Europäischer Aktienmarkt: Übertriebener Pessimismus

21.06.2010, 09:16 Uhr

Das Jahr 2010 hat sich bereits jetzt als ein turbulentes Jahr für die Aktien- und Anleihenmärkte herausgestellt. Besorgnis erregende Staatsverschuldungen, Wechselkursschwankungen und Volatilität waren die bestimmenden Themen. Dennoch wäre es unangemessen, die Aktienmärkte abzuschreiben.




Frédéric Buzaré
Global Head of Traditional Equity Management
bei Dexia Asset Management

Vor allem anderen ist festzustellen, dass Bewertungen und Gewinnerwartungen an den Aktienmärkten nicht überzogen wirken. Frédéric Buzaré, Global Head of Traditional Equity Management, erläutert: "Mit ihren niedrigen einstelligen Bewertungs-Kennzahlen für 2011 macht die europäische Aktienbewertung einen bemerkenswerten Eindruck. Die Märkte stellen momentan zweifellos die Nachhaltigkeit von Gewinnen und Margen in Frage. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Aktienmärkte für 2011 fast gar keine Gewinnsteigerungen einpreisen und von einem sehr niedrigen Bewertungsniveau ausgehen. Da wir nicht an eine Double-Dip-Rezession glauben, bleiben wir optimistisch. Kurzfristig könnten die Unsicherheiten aber noch bestehen bleiben, da die Zuversicht an den Märkten nach einer traumatischen Finanzkrise noch sehr gering ist."

Anhaltender Deflationsdruck

Aktien sind gegenwärtig zu einem vernachlässigten Anlageinstrument geworden. Die Zuflüsse insbesondere zu europäischen Aktienfonds sind nach wie vor schwach und das Anlegervertrauen ist gering. Hinzu kommt, dass ein anhaltender Deflationsdruck die Aktienmärkte belastet. Frédéric Buzaré: "In diesem Kontext ist Europa zum 'kranken Mann der Welt' geworden. Die Marktstimmung gegenüber Europa ist überwältigend negativ. Wetten gegen den Euro haben stark zugenommen. Nach unserer Auffassung ist dieser Pessimismus übertrieben, da die europäischen Unternehmen sich finanziell in guter Verfassung befinden und ihren japanischen Pendants in den 1990er Jahren in keiner Weise ähneln. Sie sind innovativ, liquide und stärker international orientiert als je zuvor. Dadurch können sie investieren und bessere Erträge für ihre Aktionäre erzielen. Aus diesem Grund sollte ist es entscheidend, zwischen Europa und europäischen Unternehmen zu unterscheiden, die oftmals Weltmarktführer in ihrer jeweiligen Branche sind, wie etwa Nestlé und BASF."

Wichtigkeit der regionalen Asset Allocation zunehmend

Aufgrund der Staatsschulden-Krise, die Griechenland in die Knie zwang und Kollateralschäden in Spanien, Italien und Portugal anrichtete, hat die regionale Asset Allocation wieder stärker an Bedeutung gewonnen. "Wir werden zwar weiterhin Stockpicker bleiben, lassen jedoch die Tatsache, dass es fundamentale Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gibt, keinesfalls ausser Acht. Es besteht eine grosse Differenz zwischen den Ländern Südeuropas mit ihrer hohen Schuldenlast und den haushalterisch eher disziplinierteren und zurückhaltend agierenden nordischen Ländern. Es gibt eine gewisse Korrelation zwischen der Wertentwicklung an den Aktienmärkten und den Haushaltsdefiziten, die wir bei unserer Bottom-up-Aktienauswahl berücksichtigen", so Buzaré.

Bestimmende Themen und Standpunkte

- Wachstumstitel: Alle Bedingungen sind gegeben, um sicherzustellen, dass Wachstumstitel überdurchschnittlich abschneiden. Entscheidende Indikatoren deuten auf ein langsameres Wachstum hin, die Anleger suchen Stabilität und Wachstumstitel haben bis jetzt noch keine Bewertungsaufschläge für ihr Entwicklungspotenzial gegenüber dem Gesamtmarkt verzeichnen können.

- Schwellenmärkte: Diese Volkswirtschaften sind relativ unversehrt aus der Krise hervorgegangen und ihre Unternehmen sind nun stärker denn je.

- China: Über westliche Unternehmen, die in China aktiv sind in den chinesischen Markt zu investieren, ist mittlerweile kein Selbstläufer mehr. Chinesische Unternehmen haben sich in mehreren Branchen, wie beispielsweise der Logistik und Energieerzeugung, zunehmend zu wettbewerbsfähigen und leistungsfähigen Akteuren entwickelt. Wir gehen daher immer selektiver vor und bewegen uns im chinesischen Markt zunehmend im gehobenen Konsumgüterbereich.

Darüber hinaus muss man bedenken, dass manche Unternehmen und Branchen keineswegs solch defensive Investments sind, wie sie oft erscheinen. Denn da die Regierungen sich steuerlich gesehen in einer misslichen Lage befinden, werden sie rein inländische Unternehmen voraussichtlich höher besteuern. Das kann erklären, warum Aktien wie France Télécom und Total in diesem Jahr bisher schlechter abgeschnitten haben als der CAC40 Index, da die Anleger das Schreckgespenst dieser 'Konfiszierungs-' Politik mit zunehmender Sorge betrachten – und das mit Recht. Dieses Element sollte man in seinem Investmentansatz berücksichtigen.

Rally für das vierte Quartal erwartet

Frédéric Buzaré: "Wir können daraus schliessen, dass zwar für die Aktienmärkte ein erhebliches Steigerungspotenzial besteht, ohne dass dies ein Selbstläufer wäre. Wahrscheinlich haben wir schwierige Sommermonate vor uns, bevor im vierten Quartal eine Rally einsetzt. Bei den derzeitigen Bewertungen rechnen die europäischen Aktienmärkte 2011 mit einem Nullwachstum. Dies ist zu pessimistisch gedacht. Die Gewinne werden in zunehmendem Masse eine 'darwinsche' Selektion aufweisen und die länderspezifische Asset Allocation wird sich weiterhin danach richten. Die Divergenzen zwischen Ländern, die zur Deflation verurteilt sind, und anderen, die strukturelle Reformen durchführen, werden sich vergrössern. Europa wird drastische Reformen benötigen, wenn es überleben will. In diesem Kontext bevorzugen wir auch künftig Wachstumsunternehmen und solche, die in den nächsten drei Jahren ihre Dividenden erhöhen können. Wir bleiben bei unserer positiven Einstellung zu Dollar-sensiblen Aktien, zuungunsten von Unternehmen mit dem Schwerpunkt China." (na)

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