Studie zur Eurozonen-Krise: Deutschland nicht gefährdet
Deutsche
Bundesanleihen dürften zumindest in den nächsten Jahrzehnten ihren Nimbus als
Witwen- und Waisenpapiere behalten. Das hat eine Studie des Anleihemanagers Bantleon ergeben.
"Das Schreckgespenst einer
generellen Staatsschuldenkrise in der Eurozone ist aus unserer Sicht
übertrieben", resümiert Senior Analyst Dr. Daniel Hartmann, der die Studie
erstellt hat. "Deutschland dürfte bis zur Mitte dieses Jahrzehnts sogar
deutliche Fortschritte bei der Sanierung des Staatshaushalts machen. Dass sich
die Bonität des grössten Eurolands dennoch auf indirektem Weg dramatisch verschlechtert,
weil der Garantiefall für ein anderes Euroland eintritt, ist eher
unwahrscheinlich. Halten die Peripherieländer ihre aktuellen Sanierungspläne
einigermassen ein, dann ist unter den Voraussetzungen der günstigen Zinskonditionen
des Rettungsschirms bis 2016 ein Ende des stetigen Anstiegs der
Schuldenstandsquote in diesen Ländern möglich." Selbst wenn die beiden grössten
Problemfälle – Griechenland und Irland – am Ende doch das Handtuch werfen und
von den Gläubigern einen Schuldenverzicht fordern, dürfte dies die Bonität
Deutschlands nicht nachhaltig beeinträchtigen. "Die griechischen und irischen
Aussenstände sind dafür zu klein", stellt Hartmann fest.
"Auch
langfristig sollte man nicht allzu pessimistisch beim Thema öffentliche
Verschuldung sein", sagt Hartmann. "Ab 2015 dürften zwar die altersabhängigen
Ausgaben die Staaten vor wachsende Herausforderungen stellen, aber auch hier
zeichnen sich Lösungswege ab." Wirksame Gegenmittel sind unter anderem die schrittweise
Erhöhung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters und das Einfrieren der anderen
Staatsausgaben.
Untersucht wurden für die
Studie die folgenden Fragestellungen:
- Hat die Währungsunion beim
Thema Staatsverschuldung bereits den Rubikon überschritten?
- Welche Wachstumsperspektiven
haben die Länder der Eurozone?
- Wie ist der Zinsausblick?
- Was ist das plausibelste
Szenario für die künftige Entwicklung der Staatsverschuldung?
- Welche Auswirkungen hat der
demografische Wandel?
Die wichtigsten Ergebnisse
im Überblick:
- In
den Ländern der Währungsunion ist seit 30 Jahren ein stetiger Aufwärtstrend
in den Defizitquoten zu beobachten. Betrug das Verhältnis von
Staatsverschuldung zum BIP 1980 noch 35 %, waren es 1990 schon 50 %,
im Jahr 2000 knapp 70 %, und 2010 dürften es 83 % sein. Die
EU-Kommission warnt, dass der Schuldenberg ohne Kehrtwende in der Haushaltspolitik
2020 bereits 120 % betragen könnte. Steigende Schuldenstandsquoten
sind deshalb problematisch, weil damit zugleich wachsende Zinslasten und
Risikoprämien verbunden sind. Die Euroländer sollten daher alles daran
setzen, das Verhältnis von Staatsverschuldung zum BIP unter 100 % zu
halten. Dies gilt umso mehr als die meisten Euroländer stark im Ausland
verschuldet sind und damit besonders kritische Investoren haben.
- In allen Euroländern,
bei denen vor der Finanzkrise Ungleichgewichte an den Immobilien- und
Kreditmärkten entstanden sind, ist in den nächsten Jahren eine schwache
Investitionsdynamik vorgezeichnet. Gleichzeitig ist auch von einem Anstieg
der strukturellen Arbeitslosigkeit und damit von einer Schwächung des
Arbeitskräftepotentials auszugehen. Entsprechend dürfte die Wachstumsrate
des Produktionspotentials in Spanien, Griechenland und Portugal in den
kommenden fünf Jahren bei nur noch 1,0 % liegen. In Irland ist wegen
der günstigeren Rahmenbedingungen für Investitionen mit 1,5 % bis 2,0 %
zu rechnen. In Frankreich sollte das Potentialwachstum mit 1,5 %
ebenfalls etwas niedriger liegen als zuvor. In Italien dürfte das
Potentialwachstum unverändert bei 1,0 % verharren. Deutschland geht
hingegen gestärkt aus der Finanzkrise hervor. Deshalb ist für Deutschland
von einem Potentialwachstum von 1,5 % bis 2,0 % auszugehen.
Es dürfte daher auch das einzige Land sein, dessen Haushaltskonsolidierung
in nennenswertem Umfang von kräftigem Wachstum unterstützt wird.
- Die
Renditen von Staatsanleihen dürften bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum
von 1,5 % und einer Inflationsrate von 1,5 % um 3,0 %
schwanken. Während die Renditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen
derzeit diesem Referenzwert entsprechen, liegen die Renditen spanischer
Staatsanleihen um knapp 250 Basispunkte, portugiesische um 350,
irische um 500 und griechische sogar um 850 Basispunkte darüber. In dieser
Spreizung der Renditen spiegelt sich nicht zuletzt die aktuelle Einschätzung
der künftigen Entwicklung der Staatsfinanzen. Wenn die Risikoaufschläge in
den kommenden Jahren ihr gegenwärtiges Niveau behalten, sollten die
durchschnittlichen Refinanzierungskosten in den nächsten Jahren in
Deutschland in Richtung 3,0 % fallen (2009: 3,9 %), in Spanien
in etwa bei 5,0 % liegen (2009: 4,4 %) und in Portugal, Irland und
Griechenland auf 6,0 % bis 6,5 % steigen (2009: 4,2 % bis
4,8 %).
- Insgesamt stellt sich
der mittelfristige Ausblick für die öffentliche Haushaltslage im
Kernbereich der Währungsunion deutlich besser dar als noch vor einigen
Monaten gedacht. In Frankreich sollte die Haushalskrise spätestens 2015
überwunden sein. In den beiden anderen grossen Volkswirtschaften dürfte
das Anschwellen der Staatsverschuldung gemessen am BIP bereits in den
nächsten zwei Jahren zum Ende kommen. Deutschland besitzt sogar die Chance
auf eine deutliche Reduzierung der
Defizitquote. Tritt ein Garantiefall für ein anderes Euroland ein, könnte
es zwar zu einem Rückschlag in dieser Hinsicht kommen. Deutschlands Bonität
würde aber auch dadurch nicht ernsthaft in Gefahr geraten. Dies gilt
selbst für den Fall, dass neben Griechenland und Irland auch Spanien und
Portugal unter den Rettungsschirm flüchten müssen. Der
Refinanzierungsbedarf dieser beiden Länder beträgt in den nächsten
zweieinhalb Jahren etwa 360 Mrd Euro. Nimmt man den ungünstigen Fall an,
dass hierfür nur die AAA-Staaten der Währungsunion bürgen (Deutschland,
Frankreich, Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg), dann
entfielen auf Deutschland abzüglich des obligatorischen IWF-Anteils etwa
120 Mrd Euro, was die Defizitquote Deutschlands gerade einmal um 4,5
%-Punkte erhöhen würde.
Ungleich steiniger als in den Kernstaaten ist der Weg
der Konsolidierung in den Peripherieländern. Dies liegt zum einen daran, dass
sie (mit Ausnahme Griechenlands) gegenwärtig noch höhere primäre Budgetdefizite
aufweisen als Frankreich. Zum anderen sind aber auch die Wachstums- und
Zinsperspektiven wesentlich schlechter. Eine Stabilisierung der Defizitquoten
in diesen Ländern dürfte erst 2015/2016 realistisch sein. Zweifellos am
schwierigsten wird es für Griechenland. Dort lag die Defizitquote bereits 2009
bei 127 % des BIP. Unter der Voraussetzung, dass der Rettungsschirm
nochmals verlängert wird, könnte es aber selbst den Hellenen gelingen, die
Defizitquote in den Jahren 2015/2016 bei etwa 160 % des BIP zu stabilisieren.
- Der demografische
Wandel ist eine Herausforderung für fast alle westlichen Industrieländer.
So rechnet die EU-Kommission bereits ab dem Jahr 2013 mit einer
schrumpfenden Erwerbsbevölkerung in der Eurozone, während gleichzeitig die
Altersgruppe der über 64-Jährigen absolut und relativ an Bedeutung
gewinnt. Die Folgen des steigenden Durchschnittsalters zeigen sich in
mehrfacher Hinsicht. Zum einen schlägt sich der Rückgang der
Erwerbsbevölkerung negativ in der Wachstumsrate des Produktionspotentials
nieder, die in den 2020er Jahren der Einschätzung von Bantleon zufolge unter 1,5 % fallen wird. Das
eigentliche Problem stellt jedoch der überproportionale Anstieg der
altersabhängigen Leistungen des Staates dar: Als Folge des wachsenden
Anteils älterer Menschen steigen die Ausgaben für die gesetzliche Renten-,
Kranken- und Pflegeversicherung (sowie für die Beamtenversorgung) in den
nächsten Jahrzehnten schneller als das BIP. Insgesamt dürften die altersabhängigen
Ausgaben gemessen am BIP um 5 %-Punkte wachsen. Auf Deutschland
bezogen wären dies derzeit 125 Mrd Euro, was mehr als 80 % des
diesjährigen Mehrwertsteuer-Aufkommens entspricht.
Schwieriger als bei den Renten ist die Lage bei den
staatlichen Gesundheitsleistungen. Ausser den altersbedingten Mehrkosten müssen
in diesem Bereich die Auswirkungen des technischen Fortschritts berücksichtigt
werden, der sich in den vergangenen Jahrzehnten als eigentlicher Kostentreiber
entpuppt hat. Der IWF rechnet deshalb in den westlichen Industrieländern bis
2030 mit einem Anstieg der Gesundheitsausgaben um durchschnittlich 3,5 %
gemessen am BIP. Insgesamt sind die mit den steigenden altersabhängigen
Staatsausgaben verbundenen Probleme jedoch nicht unüberbrückbar. Bei den Renten
erscheint vor allem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei bis drei
Jahre ein adäquates Mittel zur Eindämmung der Kostensteigerungen. Der Anstieg
der staatlichen Gesundheitskosten könnte durch das Einfrieren der anderen
Staatsausgaben kompensiert werden. (cl)