13.06.2024, 13:55 Uhr
Diese Art der Hilfe für die Ukraine hat eine neue Qualität. Bis Ende des Jahres soll das von Russland angegriffene Land auf einen Kredit in Höhe von etwa 50 Milliarden US-Dollar zurückgreifen können - auch für...
Die Schweizer Wirtschaft wird gemäss der KOF-Konjunkturprognose in diesem Jahr um knapp 3% zunehmen – allerdings nur im günstigen Szenario. Sollte sich die Ukraine-Krise ausweiten und sollten die russischen Energie- und Rohstoffexporte in die EU gestoppt werden sowie der Rohölhandel aus der Schweiz wegziehen und der Franken deutlich aufwerten, verbliebe 2022 nur noch ein BIP-Wachstum von 1%.
Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar und den dadurch ausgelösten Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland, befinde sich die Weltwirtschaft erneut im Krisenmodus. Der Aufschwung der Wirtschaft im Zuge der vielerorts gelockerten oder ganz aufgehobenen Massnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus werde damit derzeit durch neue negative Schocks belastet, so die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.
Kurzfristig spüre die Wirtschaft die Auswirkungen des Krieges in den markant angestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen. Diese Entwicklung verstärke die vielerorts bereits zuvor beobachteten Anstiege der Preisniveaus weiter. Der Handel mit Russland sei in allen Bereichen ausser jenem mit Energie praktisch zum Stillstand gekommen. "Da in der Schweiz viele im internationalen Rohstoffhandel tätige Firmen ansässig sind, könnte es bei weiteren, umfassenderen Embargos als bis anhin zu einem empfindlichen Wertschöpfungsverlust kommen. Schlussendlich könnte sich die Verunsicherung angesichts der Gefahr weiterer Eskalationen bis hin zu militärischen Angriffen auf weitere Staaten in der Region, negativ auf die Konsum- und Investitionsneigung auswirken. Selbst wenn es relativ bald zu einem Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland kommen sollte, hat dieser Krieg die geopolitische Lage und damit die Weltwirtschaft nachhaltig verändert", hält die KOF fest.
Ohne den russischen Einmarsch in die Ukraine hätte der Zuwachs des um Sportevents bereinigten Bruttoinlandprodukts (BIP) in diesem Jahr wohl nahe bei 3.2% gelegen (3.3% inkl. Sportevents). Gegenüber dieser kontrafaktischen (fiktiven) Wachstumsrate, die massgeblich durch die Erholung nach Aufhebung der Pandemie-Massnahmen angetrieben würde, beziffert die KOF den BIP-Anstieg nun im günstigen Szenario mit 2.9% (3.0% inkl. Sportevents). In diesem Szenario bleiben die wirtschaftlichen Folgen des Krieges auf die Weltwirtschaft mehrheitlich auf das zweite Quartal 2022 beschränkt, auch wenn viele der Sanktionen gegenüber Russland länger in Kraft bleiben werden.
Da aber weder Russland noch die Ukraine, bedeutende Handelspartner der Schweiz sind, ist der Schaden einer Unterbrechung der Handelsströme laut KOF im günstigen Szenario begrenzt, auch wenn einzelne Unternehmen drastisch betroffen sein werden. Im Jahr 2023 dürfte das sporteventbereinigte BIP um 2.3% (2.0% inkl. Sportevents) steigen. Diese Rate ist zwar deutlich niedriger als 2022, liegt aber immer noch über der Potenzialwachstumsrate. Da die Aufholeffekte nach der Corona-Krise allmählich nachliessen, normalisiere sich nach und nach die Dynamik.
Im Negativszenario unterstellt die KOF einen vollständigen Stopp aller russischen Energie- und Rohstoffexporte auch in die EU. Die Energiepreise werden nochmals massiv steigen und es käme in einigen europäischen Ländern vermehrt zu Produktionseinschränkungen. Die ausländische Nachfrage nach Schweizer Produkten würde sinken. Es wird zudem unterstellt, dass der Handel mit russischen Rohstoffen in der Schweiz gestoppt würde. Weiterhin geht die KOF in diesem Negativszenario von einer schnellen und kräftigen Aufwertung des Schweizer Franken aus. Unter diesen Annahmen betrüge die Wachstumsrate des sporteventbereinigten BIP im Jahr 2022 nur noch 1% (1.1% inkl. Sportevents). Dies wären rund 2 Prozentpunkte weniger als im günstigen Szenario. Im Jahr 2023 würde das BIP um 0.8% (0.5% inkl. Sportevents) ansteigen, also immer noch rund 1.5 Prozentpunkte tiefer ausfallen als im günstigen Szenario.
Der Unterschied zwischen dem Negativszenario und dem günstigen Szenario ist am ausgeprägtesten im zweiten Quartal 2022: Während im günstigen Szenario eine moderate, aber positive Wachstumsrate prognostiziert wird, fällt sie im Negativszenario in die Nähe von annualisiert -6%. Eine Rezession im technischen Sinne (definiert als zwei negative Quartale in Folge) wäre aber nicht zu verzeichnen, da das BIP-Wachstum im dritten Quartal durch einen kleinen Rückpralleffekt wieder leicht positiv ausfällt. Laut KOF bleiben die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten aber im dritten Quartal weiterhin stark unterausgelastet. In diesem Negativszenario wäre zudem der Arbeitsmarkt unter Druck. In stark betroffenen Branchen, wie etwa in Teilen des Verarbeitenden Gewerbes, käme es zu einem mehrere Quartale andauernden Stellenabbau.
Wie die KOF weiter analysiert, hat der aktuelle Anstieg der Inflation im In- und Ausland mit der Ukraine-Krise eine qualitative Veränderung erfahren. Aufgrund des Krieges dürfte die Inflation stärker steigen und nicht ganz so schnell zurückgehen, wie zuvor angenommen wurde. Es gebe erste Anzeichen dafür, dass sich die langfristigen Inflationserwartungen in der Schweiz bereits erhöht haben könnten. "Im Unterschied zu anderen Teilen Europas und den USA, wo die Inflation schon zum zweistelligen Bereich tendiert, kann für die Schweiz aber noch Entwarnung gegeben werden: Im günstigen Szenario werden die Schweizer Konsumentenpreise im Jahr 2022 um 1.9% steigen, im Jahr 2023 geht der Anstieg aber bereits auf 0.7% zurück. Im Negativszenario überschreitet die Teuerung mit 2.8% (2022) und 1.2% (2023) temporär den von der SNB als Preisniveaustabilität angesehenen Bereich von bis zu 2%", erwartet die KOF.
Die KOF nimmt für alle Szenarien an, dass es nicht zur Wiedereinführung von Kontaktbeschränkungen kommen wird. Nach dem für die Schweiz zugrunde gelegten Endemieszenario werden COVID-19- Krankheitsfälle zum Alltag gehören und die Aktivitäten der Gesunden kaum mehr beeinträchtigen. Da die Pandemie aber noch lange nicht ausgestanden sein dürfte, was das Risiko des Auftretens neuer und wieder gefährlicher Virusvarianten birgt, und darüber hinaus noch nicht klar ist, wie lange die jetzige Immunität in der Schweizer Bevölkerung gegenüber den jetzt zirkulierenden Varianten anhalten wird, könnte sich das unterstellte Endemieszenario im Nachhinein als zu optimistisch erweisen.