23.12.2024, 14:23 Uhr
In eigener Sache: 2024 war nicht nur an den Börsen ein erfolgreiches Anlagejahr mit neuen Rekordständen. Auch Investrends hat mit weit über 2000 publizierten Beiträgen eine neue Höchstmarke erreicht und wird im...
Europa erlebt nach verhältnismässig ruhigen Sommermonaten eine zweite Infektionswelle, deren Ausgang noch ungewiss ist. Lukas Rühli von Avenir Suisse kommentiert auf Basis der Experten-Schätzungen des IWF die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der Massnahmen zu ihrer Eindämmung.
Gegenüber den im Vorjahr prognostizierten Werten betragen die Verluste im internationalen Durchschnitt für das Jahr 2020 je nach Weltregion zwischen 6% bis 10% des BIP (vgl. Abbildung). Unklar ist der weitere Verlauf. "An sich ist Corona ein klassischer exogener Schock, aus dem heraus eine Volkswirtschaft wieder verhältnismässig schnell auf ihren alten Wachstumspfad zurückfinden müsste. Das spräche dafür, dass sich die gegenüber der 2019er-Prognose aufgeklafften Lücken in den Folgejahren schnell schliessen", erläutert Lukas Rühli von Avenir Suisse.
In der Realität sei es aber leider nicht so einfach. Eine von aussen herangetragene Krise könne zu einer Kettenreaktion negativer Auswirkungen führen, die sich quer durch Wirtschaft und Gesellschaft fressen und kaum prognostizieren liessen. Der offensichtlichste Risikofaktor seien die Staatsschulden, so Rühli. Viele Länder starteten schon überschuldet in die Pandemie – die dann zu einem Einbruch der Einnahmen und zu enormen Mehrausgaben der öffentlichen Hand führte. Die Folgen absehbarer Staatsbankrotte könnten wiederum Auswirkungen auf andere Länder haben. Auch die politische Stabilität und der gesellschaftliche Friede sei durch solche Krisen gefährdet, weil sie einen Nährboden für eine weitere politische Polarisierung, für Unruhen oder gar Umstürze bilden.
Im Nachgang des Corona-Einbruchs prognostizieren die IWF-Experten zwar durchaus einen gewissen Aufholprozess, doch unter den sechs Länderklassen soll bis 2024 keine deutlich mehr als die Hälfte des 2020er-Einbruchs wettmachen (vgl. Abbildung). Global und über diese fünf Jahre aggregiert kumulieren sich die Wertschöpfungsverluste auf den astronomischen Betrag von 24,4 Bio. Franken.
Aufschlussreich sind laut dem Experten die Unterschiede zwischen den Länderklassen: Am ehesten eine V-Form, also eine rasche Erholung, wird für die entwickelten Volkswirtschaften (weite Teile Europas inklusive Schweiz, USA, Kanada, Israel, Japan, Südkorea, Singapur, Hong Kong, Taiwan, Australien, Neuseeland) prognostiziert. Sie schliessen bis 2024 immerhin etwas mehr als die Hälfte der Prognoselücke. Dicht darauf folgen die europäischen Schwellenländer und (das von China dominierte) Ostasien, wo der Einbruch mit 6% aber schon 2020 am geringsten war.
Eine fast perfekte L-Form wird hingegen (im Durchschnitt) für die Entwicklungs- und Schwellenländer Afrikas, dem Nahen Osten, Zentralasien sowie Lateinamerika und der Karibik prognostiziert. Sie werden in den nächsten Jahren – im Verhältnis zur Vorjahresprognose – kaum etwas vom covidbedingten Einbruch wettmachen. "Das untermauert die These, dass die Gefahr negativer Kettenreaktionen in Ländern mit schwächeren politischen Institutionen höher ist als in solchen mit starken. In Ersteren schwelen oft schon länger Konflikte im Unterholz, aus denen dann mit Corona als Zündfunken schnell Grossbrände werden können", folgert Rühli.
Avenir Suisse hat auf Basis der IWF-Prognosen der letzten zwölf Jahre zur Entwicklung des BIP pro Kopf 25 Länder analysiert. Bei Durchsicht dieser mehrheitlich grossen Volkswirtschaften zeigt sich: Ähnlich wie bei der Finanzkrise des Jahres 2008 gibt es demnach kaum ein Land, das durch die Corona-Krise nicht einen deutlichen Einbruch seiner Wachstumskurve zu verzeichnen hat. Anderseits ist der BIP-Einbruch vielerorts nicht entscheidend grösser als bei der Finanzkrise. Rühli macht spezifische Beobachtungen dazu:
Nicht wenige Länder durchleben also als Folge diverser wirtschaftlicher Einbrüche seit der Finanzkrise eine voraussichtlich jahrzehntelange Phase der Wohlstandsstagnation. "Es ist schwierig, seit Beginn der Industrialisierung ähnlich lange Perioden des Stillstands – bzw. präziser: des sich gegenseitig auslöschenden Auf-und-Abs – auszumachen", stellt Rühli fest und fügt an: "Derart lange Phasen der Stagnation erschüttern das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft und sie öffnen den leeren Heilsversprechen von Populisten Tür und Tor. Das stellt eine Gefahr für freiheitliche Rechtsordnungen und demokratische Institutionen dar. Es ist zu hoffen, dass diese ohne permanenten Schaden aus den Krisen hervorgehen – denn sie sind wiederum die wichtigsten Pfeiler für Prosperität und individuelle Freiheit."