26.05.2023, 09:11 Uhr
Die Zahl der Ansteckungen steigt seit Wochen stetig an. In Peking sei Covid-19 seit vier Wochen wieder das vorherrschende Virus unter allen Infektionskrankheiten, wie die lokale Gesundheitskommission mitteilte.
Die US-Notenbank senkt die Zinsen auf fast Null, was die Märkte als Akt der Hilflosigkeit interpretieren. Entlastung könnte nur vom Umgang mit dem Coronavirus selbst kommen. Hier sollte man sich weniger auf die Zahl der Neuansteckungen als auf Fortschritte in der Bewältigung der Pandemie konzentrieren, kommentiert DWS.
Um zu verdeutlichen, wie aussergewöhnlich die Zeiten aus Marktsicht sind, reicht ein Blick auf die Massnahmen der amerikanischen Zentralbank am Sonntagabend und die darauffolgende Reaktion der Märkte. Die US Federal Reserve (Fed) gab nach ihrer zweiten außerordentlichen Sitzung in diesem Monat bekannt, den Leitzins um einen vollen Prozentpunkt auf das Band 0,00 bis 0,25 Prozent zu senken. Gleichzeitig kündigte sie Anleihekäufe in Höhe von 700 Mrd. Dollar, sowie zahlreiche Massnahmen zur Stützung der kurzfristigen Liquidität an den Geldmärkten an. Zusammen mit anderen Zentralbanken wurde zudem versucht, den internationalen Bedarf an US-Dollar-Liquidität zu decken.
Die Reaktion der Märkte war ernüchternd. Die US-Börsen brachen um rund 12% ein, Europas Börsen lagen Montagvormittag zwischen fünf und zehn Prozent hinten, das Fass Öl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) fiel erneut deutlich unter 30 Dollar und auch Gold diente einmal mehr nicht als sicherer Hafen, sondern als Quelle der Liquidität und verlor erneut an Wert.
Am deutlichsten ist jedoch die Reaktion auf der Zinsseite. Trotz der massiven Senkung der Fed reagierten die Renditen der zehnjährigen US Treasuries nur mit einem unmittelbaren Abschlag von 0,3 Prozentpunkten, die im Laufe des Tages auf 0,2 Prozentpunkte schrumpfte. Zweijährige rentierten vormittags um weniger als 20 Basispunkte niedriger. Bundrenditen reagierten so gut wie gar nicht. Auch von weiteren Hilfspaketen anderer Zentralbanken (in Japan wurde die Verdopplung der Aktienmarkt-ETF-Käufe auf 12 Bio. Yen angekündigt und China pumpte 13,2 Mrd. Dollar frisch ins System) liess sich der Markt nicht beeindrucken.
Ein Grund dafür könnte laut DWS sein, dass die Fed mit ihrer drastischen Kürzung den verbliebenen Aktienanlegern erstens den Ernst der Lage vor Augen geführt hat und zweitens die Fantasie auf weitere Zinssenkungen genommen hat, indem sie nicht nur jetzt um vier Schritte gesenkt hat, sondern darüber hinaus deutlich gemacht hat, dass sie die Nullgrenze nicht unterschreiten wird. "Als Stütze der Aktienmärkte sollte die Fed damit vorerst wohl ausfallen. Vielmehr werden die geldpolitischen und fiskalischen Hilfspakete lediglich als notwendiges Mittel gesehen, um das Funktionieren der Märkte und der Wirtschaft im Rahmen der Möglichkeiten zu gewährleisten. Schmerzlinderung, aber keine Krankheitsbekämpfung", kommentiert das DWS Chief Investment Office.
Aus diesen Marktreaktionen könnte man ableiten, dass es den Anlegern derzeit wenig anders als der Gesamtbevölkerung geht: Die Hilfspakete der Zentralbanken und Regierungen können die Negativnachrichten von der Corona-Pandemie nicht kompensieren, die Möglichkeiten dieser Institutionen werden als erschöpft angesehen.
Aus welcher Richtung könnte also eine Entlastung der Situation erfolgen? "Wir denken aus zweien: aus medizinischer Richtung oder aber aus gesellschaftlicher. Mit letzterem meinen wir einen geübteren Umgang mit der Pandemie, ein Arrangieren mit der jetzigen Situation. Denn auf die Rücknahme einmal verhängter Vorsichtsmassnahmen sollte man so schnell nicht setzen. Sie sind politisch heikel, solange auf medizinscher Seite keine wirklichen Fortschritte erkennbar sind. Doch die Menschen und Unternehmen werden sich im Laufe der nächsten Wochen auf die jetzt noch sehr neue Situation einstellen müssen, was natürlich den zu erwartenden finanziellen Stress für viele Firmen nicht lindern wird", so DWS.
Die Entlastung aus medizinischer Sicht kann wiederum mehrere Routen nehmen, wie DWS ausführt. Zunächst sollte man sich von einer zu grossen Fokussierung auf die Zahl der täglichen Neuansteckungen in den verschiedenen Ländern lösen. Die Hoffnung, dass eine einmal eingesetzte Trendumkehr und Eindämmung unumkehrbar sei, könnte verfrüht sein (China, Japan, Singapur, Taiwan und Südkorea). Zumal sich die Umstände in den jeweiligen Ländern stark voneinander unterscheiden. Die Anleger wären demnach gut beraten, sich bereits jetzt darauf einzustellen, dass sich die Höchstmarke der absoluten Neuansteckungen in Europa, und ebenso in den USA, noch einige Monate nach hinten ziehen kann. Zumal es ja das erklärte Ziel der Sicherungsmassnahmen ist, die Geschwindigkeit der Neuansteckungen abzuflachen, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern.
Ein weiterer Kanal ist natürlich ein Impfstoff. Hier sollte man, auch im positiven Sinne, keine Überraschung ausschliessen, aber als Kernszenario sollte man laut DWS wohl nicht vor Ende des Jahres damit rechnen. Schliesslich bleibt noch, und das dürfte wohl den zurzeit am meisten unterschätzten Hoffnungsschimmer darstellen, verbesserte medizinische Behandlungsmöglichkeiten für die Covid-19 Patienten. An den unterschiedlichen Mortalitätsraten der verschiedenen Länder lasse sich jetzt bereits ablesen, wie viel Potenzial hier noch steckt. Das Virus verlöre einen Grossteil seines Schreckens, gäbe es hier weitere Fortschritte.
Doch vorerst dürften die Anleger noch auf andere Signale, und seien diese auch widersprüchlich, reagieren, erwartet das DWS CIO Office. Positiv werden die rückgängige Anzahl der Neuansteckungen in China, derzeit nur noch zweistellig (absolut), gesehen. Ebenso wie die Beispiele Japan, Singapur und Südkorea, wo sich die Neuansteckungskurven stark abgeflacht haben. Ebenfalls positiv bewerten viele Marktteilnehmer auch die Aussagen des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach das Virus durchaus kontrollierbar sei, und entsprechend nicht erst eine Herdenimmunität vorliegen muss, um einen Rückgang der Neuansteckungen zu erreichen.
Ungeachtet einer möglichen positiven Wendung scheint jetzt bereits absehbar, dass der weitgreifende Stillstand des Grossteils des öffentlichen Lebens sowie die Grenzschliessungen zu einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Europa und auch in den USA dieses Jahr führen dürfte. Verschärft werden könnte dies noch durch Zahlungsengpässe, die von keiner noch so schnell agierenden Zent-ralbank oder Regierung (via Förderbank) verhindert werden können. Das Ausmass des Wirtschaftseinbruchs ist noch nicht abzusehen und hängt von der Länge und dem Umfang weiterer Sicherheitsmassnahmen ab.
Wie sehr sich Ökonomen schon im Falle Chinas verrechnet hatten, zeigt sich in den jüngsten Daten: die Industrieproduktion sank im Januar und Februar zusammengerechnet um 13,5 (3,0) %, Einzelhandelsumsätze um 20,5 (4) % und Anlageinvestitionen um 24,5 (2) % (in Klammern die jeweilige Konsensschätzung der Analysten).
Die unvermindert hohe Volatilität, sowie die Geschwindigkeit und Dimension der Marktkorrektur dürfte laut DWS dazu führen, dass zahlreiche Portfolioumschichtungen noch vollzogen werden müssen, was das Marktgeschehen der nächsten Tage weiterhin erratisch lassen sollte. Bei deutlicher Ausschöpfung der Risikobudgets, aufgrund der gemessenen höheren Risiken, würden viele Anleger weiter daran arbeiten müssen, sich von Aktien und Unternehmensanleihen zu trennen. Auch die Hilfspakete der Zentralbanken könnten daran nur wenig ändern. "Sie lindern zumindest den Druck hochgehebelter Marktteilnehmer, sich sofort von Anlagen in grösserem Ausmass trennen zu müssen", so DWS.