Noch zeigt sich die Schweiz widerstandsfähig

Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel.
Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel.

Gemäss Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel, scheint die Schweizer Wirtschaft die Aufwertung der Landeswährung bislang gut verkraftet zu haben.

01.09.2015, 14:34 Uhr

Redaktion: jog

Die Widerstandskraft der Schweizer Volkswirtschaft sieben Monate nach der markanten Aufwertung des Frankens (siehe PDF, Grafik 1) infolge der Aufhebung des Mindestkurses von 1.20 Franken zum Euro durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist beeindruckend.

Gewiss, die Wachstumsprognosen für die Schweiz sind nach unten revidiert worden. Sie liegen jedoch nach wie vor deutlich über dem Rezessionsniveau. Natürlich gibt es auch Schwachpunkte: Die Gewinnmarge von KMU mit einer hohen Kostenbasis in der Schweiz steht unter enormem Druck, und Wirtschaftszweige wie der Tourismus und der Einzelhandel stehen vor beträchtlichen Herausforderungen. Umso bemerkenswerter ist es, in welch robuster Verfassung sich der Schweizer Arbeitsmarkt befindet. Die Arbeitslosenrate hat sich seit Januar kaum verändert und beträgt derzeit 3.3 Prozent. Das KOF-Konjunkturbarometer ist zudem wieder auf das Niveau von Ende 2014 geklettert. Die Halbjahresergebnisse der internationalen tätigen Schweizer Unternehmen waren ebenfalls ziemlich stark. Obwohl der Schweizer Franken zum Euro erheblich überbewertet ist, ist die Überbewertung gegenüber dem US-Dollar oder dem britischen Pfund deutlich weniger ausgeprägt. Real betrachtet war die handelsgewichtete Aufwertung weniger stark als allgemein wahrgenommen. Der Grund hierfür ist, dass die Inflation in der Schweiz auf einem niedrigeren Niveau liegt, als in den Ländern der Handelspartner.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt für die Schweizer Unternehmen in ihrer Fähigkeit, sich rasch an das neue Marktumfeld anzupassen. Dies verdankt sie neben Produktivitätsgewinnen einer überdurchschnittlichen Preissetzungsmacht bei Produkten mit hohem Mehrwert. Gewiss, die Herstellung von Standardprodukten wird weiter verlagert, was das Wachstum in der nahen Zukunft belastet. Gleichwohl zahlt sich der Fokus auf Innovation und das Gütesiegel «Swiss made» bei den Produkten aus.

Chinesische Wirtschaft: Neuausrichtung birgt Risiken
Die Schweiz befindet sich im globalen Kontext in einer ziemlich einmaligen Situation, denn viele Währungen, allen voran jene der Schwellenländer sowie der rohstoffexportierenden Länder, sind ins Trudeln geraten (siehe PDF, Grafik 2). Der chinesische Yuan wurde zwar nach der mehrjährigen Aufwertung nur geringfügig abgewertet. Doch diese Massnahme zeigt, dass den chinesischen Entscheidungsträgern allmählich die Optionen zur Ankurbelung der Wirtschaft ausgehen. Die Ablösung des export- und investitionsgetriebenen Wirtschaftsmodells durch ein konsumbasiertes Modell stellt das Reich der Mitte vor enorme Herausforderungen, was die wenig berauschenden Daten aus den Bereichen Exporte und verarbeitendes Gewerbe belegen. Durch den anhaltenden Preisverfall der Rohstoffe (siehe PDF, Grafik 3) wird zudem die Bonität von bedeutenden «Emerging Markets» wie Brasilien, Russland und Südafrika infrage gestellt und den Rohstoffsektoren Schaden zugefügt. Die Sorgen wegen einer ausgewachsenen Schwellenländerkrise lösten einen Kurssturz der globalen Aktien aus. Die Anleger zweifeln an der Nachhaltigkeit der globalen Erholung und den Gewinnaussichten von Unternehmen, die in den Bereichen Energie, Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Automobilbau oder Luxusgüter tätig sind. Die Volatilität, das Angstbarometer, ist infolge der panikartigen Verkäufe in die Höhe geschnellt.

Die Bank Vontobel ist in Vermögenswerten (Aktien und Anleihen) aus den Emerging Markets «deutlich untergewichtet» und in den Aktiensektoren und Ländern, die von den Schwierigkeiten direkt betroffen sind, kaum engagiert. Die Portfolios sind dagegen in Aktien aus den Industrieländern «übergewichtet» und deshalb nicht immun gegen die jüngste Verkaufswelle. Die Liquiditätspositionen der Portfolios, die im Juli aufgestockt wurden, bieten ein gewisses Polster und gleichzeitig Flexibilität, um Chancen zu nutzen.

Bedeutet dies das Ende des langen Hausse-Markts?
Die Probleme – eine Bonitätsverschlechterung der Emerging Markets und Rohstoffsektoren – sind durchaus ernst, doch stirbt ein Hausse-Markt nicht an Altersschwäche, sondern endet in der Regel infolge einer restriktiveren Geldpolitik nach einer Phase mit überdurchschnittlich hohem Wirtschaftswachstum. Doch genau das ist derzeit nicht der Fall. Die Geldpolitik der Notenbanken ist äusserst expansiv und es bestehen – ausser vielleicht in den USA – noch immer erhebliche Überkapazitäten. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den Industrieländern ist nach unserem Dafürhalten daher sehr gering. Die US-Notenbank Fed wird den Beginn des Zinsstraffungszyklus voraussichtlich auf den Dezember 2015 oder sogar ins Jahr 2016 verschieben. Obwohl sich der US-Arbeitsmarkt stetig verbessert, bleiben Lohnwachstum und Inflation gedämpft. Zudem erschweren es die globalen Disinflationskräfte der Bank of Japan und der Europäischen Zentralbank, deren Inflationsziele zu erreichen. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit für weitere quantitative Lockerungen, also unkonventionelle geldpolitische Massnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft. Entscheidend ist, dass die People’s Bank of China begonnen hat, die Geldpolitik aggressiv zu lockern und die Mindestreservesätze für die Banken des Landes gesenkt hat.

Insgesamt hält die Bank Vontobel am Hauptszenario «Anhaltender Aufschwung – mit Gegenwind» fest. Sie ist überzeugt, dass das kräftige Momentum der Binnenwirtschaft in den USA, in Grossbritannien und in Deutschland durch die schleppende Nachfrage aus den Schwellenländern nicht aus der Bahn geworfen wird. Gewiss ist der Gegenwind stärker geworden, doch die Marktteilnehmer eskomptieren ein Szenario, das deutlich schlechter ist als das Szenario, das voraussichtlich eintreten wird. Folglich hält Vontobel an der aktuellen Positionierung fest und hält weiter Ausschau nach Kaufmöglichkeiten in Bereichen, die von den derzeitigen Turbulenzen auf den Schwellenländer- und Rohstoffmärkten verschont sind, ohne das Portfoliorisiko insgesamt aus den Augen zu verlieren.

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