01.11.2023, 10:17 Uhr
Technologisch wird in Bezug auf Künstliche Intelligenz (KI) oftmals von einer neuen Ära gesprochen, die 2023 eingeläutet wurde. «Solche Entwicklungsschübe geschehen in etwa alle zehn Jahre. Ist das Muster diesmal...
Aus dem kleinen «Amazon Web Services» entwickelte sich das lukrative Milliarden-Geschäft mit «Cloud Computing». Welche Komplexität dahinter steckt, welche Chancen sich hieraus ergeben und welche Unternehmen derzeit den Markt dominieren, erläutert Mike Glöckler, Analyst für den Technologie-Sektor bei DJE Kapital im jüngsten Marktausblick.
In der Rückschau war 2006 ein entscheidendes Jahr für den Online-Handel: Der Branchenriese Amazon öffnete seine bis dahin ausschliesslich selbst genutzte IT-Infrastruktur auch für andere Händler und Unternehmen als Dienstleistung.
Der heute global agierende Onlineversandhändler Amazon, der einst als reiner Online-Buchhändler gestartet war, konnte sich dank eines stark erweiterten Sortiments um weitere Produktkategorien innerhalb von nur wenigen Jahren zur weltweit grössten eCommerce-Plattform entwickeln. Um eine Webseite, die täglich Millionen von Anfragen verzeichnet, erfolgreich betreiben zu können, bedarf es einer komplexen IT-Infrastruktur mit allen möglichen Technologiekomponenten. Dem Amazon-Team kam die Idee, eine gemeinsame Infrastruktur aufzubauen und jedem internen Entwickler-Team durch eine «Virtualisierungsschicht» Zugriff auf dieselbe Infrastruktur zu geben. Somit konnten alle Entwickler die Infrastrukturkomponenten als eine Art bereitgestellten «Service» (beispielsweise Datenspeicher, Computing Power, Datenbank-Service etc.) nutzen.
Im Jahr 2003 kam das Management auf die Idee, die komplexe IT-Infrastruktur, die Amazon für eine der grössten Webseiten der Welt betrieb, auch anderen Unternehmen zugänglich zu machen. Nach zahlreichen Überarbeitungen wurde schliesslich der Unternehmensbereich «Amazon Web Services» (AWS) aufgebaut, der im Jahr 2006 mit den ersten «Cloud Services» für Unternehmenskunden online ging. Die neu angebotenen Services für Storage, Computing und bald auch Datenbanken waren sofort ein grosser Erfolg in der Entwicklerwelt. Vor allem Start-ups konnten damit ohne grosse Investments ihre Ideen schnell, direkt und kostengünstig umsetzen. Doch auch der Vorteil grosser Unternehmen, die notwendige teure Infrastruktur vorzuhalten, schmolz dahin. Bis 2010 konnte AWS den Cloud Computing-Markt ohne Konkurrenz auf- und ausbauen.
2010 startete schliesslich Microsoft mit seiner Plattform «Azure» und trat in Konkurrenz mit AWS. Danach folgten in den kommenden Jahren unter anderem Alibaba, Google, IBM und Oracle, um nur die grössten zu nennen. Alle waren zunächst AWS in technischer Hinsicht weit unterlegen, so dass AWS etwa sechs bis sieben Jahre Vorsprung hatte, bis sich ernstzunehmende Konkurrenz mit Microsoft Azure entwickelte. Microsoft Azure hat sich in den Folgejahren, ausgehend von einer erheblich niedrigeren Umsatzbasis, prozentual schneller entwickelt als AWS, wobei AWS seit dem Start von Cloud Computing bis heute in jedem Quartal oftmals erheblich mehr absolutes Neugeschäft generiert hat, als es bei Azure der Fall ist.
Dies bedeutet, dass sich die gesamte Marktgrösse von AWS in absoluten Zahlen immer weiter von der Konkurrenz entfernt hat. Prozentual hält AWS seinen Marktanteil im Bereich von etwa 35 bis 40 Prozent am weltweiten Cloud Computing-Markt seit mehreren Jahren stabil. Microsoft Azure folgt mit etwa 20 bis 25 Prozent. Danach kommt Google Cloud mit etwa zehn bis 15 Prozent, gefolgt von verschiedenen anderen Mitbewerbern.
AWS (Amazons «Cashcow») und Microsoft Azure sind hochprofitabel, während Google mit seinem Cloud-Angebot noch viel Geld verliert. Alle drei Cloud-Anbieter fallen auch unter den Begriff «Hyperscaler», also die am grössten skalierenden Cloud-Anbieter mit dem umfangreichsten Angebot an Cloud Services.
AWS hatte mit drei Services angefangen und bietet mittlerweile mehr als 200 verschiedene Services an. Bei der Angebotsbreite und -tiefe ist AWS technisch weiterhin führend. Aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung zu Enterprise-Kunden hat es Microsoft allerdings leichter, auf existierenden Geschäftsverbindungen aufzubauen. Mittlerweile sind beide Unternehmen im Enterprise-Bereich gut vertreten, wobei Microsoft immer noch einen Kundenbeziehungsvorteil haben dürfte.
Unternehmen können mit dem Cloud Computing verschiedene IT-Technologien nutzen, quasi «mieten» beziehungsweise «buchen», ohne sich um den Aufbau und das Betreiben der Infrastruktur kümmern zu müssen. Diese Infrastrukturschicht wird auch als «Infrastructure as a Service» (kurz: IaaS) bezeichnet, also Infrastruktur als Service angeboten. Die Unternehmen können somit auf Knopfdruck die Technologien auswählen und aktivieren, die sie benötigen und somit innerhalb weniger Minuten bis Stunden eine komplette Infrastrukturumgebung zum Laufen bringen. Dieses Bereitstellen der Infrastruktur dauerte bei der herkömmlichen Arbeitsweise in Unternehmen nicht selten mehrere Wochen bis Monate. Man musste sich überlegen, welche Infrastrukturkomponenten man benötigt, das Budget dafür errechnen und beantragen. Nach Freigabe musste dann die Bestellung aufgegeben und nach üblicherweise längerer Lieferzeit damit begonnen werden, die Infrastruktur (Server, Datenbanken, Firewall usw.) aufzubauen und zu installieren. Das alles bekommt man bei den Cloud-Anbietern heutzutage auf Knopfdruck. Man kann dort theoretisch so viel buchen, wie (und wo in der Welt verteilt) man möchte – und bezahlt für die gebuchte Zeit die entsprechenden Preise für die Infrastruktur-Services (auch Cloud-Dienste genannt). Umgekehrt – falls weniger benötigt wird – kann man den Service einfach wieder abstellen und bezahlt dafür nichts mehr. Es gibt eine Vielzahl von Buchungsmodellen, so dass man flexibel jederzeit die Cloud-Dienste ein- und ausschalten oder auch eine längere Zeit vorab buchen kann, letzteres inklusive Preisnachlass.
Diese gewonnene Flexibilität ermöglicht es Unternehmen, erheblich schneller neue Entwicklungen des IT-Sektors auszuprobieren, zu entwickeln und – wenn nicht mehr benötigt – auch wieder schnell einzustellen.
Diese Flexibilität und Geschwindigkeit sind die technische Basis, um Innovationen in allen Bereichen um ein Vielfaches schneller und effizienter vorantreiben zu können. Cloud Computing beschleunigt nicht nur durch das unmittelbare Bereitstellen von Ressourcen und Computing Power die IT-Entwicklungszyklen, sondern es werden auch gerade neue Technologien vor allem im Cloud Computing bereitgestellt. Neben der Infrastruktur als Dienstleistung (IaaS) bietet Cloud Computing auch das sogenannte «Platform as a Service» (PaaS) an. Hier werden IT-Grundfunktionalitäten auf Abruf bereitgestellt. Dazu gehören zum Beispiel das analytische Auswerten von Daten, Entwicklungswerkzeugen, Migrationstools (um sogenannte Workloads in die Cloud zu transformieren), Internet of Things, Absicherung der Cloud-Komponenten mit Security Lösungen sowie Entwicklungsumgebungen für künstliche Intelligenz (KI). Mit Software as a Service (SaaS) werden komplette Anwendungs-/ Softwarelösungen in der Cloud angeboten. Es gibt dort viele bekannte Namen wie zum Beispiel Salesforce, Adobe, SAP oder Microsoft Office 365. SaaS ermöglicht den Anbietern normalerweise eine höhere Marge als das herkömmliche lokale Installationsmodell und ist zweifelsohne ein riesiger Markt – und auch hier verdienen die Cloud-Plattform-Anbieter (Amazon, Microsoft, Google und andere) mit, da die SaaS-Anbieter meist keine eigene Cloud-Plattform aufbauen, sondern die der sogenannten Hyperscaler nutzen.
Gerade der oben erwähnte KI-Bereich erfährt derzeit grösste Aufmerksamkeit in den Medien und der Unternehmenswelt – durch ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer). Es wird derzeit vom «iPhone-Moment» der künstlichen Intelligenz gesprochen. Damit ist der Punkt gemeint, an dem die KI den Durchbruch zur Marktreife geschafft hat und das Wachstum an funktionierenden, sinnvollen Lösungen stark (möglicherweise exponentiell) zunehmen wird – und somit auch Wirtschaftswachstum in verschiedensten Bereichen anschieben kann.
Das Thema KI ist beim Endnutzer funktional angekommen und wird möglicherweise einen jahrelangen Investitionsboom in der IT-Branche auslösen. Amazon und vor allem Google galten jeher als stark positioniert im KI-Bereich. Microsoft war dort eher weniger bekannt, auch wenn der Konzern in diesem Bereich bereits jahrelang intensiv gearbeitet hat. Die strategische Partnerschaft und eine Investition von zehn Milliarden US-Dollar in OpenAI hat Microsoft im Bereich der KI einen ordentlichen Schub nach vorn verschafft. Ähnlich wie beim kalifornischen Goldrausch, wo vor allem die Anbieter der Werkzeuge für die Goldsuche und das Schürfen an dem Boom bei der Goldsuche verdient haben, könnte es auch bei der breiten Anwendung von KI weltweit ablaufen. Mit die beste Werkzeugauswahl gibt es bei den drei grössten Cloud-Anbietern. Natürlich sind auch noch andere Gewinner und Unternehmen zu nennen, die für das Thema KI hervorragend aufgestellt sind, wie beispielsweise der Chiphersteller NVIDIA, der seit vielen Jahren für seine KI-Chips bekannt ist.
Die drei grossen Hyperscaler AWS, Microsoft Azure und Google Cloud repräsentieren mehr als 70 Prozent des Cloud Computing (IaaS und PaaS)-Marktes. Zwischen den drei Top-Anbietern gibt es grosse Abstände, wenn die Marktanteile am Umsatz gemessen betrachtet werden. Die Wachstumsraten des gesamten Cloud Computing-Marktes lagen in den letzten zehn Jahren durchschnittlich bei zirka 20 bis 25 Prozent. Aufgrund der erreichten Grösse und auch der derzeitigen globalen wirtschaftlichen Abkühlung geht man in den nächsten Jahren von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von etwa 17 Prozent aus.
Bei der derzeitigen Cloud Computing (umfasst IaaS, PaaS und SaaS)-Marktgrösse Ende 2022 von 545 Milliarden US-Dollar bedeutet dies eine Verdopplung bis 2027 auf ungefähr 1 200 Milliarden US-Dollar. IaaS und PaaS liegen zusammen bei rund 55 Prozent und SaaS bei etwa 45 Prozent Anteil, wobei das Wachstum für IaaS und PaaS als stärker prognostiziert wird. Der Markt wird dabei höchstwahrscheinlich auch weiterhin von diesen drei Hyperscalern dominiert werden.
Die wirtschaftliche Abkühlung bekommen jedoch auch die grossen Cloud Computing-Anbieter zu spüren: Diese lastet auf deren Kursentwicklung. Firmen müssen derzeit aufgrund der wirtschaftlich unsichereren Zeit Kosten einsparen. Gerade darin liegt aber auch ein weiterer Vorteil des flexiblen Cloud Computing-Modells, denn Dienste und Kapazitäten können dynamisch angepasst werden - ein langfristiger Vorteil für die Cloud-Anbieter, da Firmen nun diesen Vorteil gegenüber herkömmlicher IT klar erkennen. Diese Erkenntnis dürfte zusätzlich zu Entscheidungen führen, IT-Lösungen in die Cloud zu verschieben.
Der weltweite IT-Markt (inklusive Cloud) wächst mit zirka fünf bis zehn Prozent pro Jahr, und der grössere Teil der IT-Ausgaben entfällt noch auf die herkömmliche IT. Verschiedene Analysen und Statistiken gehen davon aus, dass derzeit wahrscheinlich erst 25 bis 30 Prozent der möglichen Verlagerungen in die Cloud abgeschlossen sind. Neue Workloads werden aufgrund der Vorteile in der Cloud oftmals gleich dort aufgesetzt. Daher dürfte ein langanhaltendes Wachstum im Cloud Computing gesichert sein. Zugleich ist anzunehmen, dass sich das Wachstum unter Schwankungen prozentual langfristig leicht abschwächen wird. Nichtsdestotrotz ist auch dies keine gesicherte Aussage, was sich an dem derzeit potenziell ausgelösten KI-Boom beobachten lässt. Sollte sich dieser als noch signifikanter als derzeit angenommen herausstellen, könnte solch ein technologischer Quantensprung eine Sonderkonjunktur für möglicherweise mehrere Jahre bei den Technologieplattformanbietern auslösen