05.07.2024, 10:08 Uhr
«Chinesische Zustellunternehmen sind grosse Profiteure des E-Commerce-Booms in China, aber ihre Aktien spiegeln den sprunghaften Anstieg der Liefermengen nicht wider. Diese Diskrepanz ist eine wichtige Lektion für...
Mit Blick auf die Unsicherheit an den Märkten müssen Anlegerinnen und Anleger im Jahr des Tigers umsichtig agieren. Ninety One zeigt aber auch, dass das Jahr reichlich Chancen birgt.
Die Geschwindigkeit, mit der die chinesische Regierung handelt, habe sich grundlegend geändert. Xi Jinpings neue Agenda, die 2020 formuliert wurde, muss bis vor dem 20. Parteitag im Herbst dieses Jahres umgesetzt werden. "Fünf postulierte Richtungswechsel sorgten 2021 für Unsicherheit und wirkten sich negativ auf chinesische Aktien aus", sagt Philip Saunders, Co-Head of Multi-Asset Growth bei Ninety One, am jährlichen Neujahrsausblick.
Diese fünf Prioritäten umfassen zum einen die Einkommens- und Vermögensverteilung, die durch die Formulierung "allgemeiner Wohlstand für alle und eine gleichmässigere Verteilung des Reichtums" festgehalten werde. Als zweites komme die Umwelt hinzu. China verfolgt eine grüne Agenda. Das Land hat sich verpflichtet, bis 2030 den maximalen Kohlenstoffausstoss zu verringern und bis 2060 Kohlenstoffneutralität zu erreichen.
Als dritte Priorität soll die nationale Sicherheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit erhöht werden. Zu diesem Ziel will die chinesische Regierung die chinesische Wirtschaft stärker auf den inländischen Produktions-, Vertriebs- und Verbrauchskreislauf statt auf ausländische Märkte und Technologien fokussieren. Das zeige auch Chinas Streben nach Unabhängigkeit im Technologie- und Energiebereich.
Das harte Durchgreifen gegen einzelne Sektoren entspringe der vierten Priorität, finanzielle Risiken einzudämmen. Dazu zählen unter anderem das Bankenwesen, Kryptowährungen und die Immobilienbranche. Schliesslich habe der Fokus auf die fünfte Priorität "Anti-Monopolismus und Regulierung" zu einem harten Durchgreifen in Bereichen wie Bildung und Internet geführt.
"Die Prioritäten stehen zwar fest, aber das Tempo noch nicht", so Saunders. Ende 2021 habe sich die chinesische Regierung stark auf die Stabilisierung des Wachstums konzentriert, so dass drei der fünf Prioritäten – allgemeiner Wohlstand, Eindämmung finanzieller Risiken und Anti-Monopolismus – wahrscheinlich weniger Gewicht erhalten werden. Im Gegensatz dazu werden die Anstrengungen, die Binnenwirtschaft zu stärken, fortgesetzt werden.
Die Aktien ausgewählter chinesischer Unternehmen, die in erster Linie den Binnenmarkt bedienen, haben das Potenzial, sich im kommenden Jahr relativ gut zu entwickeln. "Erstens sieht das makroökonomische Umfeld günstiger aus", erklärt Wenchang Ma, Co-Portfoliomanagerin, All China Equity von Ninety One. Nachdem sich die chinesische Wirtschaft von dem anfänglichen Ausbruch von Covid-19 erholt hatte, hat sie eine schwierigere Phase durchlaufen.
Eine Politik des Schuldenabbaus führte zu einer Abrechnung unter einigen hoch verschuldeten Immobilienentwicklern, während ein langsameres Investitionswachstum – in Verbindung mit Energieengpässen und gelegentlichen lokalen Covid-Lockdowns – zu einer stärkeren Konjunkturverlangsamung führte, als das viele erwartet hatten. Nun aber dürfte die Umstellung der chinesischen Politik hin zu einer stärkeren Unterstützung der Binnenwirtschaft den chinesischen Aktien Rückenwind geben, meint die Portfoliomanagerin.
"Die Konzentration auf den Binnenmarkt orientierte chinesische Unternehmen kann ein kluger Weg sein, um eines der wahrscheinlich grössten Risiken dieses Jahres zu umgehen – das mögliche Wiederaufflammen der geopolitischen Spannungen, insbesondere mit den USA", sagt Ma weiter. Sollten Washington und Peking in Fragen des Handels und der nationalen Sicherheit die Klingen kreuzen, seien auf den Binnenmarkt ausgerichtete Unternehmen wahrscheinlich besser geschützt als Exporteure.
Ma fährt fort: "Allerdings ist bei den Bewertungen Vorsicht geboten. Einige chinesische Unternehmen werden zu überhöhten Multiples gehandelt, die weit über ihrem Gewinnpotenzial liegen. Mit Blick auf die sich verbessernde Gewinndynamik und das zunehmende Marktinteresse an einer breiteren Palette von Aktien sowie vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs dürften sich jedoch gute Gelegenheiten ergeben."
Auch im Bereich ESG sieht die Portfoliomanagerin Chancen. Insgesamt bestehe in China diesbezüglich noch viel Luft nach oben, weshalb es sich für Anlegerinnen und Anleger jetzt lohnen dürfte, auf diesen Zug aufzuspringen respektive ihr ESG-Engagement auszubauen.
Das harte Durchgreifen der Regulierungsbehörden in den Bereichen Technologie, Bildung und anderen Branchen habe in den vergangenen zwölf Monaten selbst die Nerven der standhaftesten Investoren auf die Probe gestellt. "Aber jetzt, wo sich der Staub gelegt hat, lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Vorschriften abschätzen", sagt Charlie Dutton, Portfoliomanager, Asia Pacific Franchise von Ninety One.
In dem Masse, in dem der kurzfristige regulatorische Lärm verstumme, rücken die langfristigen Treiber des strukturellen Wachstums wieder in den Fokus. Diese Trends – darunter der steigende Wohlstand und die Ausweitung der Mittelschicht, die Digitalisierung und Chinas Bestreben nach Eigenständigkeit in bestimmten Technologiesektoren – seien nach wie vor intakt und bieten daher weiterhin Rückenwind für ausgewählte chinesische Unternehmen.
"Als qualitätsorientierte Aktienanleger finden wir weiterhin starke chinesische Titel, insbesondere in den Bereichen Gesundheitswesen, IT und Konsumgüter", so Dutton. Die insgesamt schlechte Stimmung gegenüber chinesischen Aktien im Jahr 2021 führte dazu, dass Anlegerinnen und Anleger weltweit ihre Risikobereitschaft gegenüber China reduzierten. "Das hat bei einigen Titeln Gelegenheiten eröffnet, auf die sich selbstbewusste Tiger stürzen können", meint der Portfoliomanager abschliessend.