Wenn weniger mehr ist – der Weg zu umweltfreundlicher Fertigung

Der Druck zu weniger Abfall und Umweltschäden fördert klimafreundliche Innovationen. Ein neues Kapitel Wirtschaftsgeschichte kündigt sich an. (Bild: Shutterstock.com/24Novembers)
Der Druck zu weniger Abfall und Umweltschäden fördert klimafreundliche Innovationen. Ein neues Kapitel Wirtschaftsgeschichte kündigt sich an. (Bild: Shutterstock.com/24Novembers)

Beschränkungen haben schon immer als Katalysator gewirkt, um Innovationen voranzutreiben. Dasselbe passiere im verarbeitenden Gewerbe nun wegen der Notwendigkeit, CO₂-Emissionen zu verringern, erklärt Pieter Busscher von Robeco Switzerland. Big Data, Automatisierung und Robotik drückten auf die Margen, beflügelten jedoch die Innovation.

03.09.2021, 15:39 Uhr

Redaktion: alm

Beschränkungen sind schon immer ein Katalysator für Innovationen gewesen. Innovationen haben zur Entdeckung von Eisen geführt, das die Eisenzeit definierte, und gleiches galt, als die Dampfmaschine, das Sinnbild der ersten industriellen Revolution, erfunden wurde. Beschränkungen bei der Verfügbarkeit von Werkstoffen und bei Verarbeitungsprozessen haben in Verbindung mit menschlichem Erfindergeist zu Pionierleistungen beigetragen, durch die Zivilisationen und Wirtschaft grundlegend verändert wurden.

Die Ersetzung von Bronze durch Eisen ist ein klassisches Beispiel. Als der für die Bronzeherstellung notwendige Zinn knapp wurde, mussten Hüttenleute nach Alternativen suchen, was Fortschritte bei Schmelzprozessen zur Abtrennung von Eisenerz von anderen Erzen beschleunigte. Eisen, das bessere Eigenschaften besitzt, trat an die Stelle von Bronze, als die Herstellungskosten fielen und Eisen in grösseren Mengen verfügbar wurde.

Beschränkung bei Werkstoffen verändert Zivilisation

"Ein neuzeitliches Pendant zur Entdeckung von Eisen ist die Entdeckung von Graphen, das aus nur einer Lage von Kohlenstoffatomen besteht. Graphen ist stärker, aber auch leichter als Stahl", erklärt Pieter Busscher, Senior-Portfoliomanager bei Robeco Switzerland.

Abgesehen von seiner Stärke eigne sich der Werkstoff wegen seiner hohen elektrischen- und Wärmeleitfähigkeit für vielfältige gewerbliche Anwendungen – von Autobatterien über Wärmepumpen und Industriegeneratoren bis zu energieeffizienter Beleuchtung von Wohnungen und Gebäuden. Durch in Laboren entwickelte Rohstoffe wie Graphen könnten aus der Erde gewonnene Bodenschätze ersetzt werden, so der Experte.

Fast drei Jahrtausende nach der Entdeckung von Eisen führten Beschränkungen einer anderen Art zu einer der wichtigsten Innovationen der Menschheitsgeschichte, zur Erfindung der Dampfmaschine. Was der mechanische Antrieb für das verarbeitende Gewerbe des 18. Jahrhunderts war, ist die Rechenleistung von Computern für das 21. Jahrhundert. "Mit dem Aufkommen von Big Data, Automatisierung und Robotik ist das verarbeitende Gewerbe in seine vierte industrielle Revolution eingetreten. Und die Auswirkungen dieser Entwicklung werden in mehreren Industriezweigen genauso umwälzend sein", sagt Busscher.

Das in Fabriken zum Einsatz kommende Internet der Dinge revolutioniert Fertigungsstrassen: Computergestütztes Software-Engineering, Fabrikautomatisierung und der Einsatz von Robotern optimieren Design, Prototypenentwicklung und Produktion. Das habe zur Folge, dass in der Vorproduktion, der Produktion und sogar der Nachproduktion weniger Werkstoffe verschwendet werden.

Eine Aufgabe des 21. Jahrhunderts

In der Vergangenheit gab es Beschränkungen vor allem bei der Ressourcenbereitstellung und der Produktivität. "In beispielloser Weise kommen im 21. Jahrhundert nunmehr Beschränkungen auf, weil die Jahrhunderte währende Missachtung und Schädigung der Umwelt ihren Tribut fordert", so der Experte. Neben dem Druck, die Produktion hochzufahren, seien Hersteller herausgefordert, Emissionen, Umweltverschmutzung und übermässige Abfallmengen zu verringern – die Begleiterscheinungen von Produktionsprozessen.

"Zur Beschreibung von Technologien, die die negativen Auswirkungen der Industrialisierung verringern verwende ich den Begriff 'wirkungsorientierte Innovationen'", sagt Busscher. "In diesem Bereich tätige Unternehmen helfen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren, Abfallstoffe der Wiederverwertung zuzuführen und Biomasse zur Herstellung von umweltfreundlichen Werkstoffen und Produkten zu verwenden."

Recycling werde zwar schon seit Jahrzehnten praktiziert, heute werden aber intelligentere Recycling-Technologien entwickelt, die mit der zunehmenden Komplexität und Menge von Abfällen, die Menschen hinterlassen, zurechtkommen. Elektroschrott sei bereits die am stärksten wachsende Abfallkategorie.

Vieles davon enthält grosse Volumen an Grund- und Edelmetallen sowie seltenen Erden, die zum Betrieb der elektronischen Geräte einer digitalen Wirtschaft benötigt werden und in den Magneten und Batterien Verwendung finden, die man für die Elektrifizierung und die Erzeugung von grünem Strom braucht. Ähnlich stark haben auch die Menge und Verschiedenartigkeit von Kunststoffen sowie die Recycling-Verfahren zur Rückgewinnung wiederverwertbarer Stoffe zugenommen.

Schliesslich tragen Fortschritte bei Biomasse und biobasierten Stoffen von grosstechnisch hergestelltem Biobeton und Hölzern, die ähnlich stark sind wie Stahl, bis zu in kleinen Mengen hergestellten Biokunststoffen und Bioklebstoffen. Biowerkstoffe kommen den Funktionseigenschaften von auf Basis fossiler Brennstoffe hergestellten Werkstoffe nahe, sind aber weniger energieintensiv und können umweltfreundlicher entsorgt werden können.

Margendruck beflügelt Innovation

Es werden intelligentere Recycling-Technologien entwickelt, die mit der zunehmenden Komplexität und Menge vom Menschen produzierter Abfälle zurechtkommen.

"Die Warnungen von Wissenschaftlern und Umweltschützern vor dem Klimawandel lassen sich nicht länger ignorieren, CO₂-Emissionen sind zum 'Volksfeind Nr. 1' geworden. Dekarbonisierung hat inzwischen für Volkswirtschaften, wie auch auf geopolitischer Ebene, hohe Priorität", meint Busscher. Mindestens die Hälfte der G20-Länder haben sich verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Ein wichtiges Element der Klimastrategie vieler Länder ist es, durch Steuern oder Emissionshandel CO₂-Emissionen zu bepreisen (vgl. Grafik).

Steigende CO₂-Preise erhöhen die Produktionskosten

Quelle: BloombergNEF, Bloomberg Green
Quelle: BloombergNEF, Bloomberg Green

Die Grafik zeigt die historischen (schwarz) und die prognostizierten (blau) CO₂-Preise im EU-Markt für CO₂-Emissionen (den grössten der Welt). Steigende CO₂-Preise werden zu einem integralen Bestandteil der Produktionskosten von Unternehmen und sollten sie gemäss dem Experten dazu bringen, auf sauberere und ressourcenschonendere Technologien umzustellen.

Mit den CO₂-Preisen werden auch die Produktionskosten von Wirtschaftszweigen mit hohen Emissionen steigen und für diese grössere Anreize schaffen, ihre Emissionen insgesamt zu reduzieren. Um Forschung und Entwicklung voranzubringen und die Zeit bis zur Markteinführung zu verkürzen, haben die grössten Märkte (USA, China und die EU) für die nächsten Jahrzehnte finanzielle Unterstützung angekündigt, um im eigenen Land Investitionen in saubere Technologien und Infrastruktur zu fördern.

Wenn die Produktion hochgefahren wird und Skaleneffekte erreicht werden, werden die Kosten von CO₂-armen und CO₂-freien Technologien fallen. Laut den Vereinten Nationen könnten in Sektoren, deren Anteil an den weltweiten Emissionen bei über 70% liegt, CO₂-freie Technologien bis zum Jahr 2030 wettbewerbsfähig sein.

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