29.11.2024, 13:56 Uhr
«Die Inflation im Euroraum steigt, aber die Daten ermöglichen der EZB einen geldpolitischen Kurswechsel», schreibt Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price in seinem aktuellen Marktkommentar.
Die Abkopplung des Franken vom Euro stellt die Schweiz sicherlich vor einige Herausforderungen. Mittelfristig habe das wirtschaftlich grundsätzlich gesunde Land von seinem Potenzial und Handlungsspielraum jedoch nichts verspielt. Zudem erinnere die jüngste SNB-Entscheidung daran, dass Notenbanken nötigenfalls problemlos negative Zinsen einführen können. Die globale Aktienhausse dürfte indessen von diesem «Schock» weitgehend unberührt bleiben, erklärt Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Partners.
"Die Schweizerische Nationalbank «schockierte» am 15. Januar die Finanzmärkte, indem sie völlig überraschend den seit September 2011 gültigen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufkündigte. Zugleich wurde der Zins für grössere Bargeldguthaben und das Zielband für ihren Dreimonats-Libor um jeweils 0.5 Prozentpunkte auf minus 0.75% bzw. auf minus 0.25% bis minus 1.25% gesenkt. Diese Entscheidung wertete den Franken mit einem Schlag stark auf und sorgte für Turbulenzen an den Finanzmärkten", sagt Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Partners zum Entscheid der SNB.
"Die Abkopplung wird Schweizer Unternehmen kurzfristig in der einen oder anderen Form finanziell belasten. Dazu kommen Spekulationen über die Hintergründe und Motive der Entscheidung sowie Debatten über die Glaubwürdigkeit der SNB im Besonderen und der Notenbanken im Allgemeinen. In einer Zeit, in der sich Investoren und Unternehmen besonders stark auf vermeintliche Berechenbarkeit der fast überall stabil «lockeren» Geldpolitik zu verlassen scheinen, können solche Diskussionen natürlich verunsichern."
"Letztlich handelt es sich aber um eine legitime geldpolitische Entscheidung, welche sich schlimmstenfalls für die Volkswirtschaft der Schweiz als «falsch» erweisen könnte. Doch selbst Letzteres ist keinesfalls gegeben, denn mit der Abkopplung allein ist noch nicht gesagt, dass sich die Geldpolitik der SNB auf Dauer als «zu streng» erweisen wird. Langfristig ist die Schweiz mit ihrer flexiblen Hartwährungspolitik sowieso alles andere als schlecht gefahren. Mit der Zeit werden sich die Gemüter also wieder beruhigen."
Normalisierung der Geldpolitik war vielleicht überfällig
"Vergessen wir nicht, dass die Anbindung zum Euro in einer ausserordentlichen Zeit stattfand. Die Welt hatte gerade eine Jahrhundert-Finanzkrise hinter sich, in den USA schien sich die Konjunktur einfach nicht erholen zu wollen (Angst vor dem «Double Dip»), während in Europa die «Eurokrise» zu eskalierten drohte. Inzwischen zeigt sich die US-Wirtschaft stark, während die «systemischen» Risiken im Euroraum abgeklungen sind. So ist es nachvollziehbar, dass die SNB einen Schritt in Richtung Normalisierung der Geldpolitik setzen wollte und das Instrument der starren Anbindung des strukturell starken Franken an den Euro, der zunehmend einer Schwachwährungspolitik unterworfen werden wird, als zu restriktiv, fremdbestimmt und marktverzerrend beurteilte."
"Es mag auch sein, dass der vorprogrammierte «Katzenjammer» in der Schweiz personell nicht spurlos an der Führung der derzeitigen SNB vorbeigehen wird. Als Institution hat die SNB aber höchstens nur wenig von ihrer Glaubwürdigkeit eingebüsst, während ihr Arsenal an Interventionsmöglichkeiten unverändert intakt bleibt."
"Vor weitreichenden vorschnellen Urteilen möchten wir vorerst jedenfalls abraten. Schon morgen werden wir schliesslich erfahren, wie weit die Europäische Zentralbank tatsächlich mit ihrer Version der «quantitativen Lockerung» («QE») gehen will. Am Sonntag wird sich zudem zeigen, ob Griechenland eine stabile Regierung haben wird - und damit die Minimalbedingung für vernünftige Gespräche mit seinen europäischen Gläubigern erfüllen kann. So werden wir in den nächsten Tagen Schritt für Schritt mehr Klarheit darüber erhalten, wie es um einige Schlüsselfragen für Europa und die Schweiz steht. Dann werden wir besser beurteilen können, ob der Franken auf Dauer gegenüber allen Währungen so stark bleiben kann und ob die Schweizer Aktienhausse tatsächlich ein «vorzeitiges» Ende gefunden hat."
LGT Capital Partners verändert Taktische Allokation nur gering
"Wir erwarten aufgrund der SNB-Entscheidung für die nächste Zeit keine grossen und dauerhaften Verwerfungen an den globalen Finanzmärkten. Für die Schweiz ist sie aber zumindest kurzfristig mit Konsequenzen verbunden. Solange die SNB keine nachträglichen Anpassungen ihrer Geldpolitik vornimmt, was nach dem Abklingen des ersten «Schocks» denkbar ist, dürfte der Franken trotz negativer Zinsen zumindest gegenüber dem Euro sowie anderen Währungen, deren Notenbanken eine Schwachwährungspolitik betreiben, tendenziell weiter zur Stärke neigen."
"Der Aufwertungsschock reduziert zudem für die absehbare Zukunft den Gewinnausblick der Schweizer Unternehmen stark, was Schweizer Aktien zunächst dementsprechend deutlich belastet. Gleichzeitig profitierten insbesondere europäische Titel von der Erwartung, dass der SNB-Schritt die Lancierung eines umfangreichen QE-Programms im Euroraum unmittelbar vorweggenommen hat. Wir hegen allerdings weiterhin Zweifel, dass die EZB die hohen Erwartungen der Marktteilnehmer diesbezüglich erfüllen oder sogar übertreffen kann. So ändert sich vorerst an unserer globalen Aktienallokation nichts: Wir bleiben bei Aktien in Europa weiterhin neutral positioniert und bevorzugen in dieser Anlageklasse nach wie vor die USA und Japan. Auch im Bereich Anleihen ändert sich unsere Allokation nicht."
"Die Ankopplung des Frankens an den Euro hat die bis dahin massive Ausweitung der Bilanzsumme der SNB gestoppt. Aufgrund der hohen Glaubwürdigkeit der SNB waren umfassende Interventionen zeitweise nicht mehr oder nur selten notwendig. Zuletzt hatten allerdings die Rubel-Krise, die Aussicht auf ein «QE» der EZB sowie die erneuten Spekulationen über einen Euro-Austritt Griechenlands den Druck auf den EUR-CHF-Mindestkurs deutlich erhöht. Sollte der momentan (zu) starke Aufwärtsdruck auf den Franken bestehen bleiben, dann kann es also sein, dass die Bilanzsumme der SNB in nächster Zeit wieder deutlich stärker zu wachsen beginnt. Somit ist die Aufhebung der Wechselkursuntergrenze keinesfalls zwingend gleichbedeutend mit einer dauerhaft «strengeren» Geldpolitik. Die SNB hat sich lediglich den Freiraum zurückgeholt, wieder eine eigenständige Politik zu betreiben." (vgl. Grafik im PDF, S. 2).
Weitere Grafiken zum Marktkommentar finden Sie auf den Seiten 3 bis 4 im PDF: "Die Schweiz wählt die Schocktherapie"