18.12.2024, 14:33 Uhr
Während in den USA und Europa die Zahl der Börsengänge im laufenden Jahr noch zugenommen hat, ist das Geschäft in China eingebrochen. Dort sanken die Erlöse gegenüber dem Vorjahr laut EY um 65 Prozent.
Witold Bahrke, Senior-Stratege bei Nordea Asset Management, erklärt im Interview, was Anleger hinsichtlich der erwarteten Verlangsamung in China im zweiten Halbjahr bedenken sollten.
Der robuste makroökonomische Trend bestätigt die optimistischen Erwartungen. Gleichzeitig erscheint der US-Konjunkturzyklus weit fortgeschritten, während Europa mit Deutschland an der Spitze Fahrt aufnimmt. Wie beurteilen Sie die Aussichten für das zweite Halbjahr? Kann die chinesische Wirtschaft so schnell wachsen wie erwartet?
Witold Bahrke: Wir gehen davon aus, dass die weltweite Dynamik in der zweiten Jahreshälfte abnimmt und die Reflationserwartungen sinken. Unser Indikator für die globale Konjunkturdynamik zeigt erste Anzeichen einer Abschwächung. Verantwortlich hierfür ist vor allem China, wo die Zentralbank die Zügel anzieht, um die Risiken aus zu hoher Verschuldung zu begrenzen. Europa hingegen sollte sich unter Wachstumsaspekten weiterhin gut entwickeln. Die Region profitiert auch davon, dass ihre Zentralbank in der G3-Gruppe am expansivsten agiert. In den USA erwarten wir in der zweiten Jahreshälfte keine Wachstumsbeschleunigung, weil die realen verfügbaren Einkommen nicht stark genug zulegen, um nachhaltige Konsumsteigerungen zu generieren. Zudem ist der Investitionsschub in der Wirtschaft bisher ausgeblieben, denn die Trump-Euphorie lässt nach, während Zweifel an den Steuersenkungen etc. zunehmen. Die USA verharren weiterhin in der Warteschleife.
Der Ton von Fed- und EZB-Gouverneuren wird schärfer, was dafür sprechen könnte, dass die Hardliner die Überhand gewinnen. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Anleihenmärkte bis zum Jahresende? Welche Anleihenklassen bevorzugen Sie?
Interessanterweise sind die Zinsen besonders am langen Ende der Kurve immer noch relativ niedrig, obwohl die grossen Zentralbanken restriktivere Weichenstellungen signalisieren und sich die Aktienkurse in der Hoffnung auf höheres Wachstum dieses Jahr bislang hervorragend entwickelt haben. Trotz der jüngsten Schwankungen sind die zehnjährigen US-Staatsanleihenrenditen heute niedriger als Anfang des Jahres.
Gleichzeitig hat sich die Zinskurve seit Jahresbeginn in den meisten grossen Anleihenmärkten abgeflacht, was normalerweise für schwächere Konjunkturaussichten spricht. Auch die auf dem Anleihenmarkt beruhenden Inflationserwartungen sind seit Jahresbeginn gesunken und widersprechen damit den in letzter Zeit aggressiveren Verlautbarungen der Zentralbanken. Wer hat also Recht - die Aktien- oder die Anleihenmärkte?
Wir glauben, dass letztere richtig liegen. Und damit kommen wir auch zu Ihrer Frage. Wenn das Wachstum, wie wir annehmen, im zweiten Halbjahr 2017 hinter den Erwartungen zurückbleibt und die allgemeine Inflationsrate sinkt oder niedrig bleibt, dürften die traditionellen Staatsanleihen besonders in den USA profitieren. Die Renditen werden kaum nach oben aus ihrem diesjährigen Korridor ausbrechen und könnten gegen Jahresende sogar sinken, allerdings nur moderat, weil die Renditeniveaus bereits jetzt niedrig sind. Die Anleihenmärkte teilen offenbar unsere skeptische Einschätzung von Wachstum und Inflation; das erklärt die dieses Jahr trotz der jüngsten Verkaufswelle leidlich guten Staatsanleihenrenditen.
Nach den neuen Börsenhochs fragen sich die Anleger, wie sie ihr Engagement in den Schwellenländern erhöhen können. Aktien oder Anleihen? Was empfehlen Sie angesichts der geldpolitischen Straffung in den USA? Ist jetzt die Zeit für mehr Lokalwährungsanleihen gekommen, oder ist die Konzentration auf Hartwährungsanleihen die richtige Strategie?
Schwellenländeraktien beurteilen wir neutral, Schwellenländeranleihen sehen wir positiver. Entscheidend aber ist im Schwellenländeruniversum das differenzierte Vorgehen. Da wir für China im zweiten Halbjahr eine Verlangsamung erwarten, würden wir Ländern den Vorzug geben, die nur begrenzt von der Entwicklung in China und dem Rohstoffmarkt abhängen. Indische Aktien könnten in diesem Zusammenhang attraktiv sein. Bei den Anleihen bevorzugen wir das Hartwährungssegment, weil wir in der zweiten Jahreshälfte 2017 mit einer, wenn auch nur moderaten, Dollaraufwertung rechnen. Sollte die US-Wirtschaft so schwach sein, dass die Fed zurückrudert und wieder ideale Bedingungen herrschen, würden wir diese Einschätzung revidieren.
Wie beurteilen Sie den Aktienmarkt angesichts der guten Entwicklung seit Jahresbeginn - die Aktien haben die Erwartungen der Anleger offenbar bereits erfüllt? Glauben Sie, dass der restriktivere Kurs der Fed die Börsenentwicklung im zweiten Halbjahr beeinträchtigt?
Probleme für die eine Fortsetzung der Aktienmarkthausse sehen wir aus drei Richtungen: Erstens dürften die rückläufige Reflation die Unternehmensgewinne beeinträchtigen, und es sind Gewinnwarnungen und Enttäuschungen zu erwarten. Zweitens sind die aus den Kursen von Risikoanlagen abgeleiteten impliziten Wachstumserwartungen sehr hoch. Enttäuschungen werden im zweiten Halbjahr 2017 immer wahrscheinlicher, weil das Wachstum in China nachlässt und Trump seine Steuerpläne womöglich später - oder auch gar nicht - umsetzen kann. Und drittens werden die monetären Rahmenbedingungen schwieriger, weil die G3-Zentralbanken die Geldpolitik straffen und wie im Falle der Fed, die eine Bilanzverkürzung vorbereitet, unter Umständen sogar unkonventionelle Stimuli zurücknehmen. Hier ist praktisch alles möglich, denn wir betreten Neuland. Entsprechend erwarten wir, dass die Aktienrallye im zweiten Halbjahr 2017 an Fahrt verliert und die Volatilität steigt.
Welche Präferenzen bei der Allokation zwischen Anleihen, Aktien und Bargeld haben Sie in den kommenden Monaten? Wie würden Sie ein ausgewogenes Portfolio zusammenstellen?
Kurzfristig sehen wir Aktien und Anleihen neutral. Mit Blick auf das Jahresende bevorzugen wir wegen der genannten Punkte traditionelle Anleihen gegenüber Aktien. In einem Umfeld, in dem die Zentralbanken die Geldpolitik straffen, benötigen Aktien neue Impulse. Bei den oben beschriebenen Wachstums- und Inflationsprognosen ist hier in naher Zukunft aber wenig zu erwarten. Dennoch ist es sinnvoll, bargeldähnliche Instrumente (wie z.B. Anleihen mit kurzer Duration) im Portfolio zu halten, weil wir im ersten Halbjahr ideale Bedingungen hatten, unter denen alle Engagements von dem günstigen monetären Umfeld und auch von dem schwachen US-Dollar profitiert haben. In diesem Umfeld konnten Anleger eigentlich nichts falsch machen. Denkbar ist zukünftig aber auch ein Szenario, in dem eigentlich alles verkauft werden müsste, weil die Zentralbanken die Geldpolitik auf breiter Front und massiver straffen als bisher. Die hohe Liquidität hat die Risikoanlagen seit der globalen Finanzkrise gestützt. Sollte die Fed aufhören, ihre Anleihenbestände bei Fälligkeit zu reinvestieren und dadurch ihre Bilanz verkürzen, entstünde ein umgekehrter Liquiditätsschock, der besonders den Risikoanlagen Unterstützung entziehen würde. Schutz böten in diesem Falle fast nur bargeldähnliche Anlagen. Aber natürlich ist das nur ein Risiko und keineswegs gewiss.