03.12.2024, 15:42 Uhr
Der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, Daniel Zuberbühler, fordert für die UBS deutlich höhere Eigenkapitalvorgaben. Damit solle das «desaströse» Szenario einer Abwicklung der Grossbank...
«Wenn die Regierungen wieder mehr in die Wirtschaft eingreifen, werden Inflation, Standortwahl und Besteuerung für Investoren wichtiger», schreiben Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA und Robert Dishner, Senior Portfolio Manager – Fixed Income bei Neuberger Berman.
Die grosse Präsenz industriepolitischer Themen zeigt, wie wichtig sie geworden sind. «Aber was ist eigentlich Industriepolitik? Ist sie gut oder schlecht, und wie könnten Investoren auf sie reagieren?», fragen sich die beiden Experten.
Für den Volkswirt Ruchir Agarwal besteht Industriepolitik aus Subventionen, Steueranreizen, Gesetzen, Regulierungen und anderen «staatlichen Massnahmen zur Formung der Wirtschaft durch die gezielte Einflussnahme auf bestimmte Branchen, Unternehmen und Aktivitäten».
Immer mehr qualitative wie quantitative Belege sprächen dafür, dass «die Industriepolitik in vielen Ländern ausgebaut wird», in Emerging Markets wie in Industrieländern. Auslöser seien oft populistische Forderungen, auf die der Staat dann reagiere.
Ob Industriepolitik der Wirtschaft nützt oder schadet, hänge letztlich davon ab, ob sie vernünftig ist und Vermögen mehrt – oder ob sie Vermögen zerstört. Industriepolitik könne nötig sein, um etwas zu erreichen, was der Markt nur bedingt leistet (wie die Begrenzung der Erderwärmung oder den Schutz der nationalen Sicherheit). Sie kann laut Neuberger Berman produktivitätssteigernde Investitionen zur Folge haben, sodass die Wirtschaft stärker wächst als die Zinslast des Staates, der sie finanziert. Sie kann wichtige soziale Güter ermöglichen, etwa das Internet, COVID-19-Impfstoffe oder Investitionen in den Klimaschutz. Industriepolitik könne aber auch schaden, Vermögen zerstören und am Ende zum Nullsummenspiel werden.
Manches gelingt dem Markt nicht gut. Das heisse aber nicht, dass es der Staat besser kann – und schon gar nicht, dass er effizient ist. Die Politik (und in Demokratien auch kurzfristiges Denken und Entscheidungen, die allein bestimmten Wahlkreisen nützen) kann wirtschaftliche Ziele überlagern. Die klassischen «nationalen Champions», die kurzfristige politische Ziele erfüllten oder Arbeitsplätze schaffen, seien auf Dauer oft teuer und ineffizient. Noch schlimmer sei die Gefahr von Vetternwirtschaft und Korruption. «Alles in allem ist Industriepolitik inflationstreibend. Die Preise steigen durch die Internalisierung von Externalitäten oder weil kostengünstigere Marktlösungen verhindert werden», so das Fazit.
Und selbst nationale Massnahmen, die auf den ersten Blick vernünftig und wohlstandssteigernd erscheinen, könnten bei weltweiter Anwendung zu Null- oder Negativsummenspielen werden.
Wenn man die Beschäftigung in strategischen Branchen subventioniert oder schützt, werden Arbeitsplätze aus anderen Ländern abgezogen, ohne dass echter Wettbewerb stattfindet. «Friendshoring» möge angesichts des Wunsches nach sicheren Lieferketten nachvollziehbar sein. Das Konzept verfolge aber auch politische Ziele, nehme Einfluss auf die Beziehungen zwischen Ländern und sei selten wirtschaftlich optimal, schon gar nicht langfristig. Die europäischen Sorgen wegen des amerikanischen Inflation Reduction Act zeigen, dass solche Massnahmen Verbündete wie Gegner umso stärker irritierten, je mehr sie die Autarkie fördern.
Weil Industriepolitik Geld kostet und die Preise antreibt, kann sie in hoch verschuldeten Ländern mit weitgehender Vollbeschäftigung zur Überhitzung führen – und zu Zweifeln an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. Irgendwann werde die Rechnung präsentiert. «Wir glauben, dass Investoren nicht nur auf die industriepolitischen Entscheidungen selbst achten sollten, sondern auch auf Inflation und Staatsschulden», schreiben O’Sullivan und Dishner.
Wenn eine Investition nicht rentabel sei, werde die Nachhaltigkeit der Schulden zum Thema. Zahlungsausfälle und kräftige Steuererhöhungen (die das Wachstum am Ende noch stärker bremsen) seien sicher schlechter, als wenn man sich seiner Schulden durch Inflation entledige oder zur Finanzrepression greife, damit die Kapitalkosten nicht aus dem Ruder laufen.
Diese «besseren» Lösungen erforderten aber eine Koordination von Geld-, Fiskal- und Regulierungspolitik. Schwache Regierungen seien daher «ein Warnsignal für Investoren». Die LDI-Krise in Grossbritannien und die Mini-Bankenkrise in den USA hätten gezeigt, dass die Notenbank im Zweifel eingreifen könne, selbst wenn sie die Geldpolitik eigentlich straffe. Das gehe aber nur in Ländern mit klaren institutionellen Zuständigkeiten. «Im Euroraum hingegen verschwimmen die Grenzen. Wegen der Schwierigkeiten der Inflationssteuerung bei einer gemeinsamen Geldpolitik mit nationaler Zuständigkeit für die Fiskalpolitik, wurde das Transmissionsschutzinstrument eingeführt.»
Bei Unternehmen sollten Investoren auf Inflation, Standort und Besteuerung achten.Neuberger Berman rechnet damit, dass mehr Industriepolitik letztlich das reale Wachstum bremst. Andererseits dürfe man nicht vergessen, dass eine höhere Inflation ein höheres nominales Wachstum zur Folge hat. Für finanzstabile Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen und Preismacht müsse dies nicht schlecht sein.
Ob ein Unternehmen von Staatsausgaben profitiert, hänge letztlich von seinem Sitz ab. Anbieten könnten sich Investitionen in Unternehmen mit Aktivitäten in bestimmten Ländern, aber auch in Sektoren und Branchen, die der Staat voraussichtlich fördert. Am Ende gehe es aber darum, wie die Regierungen das alles bezahlen wollten.
Investoren könnten versucht sein, einfach nur nach den «nationalen Champions» Ausschau zu halten. Aber oft zapfe der Staat deren Gewinne an: «Es ist nur fair, dass Regierungen, die Unternehmen unterstützen, auch bei der Gewinnverwendung ein Wort mitreden wollen. Interessanter könnten daher Firmen sein, die von der Industriepolitik profitieren, ohne dass es so offensichtlich ist. Sie könnten echten Mehrwert schaffen, statt nur von Umverteilung durch Industriepolitik zu profitieren.»
Alles in allem stehe aber fest, dass die Industriepolitik zurück ist. Das habe zahlreiche Auswirkungen auf Weltwirtschaft, Regionen und Länder, auf Sektoren und Unternehmen. «Investoren, die das ignorieren, übersehen vielleicht einen der wichtigsten neuen Risikofaktoren in ihrem Portfolio», folgern die beiden Experten.