23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Die Gesellschaft stehe am Scheidepunkt zu einer Revolution in Bezug auf die menschliche Biologie, sagt Julia Angeles von Baillie Gifford. Im Interview erklärt die Fondsmanagerin des Health Innovation Fund, warum sie und ihr Team nur in Unternehmen investieren, die den tiefgreifenden Wandel im Gesundheitswesen vorantreiben.
Die Covid-19-Pandemie scheint den Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen zu beschleunigen. Wie verändert die Pandemie das Innovationsstreben in der Gesundheitsbranche?
Julia Angeles: Ich sehe drei Bereiche, wo die Pandemie zu einer Beschleunigung der Innovationen führt: Zum einen ist das die Telemedizin. Da die Menschen während der Lockdowns in vielen Ländern keine physischen Arztbesuche machen konnten, konnten sie mit Ärzten oder Apotheken nur online in Verbindung treten. Entsprechend wurden diese Services deutlich mehr in Anspruch genommen. Unternehmen, die solche Plattformen anbieten, haben einen Schub erlebt und sind entsprechend gewachsen.
Ist die Zunahme der Nachfrage nach Telemedizin und Online-Medizin-Services nur Pandemie-bedingt oder tatsächlich dauerhaft?
Telemedizin und Online-Medizin-Services sind nicht neu, es gibt sie seit ungefähr einem Jahrzehnt. Sie wurden aber nie wirklich geschätzt von Ärzten, weil diese offenbar den physischen Kontakt mit den Patienten als überlegen betrachten. Durch Covid-19 sind nun viele Ärzte überhaupt erst mit der Telemedizin in Berührung gekommen und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Hier sehen wir eine permanent grössere Nachfrage bei den Firmen, die die Technologien für Telemedizin und Online-Services im Gesundheitsbereich entwickeln.
Und die zwei anderen Bereiche, die von Covid-19 gewissermassen profitieren?
Der zweite Bereich steht im Bezug zum ersten und strebt Lösungen dafür an, wie Krankheiten über Online-Services behandelt werden können. Und der dritte betrifft das Marketing und den Vertrieb von Medikamenten, also Plattform-Technologien, die dabei unterstützen, Medikamente online zu bewerben und an Ärzte und Patienten zu vermitteln. Eine solche Firma ist zum Beispiel die japanische M3.
Dann gehört also auch im Gesundheitsbereich die Zukunft den Plattformen?
Ja, ich denke schon. Bei der Lancierung von Medikamenten wie jetzt bei Covid-19 muss es schnell gehen und es stellt sich die Frage, ob ein Medikament oder eine Impfung wirklich alle Phasen der Entwicklung durchmachen soll. Wir haben zum Beispiel Moderna in unserem Portfolio, die ein Bestandteil für Impfungen auf Basis der Messenger RNA entwickelt. Moderna war in der Lage, das Produkt für die Entwicklung einer Covid-19-Impfung bereits 42 Tage nach der Sequenzidentifizierung des Virus ins Stadium der klinischen Entwicklung zu bringen. Jetzt bauen bereits mehrere potenzielle Impfstoffe auf dieser Basis auf. Hier eine klinische Plattform aufzubauen, ist eine wirklich interessante Entwicklung.
Wie verändert das die Wettbewerbssituation in Pharma und Diagnostik?
Die Firmen, die Plattformen betreiben – also Technologien entwickeln, die zum Beispiel befähigen, ein Medikament nach dem anderen auf den Markt zu bringen, haben auf längere Frist grössere Chancen, sich durchzusetzen und erfolgreich zu sein. In der Diagnostik werden sich jene Unternehmen durchsetzen, die Instrumente und Software entwickeln, mit denen diagnostische Untersuchungen auf einfache und günstige Art und Weise durchgeführt werden können – zum Beispiel von den Patienten selbst zu Hause. Das könnte auch ein Covid-19 Test sein, aber das gilt auch ganz generell für das Gesundheitsuniversum.
Was ist der Marktvorteil der kleineren Unternehmen gegenüber den grossen Pharma-Firmen?
Flexibilität ist einer der Hauptvorteile der kleineren Firmen. Sie sind viel kreativer und von ihrer Mission getrieben. Sie ziehen auch Talente an, die etwas bewegen wollen. Es ist auch ein Braindrain bei den grossen Pharma-Firmen zu beobachten. Und die grossen Konzerne geraten relativ schnell in Interessenkonflikte, wie die Entwicklung eines besseren Medikaments, das möglicherweise die bestehenden Einnahmequellen kannibalisieren könnte. Sie setzen Milliarden mit einem Medikament um, und wenn eines davon ausläuft, entsteht massiver Druck, einen nächsten Blockbuster zu finden. Dieser Druck könnte kontraproduktiv sein, um wirklich neue wissenschaftliche Erkenntnisse und die nächsten Durchbrüche zu entwickeln.
Sie erwähnen im Zusammenhang mit dem Health Innovation Fund, dass die Gesellschaft am Scheidepunkt zu einer Revolution in Bezug auf die menschliche Biologie steht. Was meinen Sie damit?
Die menschliche Biologie ist sehr komplex. Wir sind immer besser in der Lage, die enormen Datenmengen, die in Bezug auf die Gesundheit und Krankheiten zusammenkommen, zu sammeln und zu ordnen mit Big Data, Machine-Learning-Instrumenten und künstlicher Intelligenz. Ein weiterer Meilenstein sind therapeutische Errungenschaften wie etwa Gentherapien, und es werden laufend neue Therapien entwickelt. Die Revolution liegt neben den genannten technologischen Fortschritten in der Art und Weise, wie verschiedene Technologien kombiniert werden. Um zum Beispiel eine völlig neue Klasse von Medikamenten wie die Messenger-RNA zu entwickeln, brauchen wir ein Verabreichungsvehikel, welches das Medikament zur richtigen Zelle bringen kann. Kenntnisse aus Physik und Materialwissenschaften sind dafür entscheidend. Oder in der Diagnostik: Butterfly Network hat ein mobiles Ultraschall-Gerät von der Grösse eines Rasierapparats entwickelt. Die Gerätekosten sind rund 100mal geringer als bei herkömmlichen Geräten, die in Krankenhäusern eingesetzt werden. Dazu ist das Gerät mobil und einfach auch für "Laien" mittels App in Kombination mit einem Smartphone einsetzbar. Dafür werden Machine Learning-Tools genutzt. Und auch die Diagnose übernimmt die Software. Das Paket schafft enormen Mehrwert. In Zukunft wird die Firma die Geräte wahrscheinlich irgendwann gratis abgeben und nur noch Updates und neue Software für weitere Anwendungen verkaufen, denn die Technologie basiert auf einem Chip und der Fortschritt in der Halbleiterindustrie ist enorm. Die Hardware wird also immer billiger werden. Die grossen Medtech-Unternehmen, die weiterhin nur Hardware verkaufen, werden damit ihre Probleme bekommen. Die Revolution findet also in vielen verschiedenen Bereichen statt. Entscheidend ist, dass alle diese Bereiche zusammenkommen und so eine Art Explosion erzeugen können.
Welche Rolle kann ein Investmentmanager wie Baillie Gifford dabei spielen?
Die Wichtigste…nein, Spass beiseite. Aber wir sind nicht nur da, um die Früchte zu pflücken, sondern wir wollen die Frucht wachsen lassen. Die Firmen, die wir auswählen, sind nicht auf das nächste Quartalsresultat ausgerichtet. Unternehmen im Gesundheitssektor brauchen Zeit und Unterstützung. Die erste Rolle ist also, das Unternehmen bei der Markteinführung zu unterstützen. Zweitens braucht es vor allem auch Kapital und Geduld, um zu wachsen. Ein Beispiel: Letztes Jahr kamen wir mit dem belgischen Biotechunternehmen Argenx ins Gespräch. Argenx entwickelt mit Hilfe seiner zahlreichen Antikörperplattformen gezielte Antikörpertherapien und benötigte neues Kapital für sein weiteres Wachstum. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung hat Baillie Gifford dann mehr als 200 Mio. US-Dollar investiert. Mit uns als Leadinvestor sind weitere bestehende und neue Investoren aufgesprungen und die Kapitalerhöhung hat dem Unternehmen insgesamt mehr als 500 Mio. US-Dollar neues Kapital eingebracht. Einen solchen Schneeballeffekt zu erzielen, ist gut für uns als Investor wie auch für das Unternehmen. Mit dem Investieren von Primärkapital fördern wir direkt wichtige Innovationen im Gesundheitswesen, erzielen also tatsächlich Wirkung. Die dritte Rolle, die in der Natur der Sache liegt, ist der Schutz vor dem Wertzerfall sowohl auf der Investment- als auch auf Unternehmensseite. So können die Unternehmen sukzessive ihren Wert bilden und müssen sich nicht in die Arme grosser Pharma-Konzerne werfen. Wir wollen also die Unabhängigkeit der Unternehmen schützen.
Haben Sie ein Beispiel für ein Unternehmen, das Sie vor einer Übernahme "gerettet" haben?
Ja, Illumina. Roche wollte das Unternehmen 2012 übernehmen. Wir waren einer der grössten Aktionäre und konnten die Übernahme verhindern. Das hat sich ausbezahlt, denn Illumina macht einen super Job.
In welche Unternehmen investieren Sie konkret?
Wir investieren ganzheitlich in Gesundheit, also nicht nur im Pharma- oder Medtech-Bereich. Wir investieren nur in Unternehmen, die den tiefgreifenden Wandel im Gesundheitswesen vorantreiben. Unternehmen, die uns allen helfen, unseren bisherigen Ansatz im Gesundheitswesen zu überdenken. Zuerst ist es uns deshalb sehr wichtig zu verstehen, was ein Unternehmen überhaupt macht. Im Diagnostik-Bereich etwa geht es um Früherkennung. Uns interessieren nicht einfache Bluttests, sondern Produkte oder Methoden mit einem starken diagnostischen Impact, die helfen können, Krankheiten früh zu erfassen und auch die Lebensqualität zu verbessern. Ein weiterer Bereich, den wir miteinbeziehen, sind Behandlungen, also Therapien und die Geräte dafür. Ein weiterer ist Prävention. Und zuletzt geht es um operationelle Effizienz, also zum Beispiel um Plattformen, die die Gesundheitsversorgung effizienter machen. Und dieser Bereich – Telemedizin oder auch medizinisches Online-Marketing – wächst stark.
Grundsätzlich bauen wir die Beziehungen zu Unternehmen auf, wenn sie noch privat sind. Der jüngst öffentlich lancierte Health Innovation Fund von Baillie Gifford investiert jedoch nur in kotierte Unternehmen. Wir denken und handeln wirklich langfristig und sind keine Spekulanten.
Was hindert Sie, mit dem Health Innovation Fund in private Unternehmen zu investieren?
Unser Fonds ist als UCITS Fonds in Dublin aufgesetzt. Unter dieser Regulierung ist praktisch nicht möglich, in private Unternehmen zu investieren. Baillie Gifford investiert aber in anderen Strategien sehr wohl in private Unternehmen. Dafür braucht man eine stabile Kapitalbasis, wie sie beispielsweise in unseren geschlossenen Investment Trusts vorhanden ist. Der Health Innovation Fonds ist noch relativ neu, wächst aber sehr schnell. Aktuell liegt das Fondsvermögen bei rund 50 Mio. US-Dollar und daneben haben wir getrennt geführte Mandate von 175 Mio. US-Dollar. Und wir haben eine starke Pipeline von Kunden in der Schweiz wie auch aus anderen Ländern Europas. Das Problem beim Wachstum eines Dublin Fund ist, dass Grossinvestoren aufgrund der Regulierungen nie mehr als 30% an einem einzelnen Fonds gemessen an seinem Fondsvolumen besitzen dürfen. Sie müssen also warten, bis andere Investoren den Fonds vergrössern, bevor sie weiter investieren können. Dieses Huhn-Ei-Problem verhindert also, dass der Fonds noch schneller wächst. Auch hier sind Geduld und eine langfristige Orientierung gefragt – Werte, die uns bei Baillie Gifford auszeichnen.