13.06.2024, 13:55 Uhr
Diese Art der Hilfe für die Ukraine hat eine neue Qualität. Bis Ende des Jahres soll das von Russland angegriffene Land auf einen Kredit in Höhe von etwa 50 Milliarden US-Dollar zurückgreifen können - auch für...
Die Szenarien der weiteren Entwicklung des Ukraine-Konflikts lassen sich nur schwer voraussagen. Laut Olivier de Berranger von LFDE könnte auf die Märkte eine Situation zukommen, in der die USA mit einer drastischen geldpolitischen Straffung konfrontiert sind und Europa in ein Wachstumsloch fällt.
Über eine Woche ist vergangen und die Wogen haben sich noch lange nicht geglättet. Auf ukrainischem Boden wütet weiter der Konflikt, die Hauptstadt Kiew ist immer noch Schauplatz zahlreicher Gefechte und Russland scheint nicht gewillt zu sein, den Druck zu verringern, blickt Olivier de Berranger, CIO bei La Financière de l’Echiquier (LFDE), auf den Konflikt. Im Moment lasse sich nur sehr schwer abschätzen, was in den kommenden Wochen geschehen wird. Das Spektrum der denkbaren Szenarien reicht seiner Ansicht nach von einer schnellen Deeskalation im Falle einer Waffenruhe, die offensichtlich ein Thema der nächsten Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sein soll, über eine dauerhaft festgefahrene Situation bis hin zu einer Intensivierung des Konflikts. Man könne daher nur versuchen, Prognosen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser dramatischen Ereignisse anzustellen – dies allerdings mit Vorbehalt.
"Einige Dinge sind jedoch klar. Es steht beispielsweise fest, dass diese Situation – vor allem aufgrund des rasanten Anstiegs der Rohstoffpreise – nicht spurlos am Wachstum der Weltwirtschaft und an der Inflation vorübergehen wird. Ersteres wird zurückgehen, Letztere wird steigen. In welchem Ausmass das der Fall sein wird, lässt sich nur schwer beziffern", sagt Olivier de Berranger.
Das britische National Institute of Economic & Social Research rechnet beispielsweise für dieses Jahr mit einem potenziellen Rückgang des weltweiten BIP um einen Prozentpunkt und einem Anstieg der Inflation um 3%. Wenngleich der Anstieg des Ölpreises, der am Donnerstag nur knapp die 120-USD-Marke pro Barrel verfehlte, alle Regionen treffen wird, dürfte nach Einschätzung des CIO Europa wirtschaftlich wohl am stärksten unter den Folgen des Konflikts zu leiden haben. Denn die Europäische Union sei besonders abhängig von Primärenergieträgern aus Russland. Importe von russischem Rohöl machen mehr als 25% des Bedarfs der EU aus, bei Gas sind es über 45%, und auch die Kohleimporte sind erheblich.
Doch die aktuelle Situation bremse die Lieferungen. Und durch eine Eskalation der Sanktionen könnte die EU gezwungen sein, auf alle oder einen Teil der russischen Lieferungen zu verzichten. Dies könnte zu einer Explosion der Energiekosten bei einem gleichzeitigen Rückgang der Produktion in vielen Sektoren führen – die ohnehin schon mit Versorgungsengpässen bei anderen Rohstoffen zu kämpfen haben – vor allem bei Agrarerzeugnissen und Metallen.
Welche Reaktion ist von den Zentralbanken zu erwarten? Für die Europäische Zentralbank stelle sich die Situation vielleicht weniger komplex dar, meint Olivier de Berranger. Bei einer gegenüber den USA deutlich niedrigeren Kerninflation in der Eurozone verfügte die EZB bereits über grösseren Handlungsspielraum als die amerikanische Notenbank Fed. Sie dürfte sich kaum zu schnellem Handeln veranlasst sehen, wenn die Konjunktur einen Dämpfer erhielte und die Energiepreise rasant steigen würden, was sich letztendlich negativ auf die Kaufkraft der privaten Haushalte und damit auf den Konsum auswirken würde. Sie habe ihre Lehren aus den Fehlern von 2008 und 2011 gezogen, als sie allein aufgrund der Energieinflation bei gemässigter Kerninflation und instabiler Konjunktur den Leitzins erhöhte. Daher dürfte sie ihre Pläne für eine geldpolitische Straffung gewiss aufschieben, so der CIO.
Seiner Meinung nach treffen diese Überlegungen auf die Fed nicht zu: "Die Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft werden deutlich moderater ausfallen." Der Anstieg der Energiepreise werde die ohnehin bereits äusserst hohe und sich vor allem über alle Sektoren erstreckende Inflation weiter nach oben treiben. Der Fed bleibe also nichts anderes übrig, als ihre zügige geldpolitische Straffung mit einer ersten Zinserhöhung noch in diesem Monat und einer Reduzierung ihrer Bilanz bis zum Sommer weiter fortzusetzen.
Was bedeutet dies für die Märkte? "Auf sie könnte somit eine Situation zukommen, in der die USA mit einer drastischen geldpolitischen Straffung konfrontiert sind und Europa in ein Wachstumsloch fällt. Das sind Aussichten, die wenig Mut machen, aber eine etwas differenziertere Betrachtung verdienen", sagt Olivier de Berranger. Auf vielen Märkten haben die Bewertungen seit ihren Hochs im Sommer 2021 bereits eine deutliche Korrektur erfahren. So liegt beispielsweise in Europa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des EUROSTOXX 50 heute 8% unter seinem Median über 15 Jahre, während es im vergangenen Sommer 26% darüber lag. "Mit anderen Worten: Ein grosser Teil des Weges könnte bereits hinter uns liegen", meint der CIO von LFDE.