Studie zur Eurozonen-Krise: Deutschland nicht gefährdet

21.12.2010, 09:10 Uhr

Deutsche Bundesanleihen dürften zumindest in den nächsten Jahrzehnten ihren Nimbus als Witwen- und Waisenpapiere behalten. Das hat eine Studie des Anleihemanagers Bantleon ergeben.

"Das Schreckgespenst einer generellen Staatsschuldenkrise in der Eurozone ist aus unserer Sicht übertrieben", resümiert Senior Analyst Dr. Daniel Hartmann, der die Studie erstellt hat. "Deutschland dürfte bis zur Mitte dieses Jahrzehnts sogar deutliche Fortschritte bei der Sanierung des Staatshaushalts machen. Dass sich die Bonität des grössten Eurolands dennoch auf indirektem Weg dramatisch verschlechtert, weil der Garantiefall für ein anderes Euroland eintritt, ist eher unwahrscheinlich. Halten die Peripherieländer ihre aktuellen Sanierungspläne einigermassen ein, dann ist unter den Voraussetzungen der günstigen Zinskonditionen des Rettungsschirms bis 2016 ein Ende des stetigen Anstiegs der Schuldenstandsquote in diesen Ländern möglich." Selbst wenn die beiden grössten Problemfälle – Griechenland und Irland – am Ende doch das Handtuch werfen und von den Gläubigern einen Schuldenverzicht fordern, dürfte dies die Bonität Deutschlands nicht nachhaltig beeinträchtigen. "Die griechischen und irischen Aussenstände sind dafür zu klein", stellt Hartmann fest.

"Auch langfristig sollte man nicht allzu pessimistisch beim Thema öffentliche Verschuldung sein", sagt Hartmann. "Ab 2015 dürften zwar die altersabhängigen Ausgaben die Staaten vor wachsende Herausforderungen stellen, aber auch hier zeichnen sich Lösungswege ab." Wirksame Gegenmittel sind unter anderem die schrittweise Erhöhung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters und das Einfrieren der anderen Staatsausgaben.

Untersucht wurden für die Studie die folgenden Fragestellungen:

  1. Hat die Währungsunion beim Thema Staatsverschuldung bereits den Rubikon überschritten?
  2. Welche Wachstumsperspektiven haben die Länder der Eurozone?
  3. Wie ist der Zinsausblick?
  4. Was ist das plausibelste Szenario für die künftige Entwicklung der Staatsverschuldung?
  5. Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel?

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

  1. In den Ländern der Währungsunion ist seit 30 Jahren ein stetiger Aufwärtstrend in den Defizitquoten zu beobachten. Betrug das Verhältnis von Staatsverschuldung zum BIP 1980 noch 35 %, waren es 1990 schon 50 %, im Jahr 2000 knapp 70 %, und 2010 dürften es 83 % sein. Die EU-Kommission warnt, dass der Schuldenberg ohne Kehrtwende in der Haushaltspolitik 2020 bereits 120 % betragen könnte. Steigende Schuldenstandsquoten sind deshalb problematisch, weil damit zugleich wachsende Zinslasten und Risikoprämien verbunden sind. Die Euroländer sollten daher alles daran setzen, das Verhältnis von Staatsverschuldung zum BIP unter 100 % zu halten. Dies gilt umso mehr als die meisten Euroländer stark im Ausland verschuldet sind und damit besonders kritische Investoren haben.
  1. In allen Euroländern, bei denen vor der Finanzkrise Ungleichgewichte an den Immobilien- und Kreditmärkten entstanden sind, ist in den nächsten Jahren eine schwache Investitionsdynamik vorgezeichnet. Gleichzeitig ist auch von einem Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit und damit von einer Schwächung des Arbeitskräftepotentials auszugehen. Entsprechend dürfte die Wachstumsrate des Produktionspotentials in Spanien, Griechenland und Portugal in den kommenden fünf Jahren bei nur noch 1,0 % liegen. In Irland ist wegen der günstigeren Rahmenbedingungen für Investitionen mit 1,5 % bis 2,0 % zu rechnen. In Frankreich sollte das Potentialwachstum mit 1,5 % ebenfalls etwas niedriger liegen als zuvor. In Italien dürfte das Potentialwachstum unverändert bei 1,0 % verharren. Deutschland geht hingegen gestärkt aus der Finanzkrise hervor. Deshalb ist für Deutschland von einem Potentialwachstum von 1,5 % bis 2,0 % auszugehen. Es dürfte daher auch das einzige Land sein, dessen Haushaltskonsolidierung in nennenswertem Umfang von kräftigem Wachstum unterstützt wird.
  1. Die Renditen von Staatsanleihen dürften bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,5 % und einer Inflationsrate von 1,5 % um 3,0 % schwanken. Während die Renditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen derzeit diesem Referenzwert entsprechen, liegen die Renditen spanischer Staatsanleihen um knapp 250 Basispunkte, portugiesische um 350, irische um 500 und griechische sogar um 850 Basispunkte darüber. In dieser Spreizung der Renditen spiegelt sich nicht zuletzt die aktuelle Einschätzung der künftigen Entwicklung der Staatsfinanzen. Wenn die Risikoaufschläge in den kommenden Jahren ihr gegenwärtiges Niveau behalten, sollten die durchschnittlichen Refinanzierungskosten in den nächsten Jahren in Deutschland in Richtung 3,0 % fallen (2009: 3,9 %), in Spanien in etwa bei 5,0 % liegen (2009: 4,4 %) und in Portugal, Irland und Griechenland auf 6,0 % bis 6,5 % steigen (2009: 4,2 % bis 4,8 %).
  1. Insgesamt stellt sich der mittelfristige Ausblick für die öffentliche Haushaltslage im Kernbereich der Währungsunion deutlich besser dar als noch vor einigen Monaten gedacht. In Frankreich sollte die Haushalskrise spätestens 2015 überwunden sein. In den beiden anderen grossen Volkswirtschaften dürfte das Anschwellen der Staatsverschuldung gemessen am BIP bereits in den nächsten zwei Jahren zum Ende kommen. Deutschland besitzt sogar die Chance auf eine deutliche Reduzierung  der Defizitquote. Tritt ein Garantiefall für ein anderes Euroland ein, könnte es zwar zu einem Rückschlag in dieser Hinsicht kommen. Deutschlands Bonität würde aber auch dadurch nicht ernsthaft in Gefahr geraten. Dies gilt selbst für den Fall, dass neben Griechenland und Irland auch Spanien und Portugal unter den Rettungsschirm flüchten müssen. Der Refinanzierungsbedarf dieser beiden Länder beträgt in den nächsten zweieinhalb Jahren etwa 360 Mrd Euro. Nimmt man den ungünstigen Fall an, dass hierfür nur die AAA-Staaten der Währungsunion bürgen (Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg), dann entfielen auf Deutschland abzüglich des obligatorischen IWF-Anteils etwa 120 Mrd Euro, was die Defizitquote Deutschlands gerade einmal um 4,5 %-Punkte erhöhen würde.

    Ungleich steiniger als in den Kernstaaten ist der Weg der Konsolidierung in den Peripherieländern. Dies liegt zum einen daran, dass sie (mit Ausnahme Griechenlands) gegenwärtig noch höhere primäre Budgetdefizite aufweisen als Frankreich. Zum anderen sind aber auch die Wachstums- und Zinsperspektiven wesentlich schlechter. Eine Stabilisierung der Defizitquoten in diesen Ländern dürfte erst 2015/2016 realistisch sein. Zweifellos am schwierigsten wird es für Griechenland. Dort lag die Defizitquote bereits 2009 bei 127 % des BIP. Unter der Voraussetzung, dass der Rettungsschirm nochmals verlängert wird, könnte es aber selbst den Hellenen gelingen, die Defizitquote in den Jahren 2015/2016 bei etwa 160 % des BIP zu stabilisieren.
  1. Der demografische Wandel ist eine Herausforderung für fast alle westlichen Industrieländer. So rechnet die EU-Kommission bereits ab dem Jahr 2013 mit einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung in der Eurozone, während gleichzeitig die Altersgruppe der über 64-Jährigen absolut und relativ an Bedeutung gewinnt. Die Folgen des steigenden Durchschnittsalters zeigen sich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen schlägt sich der Rückgang der Erwerbsbevölkerung negativ in der Wachstumsrate des Produktionspotentials nieder, die in den 2020er Jahren der Einschätzung von Bantleon zufolge unter 1,5 % fallen wird. Das eigentliche Problem stellt jedoch der überproportionale Anstieg der altersabhängigen Leistungen des Staates dar: Als Folge des wachsenden Anteils älterer Menschen steigen die Ausgaben für die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung (sowie für die Beamtenversorgung) in den nächsten Jahrzehnten schneller als das BIP. Insgesamt dürften die altersabhängigen Ausgaben gemessen am BIP um 5 %-Punkte wachsen. Auf Deutschland bezogen wären dies derzeit 125 Mrd Euro, was mehr als 80 % des diesjährigen Mehrwertsteuer-Aufkommens entspricht.

    Schwieriger als bei den Renten ist die Lage bei den staatlichen Gesundheitsleistungen. Ausser den altersbedingten Mehrkosten müssen in diesem Bereich die Auswirkungen des technischen Fortschritts berücksichtigt werden, der sich in den vergangenen Jahrzehnten als eigentlicher Kostentreiber entpuppt hat. Der IWF rechnet deshalb in den westlichen Industrieländern bis 2030 mit einem Anstieg der Gesundheitsausgaben um durchschnittlich 3,5 % gemessen am BIP. Insgesamt sind die mit den steigenden altersabhängigen Staatsausgaben verbundenen Probleme jedoch nicht unüberbrückbar. Bei den Renten erscheint vor allem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei bis drei Jahre ein adäquates Mittel zur Eindämmung der Kostensteigerungen. Der Anstieg der staatlichen Gesundheitskosten könnte durch das Einfrieren der anderen Staatsausgaben kompensiert werden. (cl)
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