Die Getriebene: EZB-Chefin Christine Lagarde. (Bild: Shutterstock.com/Alexandros Michailidis)
Hatte die Europäische Zentralbank anfänglich noch geglaubt, sie könne 2022 die Geldpolitik langsam wieder auf neutralen Kurs bringen, wurde sie von der Realität, der explosionsartig steigenden Inflation, jäh eingeholt, wenn nicht sogar überholt. Als "Getriebene" bezeichnet BlackRock-Stratege Martin Lück die EZB-Führungscrew. Ihre Maxime: Retten, was noch zu retten ist.
14.09.2022, 11:44 Uhr
Redaktion: hf
Man könne nicht wirklich sagen, dass die EZB in den letzten Monaten eine gute Presse hatte, sagt Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa von BlackRock. "Too little, too late", hiess es häufig mit Blick auf die Ankündigungen seit dem Frühjahr, in denen erst ein Ende der Anleihekäufe und später Anhebungen der Leitzinsen in Aussicht gestellt wurden.
Spätestens aber, seit sich die EZB von ihrer bis dato sakrosankten Forward Guidance verabschiedet und entgegen ihrer eigenen Ankündigung die Leitzinsen im Juli um 0,5 Prozentpunkte erhöht hat, "ahnt man, wie sehr sich die Mitglieder des Zentralbankrates inzwischen als Getriebene fühlen", hält Lück fest.
Schmerzhafte Erkenntnis
Hatte man Anfang Jahr noch geglaubt, man könne 2022 die Geldpolitik ganz langsam wieder auf einen neutralen Kurs bringen, haben Lieferkettenschocks und – noch um ein Vielfaches mehr, so Lück – die Energiepreisexplosion die Inflationszahlen hochschnellen lassen. Entsprechend versuchten die Zentralbanken nun zu retten, was zu retten ist.
Die US-Notenbank diesbezüglich in einer komfortableren Situation, weil sie die 180 Grad-Wende von "Inflation ist vorübergehend" zu "wir sind hinter der Kurve" zwischen November und Dezember 2021 und damit ein knappes halbes Jahr früher als die EZB vollzog. Und die Fed hat seither in Sachen Kommunikation und Grösse der Zinsschritte noch einiges nachgelegt, zuletzt rhetorisch in Jackson Hole, fügt der BlackRock-Stratege an.
Dort nämlich konkretisierte Fed-Chairman Jerome Powell, dass die Fed sich sehr wohl darüber im Klaren sei, als Zentralbank wenig gegen Angebotsknappheiten als Ursache der Inflation ausrichten zu können. Man wolle daher die Nachfrage dem Angebot anpassen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Und man sei sich der Schmerzen bewusst, die dieses Manöver für die Volkswirtschaft zur Folge haben würde.
EZB schliesst sich der US-Notenbank an
"Dieses Gedankenbild hat nun auch die Europäische Zentralbank übernommen", kommentiert Lück. Vergangene Woche sprach EZB-Chefin Christine Lagarde erstmals explizit davon, die Nachfrage dämpfen zu wollen, um die Inflation zurück Richtung Zielwert zu bringen. Dafür seien, erklärte Lagarde, noch mehrere Zinsanhebungen nötig. "Wir können also davon ausgehen, dass am 27. Oktober und 15. Dezember weitere, möglicherweise substanzielle Zinsschritte folgen werden." Der Repo-Satz könnte zum Jahresende bei 2,5% nach zurzeit 1,25% stehen.
"Dabei wird abzuwarten sein, wie stark sich vor dem Hintergrund stark steigender Strom- und Gaspreise die europäische Wirtschaft in den Winter hinein abschwächt, auch ohne, dass die Geldpolitik schon restriktiv wirkt", sagt Lück und fügt an: "Die frisch aktualisierten Schätzungen der EZB-Volkswirte jedenfalls sehen diesbezüglich noch reichlich rosig aus."
Gute Nachrichten für die Ukraine, aber zu früh für Entwarnung
Der Marktstratege äussert sich auch zu den jüngsten Erfolgsmeldungen der ukrainischen Armee. Trotz der Rückeroberung grösserer Gebiete im Nordosten des Landes sei es verfrüht, von einem möglichen Wendepunkt des Krieges zu sprechen. Nach wie habe Russland die Option einer Generalmobilmachung. Ausserdem sei, gerade im Angesicht einer drohenden russischen Niederlage, die Gefahr eines Einsatzes taktischer Nuklearwaffen nie ganz auszuschliessen. Der Krieg könne noch lange dauern.
Und selbst für den Fall, dass der militärische Konflikt beendet wird, dürften bis auf weiteres die wirtschaftlichen Aussichten für Europa und damit die Perspektive für europäische Aktien eher trüb sein. Die sich abzeichnende Rezession drohe zu einer der "eher schweren ökonomischen Rückschläge der letzten 20 Jahre" zu werden.
Vorsicht bei europäischen Aktien
Schon im August war die Zahl der Insolvenzen in Deutschland 26% höher als vor einem Jahr, und Frühindikatoren deuteten auf eine Kontraktion im produzierenden Gewerbe von 5% und mehr hin. "Sollten, was wahrscheinlich ist, Strom- und Gaspreise vorerst weiter steigen, drohen erhebliche Produktionsausfälle, Unternehmensschliessungen und eventuell ein schmerzhafter Anstieg der Arbeitslosigkeit."
Gerade weil die Schwere der Abschwächung noch nicht voll absehbar und auch in offiziellen Prognosen noch kaum ernsthaft abgebildet sei, könnte sich der Ausblick für Aktienanleger in Europa weiter eintrüben, folgert BlackRock-Experte Lück.
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