"Wir können gut unterscheiden, was wirklich nachhaltig ist und was nicht"

Hendrik-Jan Boer, Fondsmanager der Sustainable Equity Fonds von Neuberger Berman
Hendrik-Jan Boer, Fondsmanager der Sustainable Equity Fonds von Neuberger Berman

Hendrik-Jan Boer, Fondsmanager der Sustainable Equity Fonds von Neuberger Berman, spricht über seine langjährige Erfahrung und die Bedeutung der Finanzindustrie im ESG-Bereich. "Wir haben alle realisiert, dass wir mit Blick auf die Nachhaltigkeit unser Verhalten ändern müssen", sagt er.

04.05.2021, 16:54 Uhr
Nachhaltigkeit

Autor: Interview: René Maier

Sie und ihr Investment-Team haben bereits vor mehr als 20 Jahren begonnen, ihre Fonds nachhaltig auszurichten. Sie zählen somit zu den ersten Investoren mit einem Fokus auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG). Was hatte den Ausschlag gegeben, Anlagefonds nachhaltig auszurichten?

Hendrik-Jan Boer: Wir hatten damals schon gesehen, dass ESG-Aspekte sehr stark verbunden sein könnten mit dem ökonomischen Erfolg einer Firma. Etwa welche Hürden im Weg stehen könnten – zum Beispiel langfristige Risiken wie Verbindlichkeiten, Nachstrafen oder Interessenkonflikte, die eine Firma gegenüber Investoren und Öffentlichkeit in Verruf bringen könnten.

Es gab zu dieser Zeit ja noch kaum Regulierungen und nur wenige Benchmarks für die ESG-Analyse.

Ja, in dieser Periode gab es kaum Datenerhebungen zu ESG, auch die Methodologie unterschied sich stark von der heutigen. Man hatte überwiegend Fonds mit Exklusion, die auf ethische oder Sozialhilfe-Themen und religiöse Aspekte fokussiert waren. Sie waren nicht fokussiert auf professionelles, institutionelles Management.

Wo haben Sie angesetzt?

Wir machten uns schon früh daran einen Weg zu finden, um ESG in einer generellen, professionellen Perspektive in ein "normales" Asset Management umsetzen zu können. Aber es gab noch keinen gesetzlichen oder regulatorischen Rahmen. Alles, was ein Unternehmen in Sachen ESG-Transparenz unternahm, tat es aus freiwilligem Antrieb. Es gab deshalb auch keinen Anlass zum Greenwashing, weil niemand in ein nachhaltiges Verhalten gedrängt wurde. Wir schauten also bereits damals auf die Kultur einer Firma und ihre Ambitionen in Bezug auf Nachhaltigkeit.

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Veränderungen in den letzten 20 Jahren mit Blick auf ESG?

Lange passierte nicht sehr viel, wenn man die gesamte Finanzindustrie betrachtet. Im Bereich des nachhaltigen Investierens wurde jedoch einiges getan und erreicht. Akademische Studien, verfeinerte Methodologien und die Professionalisierung der Datenerhebung sind einige Beispiele dafür. Auch wie gewisse Unternehmen und Länder sowohl mit der Umwelt umgehen als auch auf soziale Aspekte achten, ist heute wesentlich stärker im Bewusstsein der Akteure und der Gesellschaft als noch vor einigen Jahren. Das gilt auch für die Finanzindustrie. Wir haben alle realisiert, dass wir mit Blick auf die Nachhaltigkeit unser Verhalten ändern müssen.

In den letzten zwei, drei Jahren ist beim Angebot nachhaltiger Investments ein wahrer Hype zu beobachten. Deckt sich das auch mit der Nachfrage?

Ja und Nein. Ich denke, die Gesellschaft will neue, nachhaltige Angebote. Aus einer breiten Perspektive sehe ich eine grosse Nachfrage – aus gutem Grund. Ressourcen werden knapp, der Planet und die Atmosphäre werden immer mehr verschmutzt, mit den Menschenrechten ist es vielerorts nicht gut bestellt: Unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten müssen und kaum entlohnt werden oder wie sich der Reichtum generell verteilt auf dieser Welt. Alle diese Aspekte werden besonders für die jungen Generationen immer wichtiger. Das berücksichtigen wir in unserer Strategie, wir nennen es das Bewusstsein der Konsumenten. Sie schauen zunehmend darauf, was ein Produkt für ihre Gesundheit bedeutet, aber auch wie es produziert wird und welche Wertschöpfungskette es durchläuft.

Wie weit sind die Asset Manager in dieser Hinsicht?

Es scheint mir, dass viele Anbieter zwar ESG-Daten erheben bzw. einkaufen und Prozesse implementieren, um Labels auf den Produkten zu haben, aber nur um diese verkaufen zu können. Hier ist auch der Bezug zu Greenwashing. Und man sieht viele, die sich damit abmühen, eine nachhaltige Vision zu formulieren. Aber ganz allgemein versuchen Asset Manager ihre Fonds mehr und mehr aus eigenen Stücken nach ESG-Faktoren auszurichten.

Setzen neue Regulatorien dem Greenwashing nicht ein Ende?

Ja, wenn man betrachtet, wie viel strikter die Gesetze in Europa in Bezug auf das Produktmanagement werden, ist es zumindest schwieriger. Jene, die Greenwashing praktiziert haben, haben jetzt Probleme, die ESG-Daten zu sammeln, die eingefordert werden. Auf der anderen Seite ist die Regulierung sehr gut. Je konkreter sie wird, desto besser sind die Möglichkeiten für die Anleger, die Qualität der Produkte zu unterscheiden.

Neuberger Berman managt mittlerweile über 80% des gesamten verwalteten Vermögens nach ESG-Faktoren. Ist das Ihrer Business-Weitsicht geschuldet oder der Überzeugung, einen nachhaltigen Beitrag zu den Problemen auf dieser Welt zu leisten?

Ich denke, wir können gut unterscheiden, was wirklich nachhaltig ist und was nicht. Für eine Firma ist es sehr einfach zu sagen, »wir kreieren und implementieren jetzt eine neue Politik”. Das ist wie auf der Regierungebene: Am Ende geht es darum, wie die Politik umgesetzt wird und wie das wahre Verhalten dahinter ist. Hier versuchen wir anzusetzen mit unserer Analyse. Wir analysieren alle ESG-Aspekte einer Firma und sind überzeugt, dass dieses Vorgehen sowohl eine Ressource für wirkliches Alpha als auch gut für das Allgemeinwohl ist. Wenn sie gezielt und effektiv eingesetzt werden, gehen beide Hand in Hand und können sich sogar gegenseitig verstärken.

Was analysieren Sie genau?

Wohin sich ein Unternehmen bewegt, wo es sein Kapital anlegt und wie nachhaltig es investiert und natürlich den Ertrag, den es damit erzielen kann – immer verglichen mit den Mitbewerbern und der Vergangenheit. Dazu braucht man viel Wissen, viel Erfahrung und viele Einblicke. Heute geht es darum, das ganze Business Modell eines Unternehmens mit Hinblick auf seine Wertschöpfungskette zu verstehen.

Und mit Blick auf ESG?

Der ganze Fokus auf ESG ist zunehmend materieller Natur. Wir beobachten die Aktivitäten einer Firma genau: Wie agiert sie in Bezug auf Umweltaspekte, wo hinterlässt sie welche Footprints, wie geht sie mit Menschenrechten um, mit den eigenen Mitarbeitern und den anderen Stakeholdern, wie unabhängig sind die Boards, ist alles transparent in der Firma. Alle diese Aspekte sehen wir als neue Datengrundlage, die zusätzliche Einblicke gibt, ob eine Firma gegenüber anderen outperformen kann.

Welche Rolle spielt die Finanzindustrie generell bei der Lösung von Umweltproblemen, sozialer Ungleichheit und schlechter Unternehmensführung?

Asset Manager und die ganze Finanzindustrie spielen eine Schlüsselrolle. Dort entscheidet sich letztlich, wohin das Geld fliessen soll.

Seit dem 10. März 2021 gelten in Europa neue, relativ strenge Anforderungen für nachhaltige Finanzprodukte. Begrüssen Sie das und wie beurteilen Sie die Qualität der Anforderungen?

Ja. Viele der Initiativen machen Sinn. Sie sind sehr zielgerichtet. Wir sehen aber auch, dass jene, die die Gesetze machen, sich nicht ganz bewusst sind, welche Hürden sie gewissen Firmen auferlegen, zum Beispiel im Reporting. Ich denke, es ist ein gemeinsames Bestreben, bei dem Regulatoren und Regierungen berechtigterweise die Richtung vorgeben. Gleichzeitig ist die Finanzindustrie herausgefordert, selber proaktiv zu sein und die Datengrundlage zu schaffen, die eine genaue Beurteilung eines Produkts hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit erlaubt.

Wie sieht das bei den Produkten von Neuberger Berman aus?

Wir berücksichtigen ESG-Kriterien in fast jedem Produkt, das wir kreieren. Die Mehrheit unserer Produkte entspricht den regulatorischen Anforderungen gemäss Artikel 8 & 9 der EU-Gesetzgebung. Speziell für unserer Strategie bedeutet das, dass wir für jedes einzelne Unternehmen, das wir im Portfolio haben, eine sehr klare Story, Daten und Einblicke haben müssen. So können wir nachweisen, warum wir denken, dass dieses Unternehmen einen guten Impact auf die Umwelt hat, inwiefern es die Umsetzung der Menschenrechte beachtet, Gesundheit und Sicherheit berücksichtigt, sich mit Vielfalt auseinandersetzt, eine unabhängige Unternehmensführung aufweist und viele weitere ESG-Anforderungen berücksichtigt.

Nun erweitert Neuberger Berman sein ESG-Angebot um zwei neue UCITS ESG-Fonds, den Neuberger Berman Global Sustainable Equity Fund und den Neuberger Berman European Sustainable Equity Fund. Was zeichnet diese Fonds aus?

Wir haben einen sehr guten Track Record, was die finanzielle Performance anbelangt. ESG-Aspekte zu integrieren hat das noch zusätzlich bestärkt. Die Performance ist ein Ausdruck der Methodologie und der Philosophie eines Fonds. Weiter haben wir, wie erwähnt, eine sehr lange Geschichte bezüglich der Integration von Nachhaltigkeit im Aktienumfeld. Wir denken, dass wir das in einer unverwechselbaren Art im Vergleich zu Mitbewerbern machen.

Wie?

Wir beziehen nicht nur Daten von einem externen ESG-Datenanbieter und machen einige Exklusionen, sondern setzen einen Top-down Approach mit Exklusionen in Bezug auf die Aktivitäten um. Der grösste Fokus ist aber auf der Bottom-up Perspektive. Damit stellen wir sicher, dass ein Unternehmen unseren Anforderungen an Qualität und die langfristige Ausrichtung entspricht und eine fantastische Gelegenheit für ein Investment ist.

Auf welchen Unternehmen liegt ihr Fokus?

Auf Firmen, die in einer Wertschöpfungskette einen speziellen Part übernehmen, technologisch innovativ sind oder eine starke Plattform betreiben und natürlich auch bei den Gewinnmargen im Vergleich zu ihren Mitbewerbern obenauf schwingen. Weiter sollte die Firma generell der Gesellschaft nicht schaden bzw. sogar Positives bewirken und vor allem bezüglich ihrer Produkte und Prozesse transparent sein und schliesslich dazu bereit sein, sich zu verbessern, wo es nötig ist.

Als aktive Manager dieser Portfolios streben Sie einen Active-Share-Wert von über 75 Prozent an. Der Active Share misst ja, wie stark die Zusammensetzung eines Fonds von der seiner Benchmark abweicht. Was ist Ihre Benchmark und wie zahlt sich dieser hohe Active-Share-Wert für die Anleger aus?

Wir orientieren uns nicht nur an einer Benchmark, sondern am ganzen Investmentuniversum. Die Datenbasis, von der wir ausgehen, ist sehr breit. Unser Ausgangspunkt sind mehr als 10’000 Unternehmen weltweit. Zuerst schliessen wir Firmen, die wir nicht mögen, nach Aktivitäten und Verhalten aus. Hier fallen 20% des ursprünglichen Universums raus. Dann selektionieren wir die Firmen mit den besten Returns. In einem nächsten Schritt fokussieren wir auf jene Firmen, die aus einer Wertperspektive noch viel Upside haben. Im Financial Screening bleiben nach den ersten beiden Schritten noch 1000 bis 1500 Unternehmen. Dann gehen wir mit unseren Analysten auf die Unternehmen zu und stellen fest, welche in ihrer Industrie oder der jeweiligen Wertschöpfungskette am besten positioniert sind. Dann erstellen wir für jede Firma ein Profil gemäss ihren Zielen, der Integration von ESG, der Transparenz und ihrem Wert. Dabei fokussieren wir uns auf Unternehmen, bei denen der Markt ihren Wert und ihr Entwicklungspotenzial noch nicht erkannt hat. Engagement ist der Schlüssel zu einer Firma, und so halten wir es mit allen Firmen im Portfolio. Letztendlich verwalten wir ein Portfolio aus 40 bis 60 qualitativ hochwertigen Namen, das aufgrund seiner Stärken seine Mainstream-Benchmark MSCI World DM deutlich outperformt hat.

Wo stehen Sie und wo steht die Finanzindustrie in Sachen Nachhaltigkeit in 10 Jahren?

In den letzten fünf bis zehn Jahren gab es bereits enorme Anstrengungen in der Finanzindustrie. Nachhaltigkeit ist zu einem zentralen Aspekt geworden. Wir werden weiterhin viele nützliche Daten generieren und unsere ESG-Analysemethoden weiter verfeinern können. Und die Kluft zwischen denen, die den Anforderungen gerecht werden können und weiterhin führend in diesem Bereich sind, und denen, die aufgeben müssen, weil sie ihr Geschäftsmodell nicht schnell genug geändert haben, wird sich vergrössern.

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