26.05.2023, 09:11 Uhr
Die Zahl der Ansteckungen steigt seit Wochen stetig an. In Peking sei Covid-19 seit vier Wochen wieder das vorherrschende Virus unter allen Infektionskrankheiten, wie die lokale Gesundheitskommission mitteilte.
Mit der steigenden Zahl an Neuinfektionen durch das Coronavirus nimmt die Unsicherheit für die wirtschaftliche Entwicklung wieder zu. Die Konjunkturforschungsstelle KOF rechnet in einem Basisszenario für dieses Jahr mit einem BIP-Rückgang von 3.6%. Verschärft sich die Pandemie-Situation allerdings weiter, ist mit einem Minus von 4.9% zu rechnen.
Nach der schweren Rezession im ersten Halbjahr hat sich die Schweizer Wirtschaft im dritten Quartal 2020 teilweise wieder erholt. In vielen Branchen – etwa im Detailhandel – hat sich die Lage während des Sommers zwar entspannt. Trotzdem leiden die meisten Bereiche nach wie vor unter der aussergewöhnlichen Situation, insbesondere das Gastgewerbe oder der Transport (Verkehr). Da die Infektionszahlen im Moment deutlich ansteigen, nimmt auch die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie wieder zu. Die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich hat deshalb am Donnerstag zwei Szenarien für die Konjunkturentwicklung präsentiert.
Im Hauptszenario wird angenommen, dass die Zahl der Neuinfektionen in den Herbst- und Wintermonaten gegenüber dem Sommer höher liegt und die Schutzmassnahmen verschärft werden. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Erholung zwar ins Stocken gerät, es aber keine breit abgestützten Rückgänge wie im Frühjahr geben wird. In diesem Szenario prognostiziert die KOF für 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 3.6% (Prognose-Update August: -4.7%). 2021 sei dann wieder mit einem BIP-Wachstum von 3.2% zu rechnen (3.7%). Das Vorkrisenniveau werde nicht vor Ende 2021 erreicht. Dass die Prognose insbesondere für 2020 deutlich nach oben korrigiert wurde, liege an neu berechneten, offiziellen Zahlen für die vergangene Entwicklung und einer positiveren Einschätzung des dritten Quartals 2020.
Im Negativszenario geht die KOF davon aus, dass sich die Pandemie im Herbst und Winter deutlich heftiger zurückmeldet und bis ins Frühjahr 2021 anhält. Um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, kommt es in diesem Szenario zu partiellen Lockdowns und Stilllegungen einzelner Geschäftszweige. Angenommen wird, dass die schwächere Wirtschaftsaktivität im In- und Ausland zu neuerlichen Einbrüchen der Nachfrage führt, die sich negativ auf die Produktion auswirken. Im Negativszenario rechnet die KOF für 2020 mit einem Einbruch des BIP um 4.9%. Die Erholung im nächsten Jahr fällt mit einem Wachstum von 1.5% deutlich schwächer aus als im Basisszenario. Das Vorkrisenniveau werde frühestens 2023 wieder erreicht.
Dass sich die Schweizer Wirtschaft im Vergleich zu vielen anderen Ländern bislang als widerstandsfähiger erwiesen hat, dürfte zum einen an den breit eingesetzten Stützungsmassnahmen (Kurzarbeit, Einkommensbeihilfen, COVID-19-Kredite) liegen. Hinzu kommt der grosse Anteil des Transithandels und der chemisch-pharmazeutischen Industrie, die beide wenig auf Konjunkturschwankungen reagieren. Letztere verzeichnete im zweiten Quartal 2020 ein Wachstum von 0.3% (nicht-annualisiert). Das Verarbeitende Gewerbe wurde hingegen massiv getroffen. Die Produktion in diesem Sektor schrumpfte um 10.3%. Insgesamt wird die Erholung in der Schweizer Industrie vor allem von der Lage in den wichtigsten Exportdestinationen abhängen. Trifft das Basisszenario der KOF ein, wird die Produktion dieses Jahr um knapp 5% schrumpfen und 2021 um rund 4% zunehmen.
Im Detailhandel hat sich die Geschäftslage im Sommer deutlich entspannt, im September konnte sie zumindest gehalten werden. Laut den KOF Konjunkturumfragen ist die Lage im Moment ähnlich befriedigend wie vor der Pandemie. Innerhalb des Detailhandels tut sich allerdings ein Graben auf. Während Supermärkte, Warenhäuser sowie der Versand- und Onlinehandel klar besser dastehen als vor der Krise, leiden andere Bereiche wie der reine Lebensmittelhandel nach wie vor. Auch das Gastgewerbe ist von einer Normalisierung weit entfernt.
In der diesjährigen Rezession spielt der private Konsum keine stützende Rolle. Die KOF rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang von 4%. Der Grossteil des nicht getätigten Konsums werde gespart. Die Sparquote (ohne Pensionsansprüche) dürfte deshalb auf 18.7% hochschnellen. 2019 hatte sie noch 13.8% betragen.
Die Pandemie traf den Schweizer Arbeitsmarkt im zweiten Quartal mit voller Wucht. Die Erwerbstätigenzahl nahm im Vergleich zum Vorquartal saisonbereinigt um 2% ab. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Sommer kam deshalb überraschend. Verantwortlich dafür dürfte vor allem die Wirksamkeit der Kurzarbeit sein. Für eine Entwarnung ist es aber laut der KOF zu früh: Die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit ist immer noch hoch und einige Unternehmen profitierten im Sommer von Sondereffekten – wie Teile des Detailhandels, der auf Nachholeffekte beim Konsum zählen konnte. Da diese Sondereffekte auslaufen und es zu Entlassungen von Angestellten kommen dürfte, die gegenwärtig in Kurzarbeit sind, sei mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Die KOF erwartet eine Arbeitslosenquote gemäss SECO von 3.2% in diesem und 3.6% im nächsten Jahr.
Der Euroraum verzeichnete im zweiten Quartal einen BIP-Rückgang von fast 12% (nicht-annualisiert), mit entsprechenden Folgen für die Schweizer Exportwirtschaft. Mit dem zwischenzeitlichen Rückgang der Infektionszahlen und der Lockerung von Schutzmassnahmen erholt sich die Weltwirtschaft seit dem Frühsommer rasant. Trotzdem lag die globale Produktion Ende September gemäss Schätzungen der KOF immer noch rund 4% tiefer als vor der Rezession (aggregiert mit Schweizer Exportgewichten). Zudem verlangsamte sich die Erholung jüngst. Insgesamt wird die Produktion im Euroraum in diesem Jahr gemäss dem Basisszenario um 6.8% schrumpfen, gefolgt von einem kräftigen Zuwachs von 4.5% im nächsten Jahr. Für die USA sind Wachstumsraten von -4.2% (2020) und 3.7% (2021) zu erwarten, für das Vereinigte Königreich von -9.6% (2020) und 6.2% (2021).