12.12.2024, 07:04 Uhr
«Die Leistungsfähigkeit und das Gewinnpotenzial der KI sind faszinierend. Was müssen Anleger im Jahr 2025 beachten?», fragt sich das Investmentteam von Candriam in ihrem Ausblick.
Paulo Salazar, Head of Emerging Markets Equities, und Chris Mey, Head of Emerging Market Debt bei Candriam, analysieren, ob Pekings Konjunkturmassnahmen und Reformen seine Wirtschaft angesichts der drohenden Zölle schützen können.
Zwar hat Mexiko China als grösster Handelspartner der USA im Jahr 2023 überholt, doch das Reich der Mitte trägt weiterhin wesentlich zum Handelsdefizit der USA bei und ist daher laut den Experten für mögliche Zollerhöhungen besonders anfällig. Im schlimmsten Fall könnte die neue US-Regierung unter Donald Trump bis zu 60 Prozent der chinesischen Exporte mit Zöllen belegen.
Candriam schätzt, dass diese Zölle das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in einem solchen Szenario um 1,5 bis 2 Prozent verringern und damit Chinas fragile Erholung gefährden könnten. Ob China sein Wachstumsziel von 5 Prozent erreichen kann, wäre dann fraglich. Schlüsselsektoren wie Technologie, verarbeitendes Gewerbe und Konsumgüter würden dann unter erheblichen Druck geraten und die bestehenden Herausforderungen für China noch verschärfen.
Denn neben drohenden Zöllen sieht sich Peking mit erheblichen innenpolitischen Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen die hohe Verschuldung der Kommunen, der angespannte Bankensektor, der fragile Immobilienmarkt und die schwache Konsumnachfrage. Trotz der jüngsten Bemühungen um eine Stabilisierung der Wirtschaft bleibe die entscheidende Frage: Ist China besser gerüstet, um diesen Druck in einem immer komplexeren globalen Umfeld zu bewältigen?
Angesichts dieser wirtschaftlichen Herausforderungen hat Peking im September eine Reihe von Massnahmen angekündigt, darunter eine Senkung des Mindestreservesatzes um 50 Basispunkte und der Zinssätze um 20 Basispunkte, mit weiteren Zinsschritten in Aussicht. Um den Immobilienmarkt zu stabilisieren, haben die örtlichen Behörden die Hypothekenzinsen gesenkt, die Anforderungen an die Anzahlung für Käufer von Zweitwohnungen herabgesetzt und die Kreditaufnahmebeschränkungen für Kommunen gelockert, die leerstehende Wohnungen erwerben. Die Liquiditätshilfe wurde auf den Aktienmarkt ausgedehnt, und Berichten zufolge werden Kapitalspritzen für staatliche Banken in Betracht gezogen, um die Kreditvergabe anzukurbeln.
Trotz dieser Interventionen bleibt der Umfang der Massnahmen begrenzt und macht nur etwa ein Prozent des BIP aus. Zwar gab es eine gewisse kurzfristige Entspannung – vor allem eine Erholung der chinesischen Aktien –, doch der anhaltende Deflationsdruck, das schwache Verbrauchervertrauen und der anhaltende Abschwung am Immobilienmarkt stellten für die Wirtschaft weiterhin eine Belastung dar.
Im Dezember kündigte das Staatsbüro für das Jahr 2025 eine «proaktivere und moderat lockere» Geldpolitik an, die an die expansiven Massnahmen nach 2008 erinnert. Auf der China Economic Work Conference bekräftigten Regierungsvertreter ihre Bemühungen um eine Stabilisierung des Wirtschaftswachstums angesichts der zunehmenden Handelsspannungen mit den USA. Sie versprachen, das Haushaltsdefizit auszuweiten, die Emission von Staatsanleihen zu erhöhen und die Geldpolitik weiter zu lockern.
Zu den wichtigsten geplanten Schritten zählen eine Senkung der Leitzinsen und eine Reduzierung der Mindestreserveanforderungen der Banken, um die angeschlagene Wirtschaft zu stützen. Die Einzelheiten sind noch unklar, aber die Schwerpunkte der Strategie liegen darauf, den Binnenkonsum anzukurbeln, die Investitionseffizienz zu verbessern und wichtige Bereiche wie Infrastruktur, Technologie und Konsumausgaben zu stützen.
Der Erfolg dieser Massnahmen hängt wahrscheinlich davon ab, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt sie kommen. Damit die Initiativen ihre Wirkung entfalten können, bedarf es eines noch nie dagewesenen Masses an Anreizen in Verbindung mit einer erheblichen wirtschaftlichen Liberalisierung und marktorientierten Reformen. Während die Spekulationen über mögliche weitere Konjunkturmassnahmen zunehmen, bleiben weiterhin Zweifel an Chinas Fähigkeit, die strukturellen Herausforderungen und den externen Druck zu bewältigen. Ohne zusätzliche gezielte fiskalische Unterstützung, Anreize für den Konsum und sinnvolle Reformen droht laut Candriam eine anhaltende Stagnation – ähnlich wie bei der wirtschaftlichen Entwicklung Japans in den 1990er Jahren.
«Chinas politische Interventionen sind zwar vielversprechend, doch sie reichen noch nicht aus, um dem wirtschaftlichen Druck des Trump 2.0-Szenarios vollständig entgegenzuwirken. Investoren und die globalen Märkte werden wahrscheinlich vorsichtig bleiben und auf klarere Anzeichen für entschlossenes Handeln Anfang 2025 warten», so das Fazit der Autoren.
China sei nach wie vor ein wichtiger Wachstumsmotor für die Schwellenländer – und die Konjunkturmassnahmen könnten die Verhältnisse neu gestalten. Ein erhöhter Inlandskonsum in China könnte die Nachfrage nach Rohstoffen ankurbeln, was den Exporteuren in Lateinamerika und Afrika zugutekäme. Die Abhängigkeit von kreditfinanzierten Investitionen birgt jedoch Risiken, insbesondere für jene Schwellenländer, die von chinesischem Kapital abhängig sind.
Die rohstoffexportierenden Schwellenländer könnten mit geringeren Einnahmen, einer Währungsabschwächung und geringeren Investitionen konfrontiert werden, wenn die chinesische Nachfrage nachlässt. Die deflationären Tendenzen in China könnten zudem auf die Weltwirtschaft überschwappen, die Inflation dämpfen und exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland in Mitleidenschaft ziehen.
Der chinesische Yuan steht durch sinkende Exporte und rückläufige Auslandsinvestitionen bereits unter Druck – und ein stärkerer US-Dollar unter einer zweiten Trump-Regierung könnte die Währung weiter schwächen. Die anhaltende Deflation und die begrenzte geldpolitische Flexibilität haben die Attraktivität der chinesischen Staatsanleihen verringert – sie erzielen eine Rendite von 1,5 bis 2,0 Prozent. Hochverzinsliche Unternehmensanleihen bleiben aufgrund der Hebelwirkung, der schwachen Verbraucherstimmung und der wirtschaftlichen Gegenwinde laut Candriam riskant. Investment-Grade-Emittenten stehen dagegen unter Ertragsdruck.
Trotz dieser Risiken können sich auf den Anleihemärkten der Schwellenländer Chancen ergeben. Mit der Verlagerung der Lieferketten weg von China nehmen Investitionen in Südostasien und Lateinamerika zu, besonders in Produktions-, Technologie- und Logistikzentren. Schwellenländer mit hohem Carry-Potenzial und Spielraum für geldpolitische Lockerungen könnten von erhöhten Kapitalzuflüssen profitieren. «Ein strategisches Engagement in lateinamerikanischen Metallexporteuren, insbesondere in Kupferproduzenten in Chile und Peru, könnte die Risiken globaler Versorgungsunterbrechungen abmildern.»
Chinas Aktienmärkte könnten sich 2025 erholen. Für den MSCI China Index wird im Jahr 2025 ein Gewinnwachstum von 9 Prozent prognostiziert – und die niedrige Basis könnte die Grundlage für einen Aufschwung bilden, zumal chinesische Vermögenswerte bei ausländischen Anlegern nach wie vor weitgehend «unbeliebt» sind. Die Erholung wird durch fiskalische und währungspolitische Anreize unterstützt, die den Märkten als Fundament dienen. So wird erwartet, dass verbraucherorientierte Initiativen wie die Subventionierung von Elektrofahrzeugen und die Förderung des Fremdenverkehrs fortgesetzt werden und dass gezielte Unterstützung für einkommensschwache Haushalte und Familien eingeführt wird.
Inlandsorientierte Sektoren wie E-Commerce, zyklische Konsumgüter und Bildung könnten sich besser entwickeln und von der Konjunkturpolitik profitieren. Auch das Internet-Gaming bietet Potenzial, da sein Erfolg mehr von Produktinnovationen als von makroökonomischen Bedingungen abhängt. Technologieunternehmen, die in den USA mit Exportbeschränkungen und regulatorischem Druck konfrontiert sind, könnten jedoch Schwierigkeiten haben. In diesem Umfeld dürften sich A-Aktien besser entwickeln als H-Aktien, da sie weniger geopolitischen Risiken und dem starken Dollar ausgesetzt sind.
Trotz der Massnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft und zur Bewältigung kritischer Herausforderungen stellt sich laut den Experten die Frage, inwieweit Peking auf eine mögliche Wiederbelebung der Handelspolitik der Trump-Ära vorbereitet ist. «Das Ergebnis wird vom Umfang und der zeitlichen Planung künftiger Konjunkturmassnahmen abhängen und durch externe Faktoren wie Trumps transaktionsbezogenem Einsatz von Zöllen geprägt sein, der sich als überraschend pragmatisch erweisen könnte. In einem derart unsicheren Umfeld können sich in Sektoren, die durch gezielte politische Massnahmen unterstützt werden, Chancen ergeben. Angesichts der komplexen Lage sollten Anleger bei der Titelauswahl selektiv vorgehen, um diese Chancen zu entdecken», heisst es dazu.