Evergrande: Nicht "too big to fail"

Ist die chinesische Regierung zu einer pauschalen Rettung von Evergrande bereit? (Bild: Shutterstock.com/hxdbzxy)
Ist die chinesische Regierung zu einer pauschalen Rettung von Evergrande bereit? (Bild: Shutterstock.com/hxdbzxy)

Es sei trotz anhaltender Gerüchte sehr unwahrscheinlich, dass die chinesische Regierung zu einer pauschalen Rettung von Evergrande bereit ist, da sie den Moral Hazard reduzieren will, meint Carlos de Sousa von Vontobel. Sie dürfte jedoch intervenieren, um eine geordnete Restrukturierung zu gewährleisten und chinesische Privatanleger vor Verlusten zu schützen.

30.09.2021, 16:08 Uhr

Redaktion: rem

Am 20. September machte sich angesichts von Spekulationen, dass ein Zahlungsausfall von Chinas zweitgrösstem Immobilienentwickler Evergrande die gleiche Bedeutung wie die Insolvenz von Lehman Brothers im Jahr 2008 haben könnte, Panik auf den globalen Märkten breit. Evergrande kündigte an, dass es den Fall einer überfälligen Zinszahlung für inländische Anleihen "gelöst" habe. Es gab Gerüchte, dass drei Staatsunternehmen den angeschlagenen privaten Immobilienentwickler übernehmen könnten.

Kein Rettungspaket für grosse Gläubiger

"Eine umfassende Restrukturierung der Verbindlichkeiten des Unternehmens in Höhe von insgesamt ca. 300 Mrd. USD ist so gut wie sicher", sagt Carlos de Sousa, Stratege bei Vontobel. Die Regierung forderte das Unternehmen vergangene Woche auf, den kurzfristigen Ausfall von Dollar-Anleihen zu vermeiden. "Möglicherweise tätigt das Unternehmen seine Kuponzahlung noch innerhalb der 30-tägigen Frist. Die Regierung will jedoch gewährleisten, dass chinesische Privatanleger, die Immobilien von Evergrande erworben oder in Vermögensverwaltungsprodukte des Unternehmens investiert haben, keine Verluste erleiden. Ebenso möchte Peking einen ungeordneten Zahlungsausfall vermeiden. Eine pauschale Rettungsaktion für alle Anleihengläubiger ist höchst unwahrscheinlich", meint der Stratege.

Wie er weiter ausführt, habe Evergrande eine Vielzahl von Gläubigern und sei somit nicht übermässig von Banken abhängig. Die ausstehenden Kredite und Anleihen des Unternehmens werden auf etwa 571–835 Mrd. RMB geschätzt (je nach Quelle und Definition der Schulden). Dies sind laut de Sousa lediglich 0.35–0.5% der Gesamtkredite der chinesischen Banken und 0.2–0.3% des Gesamtvermögens. Darüber hinaus belaufen sich die ausstehenden internationalen Anleihen von Evergrande auf 19.2 Mrd. USD, was lediglich 1.9% der Benchmark-Immobilienanleihen Chinas im breit diversifizierten Corporate EM Bond Index (CEMBI) und nur 0.035% im Gesamt-CEMBI darstelle.

Immobilien sind keine Finanzinstrumente

"Dies ist ein wichtiger Unterschied, da ein Preisverfall von finanziellen Vermögenswerten plötzlich eintreten und sich negativ auf die Bilanzen und die Bonität der Institute auswirken kann, die diese Vermögenswerte halten. Immobilienpreise entwickeln sich im Gegensatz zu Preisen von finanziellen Vermögenswerten in der Regel langsam – insbesondere in einem stark regulierten Markt wie China", betont de Sousa. Immobilienblasen könnten platzen und es ist zu Pleiten von Immobilienunternehmen gekommen, die Finanzkrisen ausgelöst haben.

Der chinesische Immobiliensektor sei jedoch ein hybrides System, das nur teilweise von Marktkräften gesteuert werde. Die chinesische Regierung habe eine relativ strenge Kontrolle über die Immobilienpreise und die Regionalregierungen kontrollierten das Grundstücksangebot – und sogar die Nachfrage, da sie zuvor veräusserte Grundstücke zurückkaufen könnten. Die chinesische Regierung wolle im Rahmen ihres übergeordneten Ziels einer Steigerung des "allgemeinen Wohlstandes" einen weiteren rasanten Anstieg der Immobilienpreise verhindern, so de Sousa. Ein Einbruch der Immobilienpreise sei jedoch nicht erwünscht. Der Immobiliensektor und verwandte Sektoren machen laut dem Strategen knapp ein Viertel der chinesischen Wirtschaft aus, daher würde eine handfeste Immobilienkrise wesentliche politische Fehler implizieren, was sehr unwahrscheinlich erscheine.

Warum verfolgt China diese riskante Strategie?

Bislang waren Zahlungsausfälle bei Anleihen in China sehr selten, was zu der Erwartung geführt habe, die Regierung werde immer einschreiten, um dies zu verhindern. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen einen solchen Fehlschluss als "Moral Hazard": Eine Reihe von Anreizen führt dazu, dass Anleger unverhältnismässige Risiken eingehen, da sie davon ausgehen, keine Verluste zu erleiden, falls die Risiken eintreten. "Die Reduzierung des Moral Hazard könnte nicht nur zu einer effizienteren Allokation von Ressourcen führen, sondern vielleicht sogar zu einer besseren Finanzlage chinesischer Banken, da sie ihr Engagement im stark fremdfinanzierten Immobiliensektor weiter reduzieren werden", sagt de Sousa.

Chancen für aktive Anleger

Die Anleihen von Evergrande haben seit Ende Mai Kursverluste von über 66% (bis 28. September) verzeichnet und damit im gleichen Zeitraum Verluste von ca. 17% im chinesischen Immobiliensektor und von 11% im gesamten chinesischen Markt für Hochzinsanleihen ausgelöst.

Nach Meinung de Sousas ist es aus Sicht des Marktes sinnvoll, angesichts der Absicht der Regierung, den Moral Hazard zu reduzieren und die Emittenten von Unternehmensanleihen – insbesondere im Immobiliensektor – zu mehr Finanzdisziplin anzuhalten, ein höheres Ausfallrisiko einzupreisen. Jedoch würden derzeit zu viele Anleihen chinesischer High-Yield-Emittenten als Stressed und Distressed Credit gehandelt, darunter auch zahlreiche Emittenten, bei denen eine Umschuldung unwahrscheinlich ist. "Wir sind der Auffassung, dass es zu einem nahezu willkürlichen Ausverkauf des chinesischen Hochzinssegments gekommen ist, der viele ausgezeichnete Chancen für aktive Anleger wie Vontobel bietet, die über die Expertise und die notwendigen Ressourcen verfügen, um jeden Emittenten individuell und ausführlich zu analysieren", so de Sousa.

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