14.11.2024, 15:23 Uhr
Es ist sehr gut möglich, dass sich US-Aktien unter Präsident Donald Trump sowohl gegenüber US-Staatsanleihen als auch gegenüber Aktien der Eurozone und Asien besser entwickeln. Die Gründe dafür erläutert...
Geopolitische Spannungen, die unsichere Wirtschaftslage, globale Erwärmung und der Verlust der biologischen Vielfalt – Im Jahr 2024 kommen auf Investoren zahlreiche Herausforderungen zu. Welche Strategien in diesen unsicheren Zeiten sinnvoll sein könnten, erklärt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam, in seinem Ausblick.
2023 war ein Jahr der Überraschungen: Die am häufigsten angekündigte Rezession aller Zeiten blieb trotz einer bisher beispiellosen geldpolitischen Straffung und einer Vielzahl weiterer Herausforderungen letztendlich doch aus. Stattdessen erlebte die Volatilität an den Anleihemärkten ein Comeback, während die US-Wirtschaft allen Untergangspropheten zum Trotz auf Hochtouren lief. Die Kaufkraft der privaten Haushalte übertraf alle Erwartungen und wurde sowohl durch Lohn- und Gehaltssteigerungen als auch durch ein bequemes Polster aus Ersparnissen gestützt, das sich während der Coronakrise gebildet hatte.
«High for longer» war der bisherige Leitspruch der Zentralbanken, denen es mehr oder minder gut gelungen war, die Inflation im Zaum zu halten. Die wichtigsten Fragen sind laut Forest nun: «Wird die Geldpolitik 2024 weniger straff? Da Anleiherenditen wieder attraktiv sind: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die Duration zu erhöhen und den überraschend widerstandsfähigen Anleihemarkt weiterhin zu bevorzugen?»
Die steigenden Zinsen haben sich auch auf die Dynamik der Staatsverschuldung ausgewirkt. Es bleibe abzuwarten, was das Jahr 2024 vor dem Hintergrund schwächeren Wirtschaftswachstums und der reduzierten Anleiheankaufprogramme der Zentralbanken für die Tragfähigkeit der Schulden bedeutet. Für den Immobilienmarkt blieben die Zinserhöhungen nicht ohne Auswirkungen – sie haben bereits für einen deutlichen Rückgang der Bauvorhaben und der Umsätze gesorgt. Die Preisrückgänge waren bisher begrenzt. Dennoch stelle sich hier die Frage, ob eine mögliche weitere Beschleunigung Grund zur Sorge ist oder sich, umgekehrt, als eine hervorragende Gelegenheit herausstellt, sich neu zu positionieren.
Trotz der hohen Realzinsen zeigten sich die Aktienindizes robust. Die Hausse scheint jedoch trügerisch: Der Markt agiert äusserst selektiv und bevorzugt US-Mega-Caps, während er Small- und Mid-Caps benachteiligt. Auf welche Sektoren und Regionen sollte man also künftig setzen? Titel in defensiven Wachstums-Sektoren, die 2023 durch die steigenden Zinsen abgestraft wurden, könnten 2024 wieder zu ihrer Bestform zurückfinden und eine Outperformance erzielen. Unternehmen, allen voran aus dem Bereich Gesundheitswesen, mussten trotz solider Bilanzen und geringer Verschuldung Verluste hinnehmen. Die Frage ist, ob sie nun erneut von der demografischen Entwicklung und ihrer starken Innovationskraft profitieren.
Und was ist mit erneuerbaren Energien? Zinssteigerungen, der sprunghafte Anstieg der Rohstoffpreise und mässige Rentabilität haben den Sektor schwer getroffen. Nichtsdestotrotz: Die Folgen der globalen Erderwärmung werden immer offensichtlicher – und verdeutlichen die Dringlichkeit der Energiewende, auch wenn sie kurzfristig für Herausforderungen sorgt. Die bisherigen Investitionen und Anstrengungen reichen noch nicht aus, um die CO2-Neutralität zu erreichen. Nach wie vor ist dieses Thema von grosser Relevanz, an dem es keinen Weg vorbei gibt. Wichtige Fragen sind jedoch: Welche Rolle spielt es und welche Taktik sollte angewendet werden?
Zu guter Letzt bleibt die Frage nach Chinas Wachstumsmodell. Es ist möglich, dass es allmählich seine Grenzen erreicht und kurz vor einer «Japanisierung» seiner Wirtschaft steht – oder auch nicht. Offen bleibt, ob andere Schwellenländer ein Wachstums- und Innovationsmodell bieten können, das dem Reich der Mitte das Wasser reichen kann und welche Alternativen es gibt.
Wahlen werden im kommenden Jahr die Gemüter erhitzen. Bei den Europawahlen werden über viele Themen Entscheidungen fallen, nicht zuletzt die entscheidende Frage der Energiewende. Im Herbst richten sich dann alle Augen auf die USA: Die dortigen Wahlen sind wohl für viele ein Déjà-vu, die Auswirkungen könnten jedoch ganz andere sein. In so einem Umfeld zählen vor allem die unmittelbar vorhandenen Daten. Letztendlich werden die Anleger angesichts eines instabilen geopolitischen Umfelds und einer fragilen Wirtschaft weiterhin an den Lippen der Akteure aus Wirtschaft und Politik hängen und deren Signale deuten, um ihre Portfolios aufzubauen. «Sollten wir vor diesem Hintergrund noch immer Anleihen gegenüber Aktien bevorzugen?», fragt sich Forest.
Eines sei sicher: «Wir befinden uns in einem Umfeld anhaltend angespannter Arbeitsmärkte und ein Szenario mit höherer Inflation würde potenziell für neue geldpolitische Straffungsmassnahmen sprechen. Eine Rückkehr von Trump 1.2 ins Oval Office würde zudem die Spannungen mit Peking wiederbeleben. Hinzu kommen weitere geopolitische Ereignisse: Eine weitere Eskalation im Nahen Osten, der Ukraine oder anderweitige geopolitische Konflikte könnten die Karten bei den wirtschaftlichen Szenarien wieder neu mischen.»
Glücklicherweise gebe es auch zahlreiche gute (und weniger gute) Nachrichten: Zum einen könnten die grossen Währungsmächte und deren Zentralbanken eine lang ersehnte Kehrtwende vollziehen und so den riskantesten Anlageklassen Auftrieb verleihen. Zum anderen wären umfangreiche Fördermassnahmen in China sehr willkommen, vor allem in Europa. Schliesslich bleibe noch der fromme Wunsch nach einem Ende des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. «Dieses würde das geopolitische Risiko in Europa deutlich verringern.»