Halbleiterindustrie: kurzfristig Flop, langfristig Top

Die Chipindustrie steht vor einem Abschwung. (Foto Dragon Images/Shutterstock)
Die Chipindustrie steht vor einem Abschwung. (Foto Dragon Images/Shutterstock)

Angesichts einer drohenden Rezession ist ein kurzfristiger Abschwung in der Halbleiterindustrie wahrscheinlich, der sich jedoch auf strukturelle Trends kaum auswirken dürfte. Denn solche Trends sind langfristige Treiber, wie Hagen Ernst von DJE Kapital sagt.

20.10.2022, 11:50 Uhr

Redaktion: cwe

"Während im letzten Jahr noch in vielen Branchen und Bereichen ein Chipmangel herrschte, scheint nun ein Abschwung im Halbleitersektor angesichts der bevorstehenden weltweiten Rezession unausweichlich", sagt Hagen Ernst, stv. Leiter Research und Porfoliomanagement bei DJE Kapital. "Die entscheidende Frage wird sein, wie stark dieser ausfallen und wie lange er anhalten wird." Aktuell seien bei fast allen Halbleiterunternehmen die Auftragsbücher gut gefüllt, was den Abschwung im nächsten Jahr etwas abfedern könnte. Bereits sichtbar sei dieser bei Speicherchips, insbesondere den sogenannten DRAMs (Dynamic Random Access Memory, «flüchtiger Speicher»). Vor allem wichtige Endmärkte wie die für PCs oder Smartphone schwächeln, DRAM-Spotpreise sind entsprechend im Jahresvergleich um 33 Prozent gefallen.

Um den Preisdruck nicht noch zu verschärfen, nehmen DRAM-Produzenten ihre Chips vorerst auf die eigene Bilanz. So stieg der Lagerbestand bei den Produzenten von drei auf 13 Wochen. Drei Produzenten teilen sich diesen Markt auf: Marktführer mit 44 Prozent im Jahr 2021 ist Samsung, gefolgt von SK Hynix mit 28 Prozent und Micron mit 23 Prozent. Aber auch in den anderen Vertriebskanälen ist der Lagerbestand noch erhöht (v. a. bei PC-Herstellern mit rund zwölf Wochen). Aktuell prognostizieren Broker und Marktforschungsinstitute für 2023 einen Umsatzrückgang von fünf bis zehn Prozent im Halbleitersektor und im Ausrüstungsmarkt einen Rückgang von zehn bis 20 Prozent.

Staatliche Interventionen nehmen zu

Seit geraumer Zeit beobachtet Hagen, dass die staatlichen Interventionen zunehmen. Im Fokus steht hier vor allem China. Die USA wollen möglichst verhindern, dass es China gelingt, eine eigene Halbleiterindustrie aufzubauen. So dürfen die US-Ausrüster nicht die neueste Fertigungstechnologie an chinesische Kunden liefern. Lediglich Maschinen zur Halbleiterfertigung ab 14 Nanometer (nm) sind erlaubt. Neu hinzugekommen ist nun, dass auch keine Hochleistungsprozessoren mehr ohne Genehmigung geliefert werden können. Da China der Zugriff auf die neueste Technologie verwehrt wird, kommt der seit langem geplante Aufbau einer lokalen Halbleiterindustrie nicht voran. Die chinesische Halbleiterindustrie beschränkt sich auf passive Bauelemente, kleinere DRAM- und Logik-Produzenten sowie den chinesischen Chipfertiger SMIC ohne Zugang zu neuester Fertigungstechnologie wie fünf Nanometer. "Kurzfristig führen die zunehmenden Restriktionen zwar teils zu Umsatzverlusten etwa bei NVIDIA (keine Hochleistungsprozessoren für China mehr", meint Hagen Ernst, "langfristig dürfte dies aber die technologische Vorherrschaft von US-Unternehmen noch stärken." Bis auf EUV (von der Firma ASML aus Holland) sind fast alle wichtigen Technologien in der Hand einiger weniger US-Unternehmen.

Risikofaktor Geopolitik: Taiwan im Fokus

Auch die geopolitischen Risiken nehmen zu. Ein Einmarsch von China in Taiwan hätte verheerende Folgen für die gesamte Halbleiterindustrie. 75 Prozent der ausgelagerten Halbleiterproduktion kommen aus China und Taiwan (TSMC aus Taiwan ist weltgrösster Chipfertiger). Vor dem Hintergrund sind laut Hagen Ernst auch die Bemühungen der USA und Europas zu sehen, eine eigene Halbleiterfertigung vor Ort aufzubauen. Die USA gewähren einen 25-prozentigen Steuervorteil für eine Produktion in den USA, nachdem im letzten Jahr bereits ein 52 Milliarden US-Dollar schweres Programm zum Aufbau einer heimischen Chipfertigung beschlossen worden ist. Europa stellt 43 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln für die Steigerung der Halbleiterproduktion in der EU bereit.

Ein günstiger Einstiegszeitpunkt?

Oftmals stiegen in der Vergangenheit in Jahren des Abschwungs paradoxerweise die Halbleiteraktien am meisten. "Aktuell bleibt das Umfeld an den Kapitalmärkten angespannt und ein Einstieg ist dementsprechend noch etwas verfrüht," sagt Hagen Ernst. Steigende Inflation und Zinsen belasten. Eine in den USA stärker als erwartet nachlassende Inflation wäre ein Katalysator. Angesichts einer Kurskorrektur von 38 Prozent beim Halbleiterindex SOX ist für Hagen Ernst ein Teileinstieg denkbar. "Den richtigen Einstiegszeitpunkt genau zu finden ist ohnehin schwierig, die langfristigen Aussichten sind jedoch weiter gut", meint der Experte. Nach dem Kurs/Buchwert-Verhältnis bewegen sich die DRAM-Hersteller inzwischen unter dem historischen Durchschnitt. Der Sektor ist zuerst in den Abschwung geraten und könnte mit einer konservativeren Kapazitätsplanung für 2023 als erster die Talsohle erreichen.

Laut World Semiconductor Trade Statistics wuchs der Halbleitermarkt von 2008 bis heute mit acht Prozent pro Jahr und das Wachstum sollte auch zukünfitg im mittleren bis hohen einstelligen Bereich liegen. Grund hierfür sind eine Reihe von Treibern wie zunehmende Nachfrage von Cloudanwendung und Datenzentren, Elektroautos, autonom fahrende Autos, Internet der Dinge, schneller 5G-Mobilfunk sowie künstliche Intelligenz.

Besonders Ausrüster sind strukturell interessant

"Angesichts des anhaltend schwierigen Börsenumfelds sollte man sich aktuell auf Unternehmen mit guter Marktpositionierung und moderater Bewertung fokussieren und Titel mit zwar hohem Wachstumspotenzial, aber geringer Profitabilität eher meiden", sagt Hagen Ernst. Um den Sektor in der Breite abzubilden, biete sich TSMC an. Die Taiwanesen sind der weltgrösste Halbleiterfertiger mit einem Marktanteil von 53 Prozent und technologisch führend bei der Fünf-Nanometer-Produktion, der Umsatzanteil liegt hier im zweiten Quartal bereits bei 21 Prozent. Mittlerweile hat ein Grossteil der Halbleiterunternehmen die Produktion ausgelagert. TSMC produziert Chips für Kunden wie Apple, AMD, Broadcom oder NVIDIA.

Gute Aussichten auch für Hochleistungsprozessoren

Strukturell stark nachgefragt sind gemäss Hagen Ernst auch Hochleistungsprozessoren (GPU), die bei Datenzentren, Cloudanwendungen und bei Künstlicher Intelligenz immer stärker Anwendung finden. Führend bei sogenannten Discrete GPUs sind NVIDIA mit einem Marktanteil von 78 Prozent sowie AMD mit 17 Prozent. Intel habe hier mittlerweile etwas aufholen können und kommt auf einen Marktanteil von immerhin vier Prozent. Auch der Automobilsektor wächst strukturell, denn seit Jahren steigt der Halbleiteranteil im Auto. Mit Elektroautos beschleunigt sich dieser Trend nochmals, da sich hier der Halbleiteranteil nahezu verdoppelt. Fahrerassistenzsysteme sowie perspektivisch autonomes Fahren benötigen ebenfalls einen deutlich höheren Halbleiteranteil – besonders Hochleistungsprozessoren, Lidar- und Radarsensoren werden benötigt. Ein hohes Exposure zum Automobilsektor haben unter anderem Infineon, NXP und ST Micro.

Ferner finden kundenspezifische Halbleiter, sogenannte ASICs, immer mehr Verbreitung dank immer höherer Rechenleistung und Energieeffizienz. Broadcom beispielsweise entwickelt für Google den Hochleistungsprozessor TPU (= Tensor Processing Unit; neuester, für Google entwickelter Machine Learning-Supercomputer). Broadcom ist v. a. im Bereich Networking positioniert. Diverse Bereiche wie Breitbandausbau, 200/400G Switching Technologie, Campus Upgrade Zyklus sowie WiFi6/6E könnten sich auch im Falle einer Rezession als weniger zyklische Nachfrager erweisen. Zudem erzielt Broadcom durch die Zukäufe von CA, Symantec und jüngst VMWare (eine kartellrechtliche Zustimmung steht hier noch aus) mittlerweile fast ein Viertel des Umsatzes aus relativ stabilem Softwaregeschäft. So sollte der Gewinn auch im nächsten Jahr auf hohem Niveau bleiben, ist Hagen Ernst überzeugt.

Oft übersehen: Chipdesigner

"Oft unterschätzt, jedoch ein immer bedeutsamerer Bestandteil der Wertschöpfungskette sind Unternehmen, die sich speziell auf Chipdesign konzentrieren", sagt Hagen Ernst. Hierbei geht es beispielsweise um Fragen der optimalen Architektur, Vorab-Simulationen und Entwicklung des am besten geeigneten Schaltkreises. Da diese Ausgaben in der Regel dem Forschungs- und Entwicklungsbudget unterliegen, würden sie in Krisenzeiten nicht so stark gekürzt wie etwa Investitionen in die Halbleiterfertigung. Das Marktvolumen sei mit schätzungsweise 7,5 Milliarden US-Dollar zwar noch relativ klein, jedoch werden Wachstumsraten von zehn bis 15 Prozent in den nächsten Jahren erwartet.

Unter Druck: Werte von Ausrüstern

Besonders stark unter Druck geraten sind auch Aktien von Unternehmen für Maschinen zur Halbleiterfertigung. "Diese sind in der Regel besonders zyklisch, und die Gewinne sollten dementsprechend deutlich unter Druck geraten. Langfristig sind jedoch die Ausrüster besonders aussichtsreich", ist der Experte überzeugt. Der Fertigungsprozess werde immer anspruchsvoller. Um Halbleiter hochleistungsfähiger und energieeffizienter zu machen, werden die Strukturen immer kleiner. TSMC beispielsweise fertigt schon auf fünf Nanometer. Um derartig winzige Strukturen abbilden zu können, benötigt man ein Fotolithografie-Verfahren mit ausgesprochen starker ultravioletter Strahlung (EUV). Hier hat ASML mittlerweile eine Monopolstellung. Im Rahmen von EUV werden aber auch andere wichtige Prozesse wie das Ätzen der Schaltkreise bzw. die chemische Gasphasenabscheidung immer komplexer. Den Markt teilen sich hier Applied Materials, LAM Research sowie Tokyo Electron auf.

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