnten wir auch wieder in die Zeit des Kalten Krieges zurückfallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Spitze der Globalisierung bereits überschritten haben, scheint gross.

Werden Fixed-Income-Investoren schon bald bessere Zeiten erleben? Und welche Risiken müssen sie besonders beachten?

Ich hoffe es auf jeden Fall. Die aktuellen Renditen versprechen einen interessanten strategischen Augenblick für Investoren. Möglicherweise steigen die Renditen noch weiter, aber mit 3% für zehnjährige US-Staatsanleihen sind sie nicht weit weg vom langfristigen Gleichgewicht. Wir glauben, dass Staatsanleihen das Potenzial haben, das Portfolio vor einem noch stärkeren Ausverkauf risikoreicher Anlagen wie Aktien und Credits zu schützen. Das Hauptrisiko für Fixed-Income-Investoren bleiben aber weiterhin die Zentralbanken. Wenn diese die Straffung der Geldpolitik überziehen, könnte die Korrelation zwischen den sicheren und den riskanten Anlagen positiv bleiben.

Hat Nordea mit seinen Fonds eine Antwort auf die aktuelle ökonomische Situation?

Ich denke schon. Wir haben verschiedene Lösungen, die in das aktuelle Umfeld passen – sowohl im Fixed-Income-Bereich als auch im breiteren Anlageuniversum. Flexibilität ist selbstverständlich wichtig in einer Welt mit hoher Volatilität, damit wir sowohl in einer überhitzten ökonomischen Lage als auch in einer globalen Rezession agieren können. In einem Umfeld mit gestraffter Geldpolitik könnte auch Liquidität wieder wichtig werden für einige Kunden. Aus diesen Gründen wenden wir bei der Konstruktion unserer Portfolios auch viele Fixed-Income-Derivate mit hoher Liquidität an.

Sind etwa Covered Bonds ein Ausweg für Investoren?

Covered Bonds hatten bisher wie alle anderen Anleihenfonds Einbussen in diesem Jahr. Aber unsere Low Duration European Covered Bond-Strategie verzeichnete nur einen ziemlich geringen Verlust von 1%. Verglichen mit anderen Fixed-Income-Produkten ist das sehr gut. Wir mögen Covered Bonds wegen ihrer hohen Liquidität und der Risikoaversion. Bei den Fonds, die ich manage, sind Covered Bonds ein integraler Bestandteil unserer ausgewogenen Fixed-Income-Portfolios.

Sind ESG-Bonds die richtige Wahl?

Wir haben Kunden, die erwarten, dass unsere Fonds ESG-klassifiziert sind. Derzeit gibt es allerdings immer noch Hindernisse bei der Klassifizierung einzelner Komponenten der Portfolios. So ist beispielsweise eine Schlüsselfrage, wie wir mit den Derivativen umgehen, denn wie erwähnt, verwenden wir für Liquiditätszwecke häufig Credit Default Swaps, und da gibt es schon einige Fragen zu klären in Bezug auf ESG. Und natürlich spielt ESG mittlerweile eine extrem wichtige Rolle. Aber im aktuellen Umfeld können auch alle Vorteile von ESG nicht vor höherer Inflation, steigenden Anleiherenditen oder einer Straffung der Geldpolitik schützen. ESG ist wichtig, aber kein Heilmittel im aktuellen Umfeld.

Sind Sie für die nähere Zukunft positiv gestimmt?

Ich bin konstruktiv gestimmt. Was wir durchgemacht haben, ist einer der grössten Rückschläge aller Zeiten an den Anleihemärkten. Sowohl defensive als auch riskante Anlagen sind unter die Räder gekommen. Das bedeutet aber auch, dass es heute auf den Märkten wesentlich mehr Prämien zu holen gibt als noch vor ein paar Monaten.

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