12.11.2024, 09:22 Uhr
Anton Brender, der bei Candriam seit 2002 die Position als Chief Economist bekleidet, geht laut Mitteilung Ende 2024 in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin wird Florence Pisani, Emile Gagna übernimmt als Deputy Head of...
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in seinem Marktkommentar. Er erläutert, wie sich die strukturellen Trends Demografie, Klimawandel und Künstliche Intelligenz im nächsten Jahr auswirken werden.
Die wichtigsten Aktienindizes beenden das Jahr 2024 mit Rekordständen, getragen von einer soliden wirtschaftlichen Erholung, moderaten Verbraucherpreisen und der Stabilität bestimmter Branchen wie Technologie. Die Inflation geht kontinuierlich zurück, und die Zentralbanken haben begonnen, die Geldpolitik zu lockern – das hat den Finanzmärkten neuen Schwung verliehen.
2024 wird als Superwahljahr in Erinnerung bleiben und hat laut Candriam gezeigt, mit welchen Herausforderungen und welcher Instabilität liberale Demokratien seit mehreren Jahren zu kämpfen haben, insbesondere in Europa. Die Wiederwahl von Wladimir Putin und die weniger vorhersehbare Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus haben das verdeutlicht.
Kaum gewählt, kündigte der neue Präsident der Supermacht USA eine Regierung an, die keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung der kommenden vier Jahre lässt. Es bleibe abzuwarten, ob die zweite Trump-Regierung die Wahlkampfversprechen des republikanischen Kandidaten umsetzen wird, besonders in Bezug auf die Migrationspolitik, höhere Zölle und steuerliche Anreize. Wird es Donald Trump gelingen, das Erbe einer sehr gesunden Wirtschaft aufrechtzuerhalten? Extreme wirtschaftspolitische Massnahmen könnten zu einem Anstieg der Inflation führen, das Wachstum verlangsamen und die Exportwirtschaften belasten, besonders Europa und China. Die Folge wären Kettenreaktionen: ein fiskalisches Konjunkturprogramm in China, erhöhte Spannungen um Taiwan und eine mögliche Lockerung der Fiskalpolitik in Europa.
Anleger müssen sich nun fragen: Kann Europa trotz der politischen Ungewissheit mit der Situation umgehen, obwohl es offensichtlich an Führung mangelt und der deutsche Wirtschaftsmotor ins Stottern gerät? Ein weiteres Pulverfass ist der geopolitische Konflikt in der Ukraine. Sollten im internationalen Rahmen die russisch-ukrainischen Grenzen diskutiert werden, findet sich Europa noch mehr als zuvor in einer prekären Lage.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei zumindest eines sicher: «Die wirtschaftliche Kluft zwischen den USA und Europa wird an allen Fronten grösser. Das gelte für die Geldpolitik ebenso wie für Haushaltsdefizite und Regulierung. Hier die wichtigsten Punkte.
Geldpolitik: Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte angesichts der Konjunkturabschwächung ihren Zinssenkungszyklus fortsetzen, mit vier weiteren möglichen Zinssenkungen im Jahr 2025. Die Geldpolitik der USA könnte von einer Regierung beeinflusst werden, die sowohl inflationär als auch interventionistisch agiert. Präsident Trump möchte zwar die Unabhängigkeit der Fed einschränken, doch Jerome Powell wird seinen Verpflichtungen bis zum Ende seiner Amtszeit im Mai 2026 treu bleiben.
Staatsverschuldung: Viele europäische Länder haben sich das Ziel gesetzt, ihre Haushaltsdefizite zu verringern. Trotzdem wird die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt weiterhin bei rund 90 Prozent liegen. In den USA plant die Trump-Regierung steuerliche Anreize, die das Defizit und die Staatsverschuldung aufblähen könnten. Ein Anstieg auf 137 Prozent des BIP innerhalb von zehn Jahren ist dabei denkbar – ein Niveau, das mit dem des heutigen Italiens vergleichbar ist.
Regulatorik: Die europäische Finanzaufsicht gewährleistet die Glaubwürdigkeit der europäischen Banken. In den USA dagegen könnten die vom Basler Ausschuss festgelegten internationalen Standards gelockert werden und erneut Bedenken hinsichtlich der Stabilität mittelgrosser Banken aufkommen lassen, wie es bereits im März 2023 der Fall war. Darüber hinaus ist es möglich, dass Trumps Unterstützung für Kryptowährungen zu erheblichen Veränderungen bei der US‑Finanzaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) führt. Die aufsichtsrechtlichen Standards zu überarbeiten, kann zwar kurzfristig den US-Bankensektor stützen, werfe letztendlich aber Fragen zu den längerfristigen Risiken auf.
Unabhängig von kurzfristigen politischen Entscheidungen und geopolitischen Unsicherheiten müssen Anleger laut Candriam die grossen strukturellen Trends im Auge behalten, die sich auf unsere Volkswirtschaften auswirken:
Demografie: Die Bevölkerung wird immer älter, grösstenteils weil Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen eine längere Lebenserwartung haben. Diese demografische Herausforderung erfordert höhere Investitionen in die Infrastruktur, die medizinische Forschung und innovative Technologien. Um die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen besser zu kontrollieren, braucht es zudem Strukturreformen.
Klimawandel: Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich weltweit und werden für unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften immer spürbarer, insbesondere bei den Schwächsten. Zwar dürfte die Produktion fossiler Brennstoffe wieder steigen und könnte vorübergehend die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien mindern und grüne Investitionen verringern. Dennoch werde der Dekarbonisierungsprozess weiter fortgesetzt – allerdings wird die Geschwindigkeit je nach Region variieren.
Technologische Innovation: Die Revolution der künstlichen Intelligenz bleibt für den Experten ein wesentlicher Faktor. KI stecke noch in den Kinderschuhen – verspreche jedoch, die Gesellschaften tiefgreifend zu verändern. «Sie wird eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Lebensqualität der alternden Bevölkerung zu verbessern und die Energiewende zu beschleunigen.»
Diese Trends schaffen laut Candriam auch 2025 Anlagechancen, «bringen aber auch Herausforderungen und Risiken mit sich, insbesondere in ethischer Hinsicht.» Das erfordere eine sorgfältige Auswahl der Emittenten. «Geopolitische Unsicherheiten werden in Kombination mit überzogenen Bewertungen für Volatilität sorgen und die Streuung vergrössern – in einer solchen Situation ist aktives Management von Vorteil. In diesem Umfeld können Alternative Anlagen für eine grössere Diversifizierung und geringere Korrelationen in Anlegerportfolios sorgen», schreibt Forest.