23.12.2024, 14:23 Uhr
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Anne-Katrin Scherer, Geschäftsführerin der Swiss CFA Society, nimmt in ihrem Kommentar den Fall Hildebrand unter die Lupe.
Anne-Katrin Scherer: Wahrheit ist eine Sache der Wahrnehmung. Dieses frei übersetzte Zitat von Gustave Flaubert kam mir in den Sinn, nachdem ich von den Währungsgeschäften Kashya Hildebrands erfahren hatte. Damit hat die ehemalige Devisenhändlerin ihren Ehepartner Philipp Hildebrand in arge Bedrängnis gebracht, war er doch nicht nur Chef der Schweizer Nationalbank (SNB), sondern auch Vizepräsident des Financial Stability Boards (FSB), einer Zentralbanken-Gruppierung, welche die G-20-Staaten in Bezug auf Bankregulationen berät.
Obwohl erste Untersuchungen der SNB selbst sowie der externen Revisionsfirma PricewaterhouseCoopers attestierten, dass keinerlei juristischen Vorschriften gebrochen wurden, trat Philipp Hildebrand nun doch von seinen SNB- und FSB-Ämtern zurück. Denn schlussendlich wird von einem Träger öffentlicher Macht und Würde nicht nur professionell und juristisch ein einwandfreies Verhalten erwartet, sondern auch moralisch. Diesbezüglich entstand zwischen den Wahrnehmungen der diversen Interessenparteien ein Bruch, der die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit von Philipp Hildebrand und der Institutionen SNB und FSB belastete.
Vertrauen als Basis der Finanzindustrie
Vertrauen und Glaubwürdigkeit basieren sowohl auf der Einhaltung von Gesetzen wie auch von moralischen Wertvorstellungen. Das Gesetz bestimmt nur, was wir tun dürfen oder nicht. Demgegenüber sagt die Moral, was wir tun oder lassen sollten. Dies sind grundlegende Verhaltensaspekte, welche das CFA Institute, der globale Berufsverband der Anlageprofis, in den CFA Institute Standards of Professional Conduct definiert hat und ihren Mitgliedern und Kandidaten zwingend vorschreibt. Denn gerade in der Finanzindustrie bildet Vertrauen die Existenzbasis. Kernpunkte des Verhaltenskodex sind die Einhaltung von Insidernormen, die Loyalität gegenüber Kunden und Angestellten sowie die Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten.
So ist es CFA-Mitgliedern oder -Kandidaten nicht erlaubt, nicht-öffentliche Informationen für sich oder andere zu nutzen, welche den Wert eines Investments beeinflussen könnten. Wenn nämlich der Eindruck entsteht, dass Personen in speziellen Positionen unfairerweise Vorteile aus ihrem Insiderwissen ziehen, würde die breite Anlegerschaft den Kapitalmärkten das Vertrauen entziehen. Im Beispiel von Kashya Hildebrands Devisengeschäften kamen Zweifel auf, weil diese nur wenige Tage vor wichtigen SNB-Entscheiden getätigt wurden.
Offenlegung von Interessenkonflikten
Die CFA-Standards schreiben ihren Mitgliedern zudem Loyalität gegenüber ihren Kunden vor. Sie müssen mit der gebotenen Sorgfalt und gesundem Menschenverstand zum Vorteil ihrer Kunden handeln und die eigenen Interessen sowie diejenigen ihres Unternehmens hintenanstellen. Kunden der SNB zum Beispiel sind nicht nur die Schweizer Bürger, sondern auch die globale Investorenschaft. Wie konnte der da als Hüter und Wächter des Schweizer Frankens seiner Frau Devisengeschäfte erlauben?
Die CFA-Regeln bestimmen ferner, dass die Standesmitglieder Interessenkonflikte, die ihre Unabhängigkeit und Objektivität beinträchtigen und im Widerspruch zu den Kundeninteressen stehen könnten, klar offenlegen. Diesbezüglich waren die Transparenzvorschriften der SNB wohl ungenügend.
Indem die CFA-Normen bestimmen, dass die Eigeninteressen eines Unternehmens oder deren Beschäftigten hinter diejenigen der Kunden und der Finanzmärkte zu stellen sind, kann sich sogar ergeben, dass ein Angestellter gegen die Interessen seines Arbeitgeber handeln darf. Im vorliegenden konkreten Fall stellt sich die Frage, ob es fair ist, den Bankangestellten zu entlassen, der den Fall Hildebrand ins Rollen brachte, ohne Rücksicht auf eigene berufliche und finanzielle Interessen. Sorgte nicht gerade er für die nötige Transparenz, handelte er nicht im Interesse der Kunden sowie der Kapitalmarktintegrität? Klar darf dabei kein höherstehendes Gesetz gebrochen werden. Im vorliegenden konkreten Fall wird die eingeleitete Untersuchung zeigen, inwiefern und durch wen das Schweizer Bankengesetz verletzt wurde.
Fehlender Verhaltenskodex der SNB
Besonders schockierend erscheint mir, dass die SNB erst durch den Fall Hildebrands gezwungen wurde, ihren Ethikkodex zu publizieren. Weshalb wurde dieser bislang geheim gehalten? Das macht keinen Sinn! Der Verhaltenskodex der Federal Reserve Bank of New York zum Beispiel ist einfach per Website zugänglich (http://www.newyorkfed.org/aboutthefed/ob43.pdf). Hier ist auch klar dargelegt, dass die Angestellten der New Yorker Reserve Bank die finanziellen Interessen ihrer Lebenspartner ins Kalkül nehmen und gegebenenfalls in einem Geschäft in den Ausstand treten müssen.
Die klare Definition und strikte Einhaltung von Verhaltensvorschriften ist die beste Medizin, um sich vor Vertrauensverlust zu schützen. Für die Finanzindustrie bieten die CFA Institute Standards of Professional Conduct eine bewährte Basis. Gerade wir Investmentprofis dürfen nicht nur unsere eigene Sicht der Wahrheit sehen, sondern den Blickwinkel öffnen und andere Aspekte einbeziehen, um unsere Reputation und die Integrität der Kapitalmärkte zu bewahren. Das hat nicht nur Gustave Flaubert mit dem eingangs erwähnten Zitat treffend beschrieben, sondern auch Daniel Keys Moran. Frei ins Deutsche übersetzt meinte er: Wir Menschen leben in einer Welt voller Unabwägbarkeiten, einer Welt wo unsere Wahrnehmung der Realität viel wichtiger ist als die Realität selbst.