Wie ansteckend ist Chinas Börsen-Grippe wirklich?

Der US-Wirtschaft wird die jüngste Entscheidung der US-Notenbank, von einer Zinserhöhung nochmals abzusehen, kaum Schaden zufügen. Sie verstärkte aber die Vorstellung, dass sich der Rest der Welt erkältet, wenn sich China verschnupft. Das verunsichert zunächst zusätzlich. Dabei zeigt die Geschichte ganz klar: Solange die US-Konjunktur rund läuft, bleiben globale Haussen auch dann intakt, wenn selbst die grössten Volkswirtschaften zu husten beginnen.

23.10.2015, 14:26 Uhr
Alternatives

Chinas Börsencrash und die Yuan-Abwertung sorgen seit Sommer für Unruhe. Das Wachstum der zweitgrössten Ökonomie nimmt schon seit Jahren stetig ab. Der starke US-Dollar, die Rohstoffbaisse und der damit verbundene Kapitalabfluss bringt viele Emerging Markets in Bedrängnis. Das sind Dinge, die wir beachten. Sie beeinflussen unsere Anlagepolitik. Mit der Entscheidung vom 17. September, die US-Leitzinsen vorerst nicht zu erhöhen, hat die Federal Reserve diese Probleme zusätzlich ins Rampenl icht gerückt. Die Börsen haben mehrheitlich dementsprechend mit Verlusten reagiert. Genau daher lohnt es sich, eine Beobachtung, die wir vor vier Wochen nur nebenbei erwähnt haben, noch einmal etwas näher zu beleuchten: Extreme Wachstums- und Währungsschwankungen grosser Volkswirtschaften kommen historisch immer wieder vor und haben bisher noch keine Aktienhausse abgewürgt.


Archipel Nippon als historisches Paradebeispiel
Das Paradebeispiel dafür ist Japan in den 1990ern. Wenn wir das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes in Relation zum US-BIP in USD betrachten, können wir globale Wohlstandsverschiebungen zu laufenden Markt-preisen eindrücklich darstellen. Japan 1995 erreichte aus dieser Sicht den Höhepunkt bei rund 70% des US-BIP (Grafik 1 im PDF-Link). Es war damals also um einiges grösser als China heute (60%) und zudem auch enger und länger mit dem Westen vernetzt. Danach ging es aber bergab. Heute macht Nippons BIP lediglich 25% des amerikanischen aus. Doch abgesehen von kurzfristigen Turbulenzen wurden die Börsen Amerikas und Europas dadurch nicht negativ beeinflusst. Im Gegenteil: Bis Sommer 2000 erlebten wir sogar eine Jahrhunderthausse. Der MSCI All Country World (USD) verdoppelte sich, was einer aussergewöhnlich hohen annualisierten Rendite von rund 16% pro Jahr entspricht. Japan selbst hinkte in jener Phase mit nur 0.6% p.a. deutlich hinterher - aber selbst das ging wahrscheinlich eher auf die Asienkrise von 1997 als auf die hausgemachte deflationäre Stagnation des nordwestpazifischen Inselstaates zurück.


Wer nun glaubt, dass Japans Niedergang nur deswegen keine Rolle spielte, weil Chinas Aufstieg schliesslich genau in jener Zeit stattfand, der kann alternativ das Beispiel Europa von 1980 bis 1985 betrachten (Grafik 2 im PDF-Link). China war in jenen Jahren noch kein Faktor, das zurückgerechnete Euroraum-BIP in USD hingegen in etwa so gross wie jenes der USA. Und obwohl das Euroland-BIP von 103% auf nur 55% des US-BIP einbrach, erlebten wir die zweitstärkste Hausse der Nachkriegszeit, nach jener der 1990er: Der S&P 500 legte von 1980 bis 1985 um 15.4% p.a. zu, der japanische Topix um 10.2% p.a. (in USD).

Die Robustheit der US-Konjunktur ist von herausragender Bedeutung
Die Tatsache allein, dass sich eine grosse Ökonomie eine gröbere Grippe zuzieht, muss globale, langfristig orientierte Anleger nicht abschrecken. Selbst der derzeit unwahrscheinliche Extremfall eines noch schärferen Wachstumseinbruchs Chinas und/oder einer deutlichen Yuan-Abwertung in den kommenden Jahren muss nicht das Ende der Hausse in den USA, Europa oder Japan bedeuten. Es gibt andere Faktoren, die solche Entwicklungen ausgleichen können. Wichtig ist, dass die USA als zentrale Volkswirtschaft des Weltsystems schnupfenfrei bleiben. Wir glauben, dass Letzteres derzeit der Fall ist (Grafik 3 im PDF-Link).


Im Fazit dürften die Finanzmärkte angesichts der Sorgen rund um China in naher Zukunft volatil bleiben. Die kommenden Monate werden aber auch zeigen, ob sich die US-Wirtschaft weiterhin als gesund erweist, um auf Wachstumskurs zu bleiben und die aufgeschobene Normalisierung der US-Geldpolitik zu verkraften. Vielleicht könnte eine Zinserhöhung sogar als positiver Impuls wirken. Eine kritisch-abwartende, aber insgesamt konstruktive Haltung und Anlagestrategie erscheint daher weiterhin als angebracht.

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