26.05.2023, 09:11 Uhr
Die Zahl der Ansteckungen steigt seit Wochen stetig an. In Peking sei Covid-19 seit vier Wochen wieder das vorherrschende Virus unter allen Infektionskrankheiten, wie die lokale Gesundheitskommission mitteilte.
Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co AM erwartet, dass wegen der aufflammenden Corona-Epidemie der Aufschwung zunächst mühsam verläuft, bis das Frühjahr einen Schub bringt. Entsprechend habe der "Reflation Trade» – stärkeres Wachstum, höhere Inflation, steigende Zinsen – seine frühere Bedeutung zurückerlangt.
Die Pandemie fordert weiterhin einen hohen Tribut von Wirtschaft und Gesellschaft. Auf der Nordhalbkugel haben die Ferienzeit und das kalte Wetter zu einem erneuten Anstieg der Infektionen geführt und viele Länder gezwungen, die Beschränkungen zu verschärfen. In den USA erreicht die Zahl der Klinikaufenthalte und der täglichen Todesfälle neue Höchststände, es gibt aber bisher keine allgemeine Strategie, sondern jeder Bundesstaat bleibt für die Gestaltung seines Krisenmanagements verantwortlich. Deutschland hat beschlossen, die partiellen Beschränkungen zu verlängern und zu verschärfen, was bedeutet, dass die meisten Non-Food-Geschäfte, Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Schulen mindestens bis Ende Januar geschlossen bleiben.
England und Schottland haben unterdessen neue nationale Lockdowns verhängt, um einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Die rasante Zunahme von Infektionen und Klinikaufenthalten sowie die verschlechterte Leistungsfähigkeit des nationalen Gesundheitswesens liegt zum Teil an einem neuen Covid-19-Stamm. Während Mutationen nicht ungewöhnlich sind, scheint diese neue Variante das Virus ansteckender zu machen. Darüber hinaus befürchten Forscher, dass es Impfstoffe unwirksam machen könnte. Die wissenschaftlichen Daten sind jedoch noch bruchstückhaft und die Pharmaunternehmen, die die Impfstoffe entwickelt haben, versuchen derzeit, Regierungen und die Öffentlichkeit zu beruhigen.
"Trotz dieser Rückschläge haben sich die Konjunkturaussichten verbessert, wenngleich das Ausmass der für 2021 erwarteten Wachstumssteigerung von den Herausforderungen rund um die Impfstoffproduktion, -verteilung und -wirksamkeit abhängen wird", betont Marc-Antoine Collard,Chief Economist und Director of Economic Research bei Rothschild & Co Asset Management. Aufgrund der komplexen Logistik wird erwartet, dass die Massenimpfung schrittweise erfolgen wird. Dies wird die vollständige Normalisierung der Volkswirtschaften und der internationalen Bewegungsfreiheit für mindestens ein weiteres Jahr verhindern.
"Darüber hinaus wird die Pandemie das sozioökonomische Gefüge von Ländern weltweit beeinträchtigt und bereits bestehende Ungleichgewichte hinsichtlich der öffentlichen und privaten Verschuldung verstärkt haben. Diese Auswirkungen könnten sich als nachhaltig erweisen", meint Collard. Dennoch gebe es Hoffnung. Es werde erwartet, dass sich der Wirtschaftsaufschwung dank der zu Beginn der Pandemie ergriffenen Massnahmen zur Unterstützung von Beschäftigung und Unternehmen verstärkt. Sobald die Beschränkungen aufgehoben sind und die Geschäfte wieder öffnen, werde dies das Wachstumstempo beschleunigen.
Nirgendwo wird nach Meinung des Chefökonomen die Fiskalpolitik die Wirtschaft so sehr stützen wie in den USA. Im Dezember verabschiedete der Kongress ein Konjunkturpaket, das die Streichung von Sozialleistungen zu Beginn dieses Jahres verhinderte. Es wird erwartet, dass höhere Leistungen die Wachstumsverlangsamung im laufenden Quartal abfedern.
Darüber hinaus gewann die Demokratische Partei zwei Senatorensitze in Georgia, einem Südstaat, in dem sie seit 1992 keine Senatssitze mehr errungen hatte. Der Senat wird damit in zwei gleich grosse Lager von 50 Abgeordneten aufgeteilt, wobei die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris bei Stimmengleichheit das letzte Wort haben wird. Damit geht die Mehrheit an die Partei von Joe Biden, die auch das Repräsentantenhaus kontrolliert.
Diese Machtkonzentration in den Händen der Demokraten, sowohl im Kongress als auch im Weissen Haus, hat eine Welle des Optimismus ausgelöst. Investoren erwarten die Umsetzung des ehrgeizigen, fast 4 Bio. USD schweren Programms, das der designierte Präsident während seiner Wahlkampagne vorstellte und das zu einem grossen Teil der Infrastruktur und dem Green Deal gewidmet ist. "Aus makroökonomischer Sicht könnte das Programm dank umfangreicher Investitionen in das Gesundheitswesen, Bildung und Infrastruktur bedeutende langfristige Auswirkungen haben, die allesamt die Produktivität ankurbeln und das potenzielle BIP-Wachstum der USA verbessern sollten. In dieser Hinsicht ist es eine echte Angebotspolitik", sagt Collard.
Doch während einige Massnahmen einen parteiübergreifenden Kompromiss ermöglichen könnten, bleibe ein Grossteil des angedachten Programms umstritten, und der Handlungsspielraum der Demokraten hänge am seidenen Faden. Auch die Finanzierung werde aufgrund der umstrittenen geplanten Steuererhöhungen für Unternehmen und einkommensstarke Haushalte zur Debatte stehen.
"Tatsächlich haben die ersten zwei Jahre von Donald Trumps Amtszeit, in denen er sich einer viel grösseren Mehrheit erfreute, die Grenzen der präsidialen Macht aufgezeigt: Seine Regierung war aufgrund abtrünniger republikanischer Senatoren nicht in der Lage, die Gesundheitsreform 'Obamacare' zurückzunehmen", hält Collard fest.
Auch die Entwicklung der Geldpolitik ist seiner Ansicht nach eine Grauzone. Schon lange vor der Corona-Krise sorgten sich einige Notenbanker zunehmend über die Nebenwirkungen ihrer unkonventionellen Geldpolitik. Seitdem sind die Bilanzen der Zentralbanken noch weiter angewachsen, was die Angst vor einer möglichen Blasenbildung in bestimmten Marktsegmenten schürt.
"In den USA zeigen die Immobilienpreise Anzeichen einer Überhitzung, und der kometenhafte Anstieg des Bitcoin-Preises scheint sinnbildlich für einen fragwürdigen Umgang mit der Liquidität der Zentralbanken zu sein", sagt der Chefökonom. Im Übrigen hätten viele internationale Organisationen darauf hingewiesen, dass hohe Bewertungsniveaus vom Grad der Wirtschaftsaktivität abzuweichen scheinen und somit eine Schwachstelle darstellen könnten.
Zusammenfassend lässt sich laut Collard sagen, dass sich trotz der derzeitigen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Erholung durch die Pandemie der Optimismus dank der Impfstoffe und der Unterstützung durch die Politik schnell verbreitet hat. Im Gegenzug haben die Zinssätze in den letzten Wochen einige bemerkenswerte Bewegungen verzeichnet, vor allem in den USA, wo die Renditen längerfristiger Anleihen gestiegen sind und zu einer steileren Renditekurve geführt haben. Dennoch seien die Aussichten weiterhin äusserst ungewiss. Da die öffentliche und private Verschuldung ein Rekordniveau erreicht hat, sei der jüngste Zinsanstieg Anlass zur Vorsicht, da er zu schnell wirken und bereits bestehende Schwachstellen potenziell systemischer Natur für das globale Finanzsystem verschlimmern könnte.