27.11.2024, 14:11 Uhr
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Die Emerging Markets haben die entwickelten in den letzten Wochen übertroffen trotz der eskalierenden Situation im Nahen Osten. Dennoch hat sich an den Gründen für eine Outperformance der entwickelten Märkte nichts geändert. Maarten-Jan Bakkum von ING Investment Management schätzt in seinem "Emerging Equity Markets Monthly" die Lage ein.
Die Emerging Markets haben die entwickelten in den letzten Wochen übertroffen trotz der eskalierenden Situation im Nahen Osten. So hat sich nach über drei Monaten der Underperformance auch der relative Wert verbessert. Aber ob das reicht, um über die nächsten Monate für eine rasche Erholung der Emerging Markets (EM) gegenüber den Developed Markets (DM) zu sorgen, ist zweifelhaft. Denn an den wichtigsten Antriebsfaktoren der DM-Outperformance gegenüber den EM schwindendes Wachstumsgefälle sowie höherer Inflationsdruck in den EM hat sich nichts geändert.
Risikoaufschläge für Emerging Markets
Die Unruhen im Nahen Osten belasten die EM-Aktienmärkte auf vier verschiedene Weisen: Erstens verschärft der höhere Ölpreis den bereits erheblichen Druck auf die Lebensmittelpreise, die insbesondere die Schwellenländer betreffen; zweitens führt er zu stärkeren makroökonomischen Ungleichgewichten in von Energieeinfuhren abhängigen Ländern und hohen Gewinnen in Erdöl fördernden Ländern; drittens hat die Entwicklung im Nahen Osten wiederum das politische Risiko in den Vordergrund gerückt, was sich auf die Wahrnehmung des Länderrisikos in den EM auswirken könnte, und viertens beeinflussen tiefgreifende politische Veränderungen im Nahen Osten massiv die Kräfteverhältnisse nicht nur in der Region, sondern weltweit. Geopolitische Komplikationen könnten vor allem, wenn die USA, Israel und Iran betroffen sind zu höheren Risikoaufschlägen für EM-Werte führen.
Die ausgeprägte Ölpreis-Sensitivität der Schwellenländer über die Lebensmittelpreise ist die Nahtstelle zwischen den Unruhen im Nahen Osten und EM-Aktien. Grund sind die bereits hohe Lebensmittelpreisinflation und der starke Investorenfokus auf das EM-Inflationsrisiko. Der Höhepunkt der EM-Inflation wird sich infolge der Krise im Nahen Osten wohl später als erwartet einstellen. Deswegen betrachtet Maarten-Jan Bakkum Märkte wie Indien und Indonesien mit Vorsicht, wo die Inflationsentwicklung in den letzten Monaten zu einer deutlichen Underperformance gegenüber anderen GEM geführt hat.
Nutzniesser und Leidtragende des Ölpreises
Angesichts des steigenden Erdölpreises verläuft eine klare Linie zwischen den Ländern, die unter der Entwicklung leiden, und jenen, die von den hohen Energiepreisen profitieren. Die in grossem Umfang Erdöl importierenden Länder erleben einen Anstieg ihrer Einfuhrkosten. Bei Ländern mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen, wie China, Korea und Taiwan, führt ein höherer Ölpreis aber nicht zwangsläufig zu höherer aussenwirtschaftlicher Verwundbarkeit. Problematisch ist die Situation dagegen für Erdölimporteure mit hohem Leistungsbilanzdefizit, wie Indien und die Türkei. Je höher der Ölpreis, desto mehr ausländisches Kapital müssen sie ins Land holen, um die Zuwachsrate ihrer Binnennachfrage aufrechtzuerhalten. Für Indien besteht noch ein zusätzliches Problem aufgrund der grosszügigen Energiezuschüsse. Bei steigenden Ölpreisen erhöht sich somit der Druck auf den Staatshaushalt des Landes.
Andere Länder profitieren hingegen von einem hohen Ölpreis. Russland ist dabei der grösste Nutzniesser im GEM-Aktienuniversum von ING Investment Management. Bei einem Ölpreis von über 116 US-Dollar (per 21.03. 2011) schreibt der Staatshaushalt jetzt wieder schwarze Zahlen. Wichtiger sind indes die Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz. Höhere Erdöleinnahmen bedeuten eine Ausweitung des Leistungsbilanzüberschusses und mehr Spielraum für einen Anstieg der Binnennachfrage. Die Banken verfügen dank eines grösseren Aussenhandelsüberschusses über reichlich Liquidität, da die russischen Behörden externe Kapitalzuflüsse nicht sterilisieren. Dadurch profitiert der russische Markt direkt über die Erdölunternehmen und indirekt durch den stärkeren Rubel und die günstigeren Aussichten für die Binnennachfrage.
Risikoprämien sind nicht auszuschliessen
Der dritte Berührungspunkt zwischen der Entwicklung im Nahen Osten und den EM-Aktien ist die erneute, wenn auch weniger konkrete, Schärfung des Bewusstseins für die politischen Risiken im EM-Bereich. Bisher konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Anlegerschaft auf die politischen Risiken im Nahen Osten und Nordafrika. Ausserhalb dieser Region haben Länderrisikoindikatoren nur unwesentlich auf die Turbulenzen reagiert. Der Anstieg des Yield Spread beim EMBI+ um 20 Bp. seit Beginn der Proteste in Kairo ist unbedeutend und in erster Linie auf das Inflationsrisiko und nicht etwa eine andere Wahrnehmung des EM-Länderrisikos zurückzuführen.
Gleichwohl haben Investoren in den letzten Monaten genauer hingeschaut, was die Schwächen autoritärer Regime vor dem Hintergrund steigender Lebensmittel- und Energiepreise, auch in anderen Regionen als dem Nahen Osten, angeht. Vor allem die Versuche von Regimegegnern, in China umfangreiche Proteste zu mobilisieren, stiessen sowohl in der Finanzpresse als auch in Research-Berichten von Brokern auf Aufmerksamkeit. Noch erscheint es jedoch unangemessen, wesentlich höhere politische Risiken in den GEM einzupreisen. Andererseits schliesst Aktienstratege Bakkum eine Erhöhung der politischen Risikoprämien in den kommenden Quartalen nicht aus, falls die Lebensmittelpreise noch weiter steigen. Der hohe Preisdruck bei Lebensmitteln und die stetige Aufzehrung der Kaufkraft privater Haushalte sind jedenfalls die Hauptursache für soziale und politische Unruhen.
Die potenziell ganz erheblichen geopolitischen Folgen der Entwicklungen im Nahen Osten stellen den vierten Risikofaktor für EM-Aktien dar. Dabei handelt es sich um ein langfristiges Risiko, das nur schwer abzuschätzen ist, aber die Schwellenländer aufgrund ihrer höheren Sensitivität gegenüber Veränderungen der globalen Risikolust stärker als die entwickelten Märkte betreffen dürfte.
Grosse geopolitische Unsicherheit
Wie tragfähig ist der Status quo zwischen Israel und den Palästinensern nach dem Führungswechsel in Ägypten? Werden die USA ihre starke politische und militärische Präsenz in der Region aufrechterhalten können? Wird das saudische Regime grossflächige soziale Unruhen vermeiden können? Werden die Machthaber im Iran ihren Einfluss in der Region ausweiten können oder werden sie selbst im Zuge zunehmender Unruhe und Opposition hinweggefegt werden? Welche Rolle spielen konfessionelle Unterschiede, vor allem zwischen Schiiten und Sunniten? Wird die Türkei eine Vormachtstellung in der Region erringen können?
Die Tatsache, dass all diese Fragen in den letzten Wochen in Presse, Wissenschaft und in der Anlegerschaft intensiv diskutiert wurden, spiegelt die stark gestiegene geopolitische Ungewissheit wider. Die möglichen Folgen für das Kräftegleichgewicht im Nahen Osten sind enorm. In der Regel sind die globalen Aktienmärkte fix, wenn es um das Einpreisen diverser Szenarien geht. Bei Ereignissen von ausserordentlicher historischer und globaler Tragweite haben sie allerdings Schwierigkeiten, Schritt zu halten. Das erklärt wahrscheinlich, warum die Turbulenzen im Nahen Osten bislang noch nicht zu einem deutlichen Rückgang der Risikoneigung geführt haben.
Wären ihnen nicht die Unruhen im Nahen Osten dazwischengekommen, so würden die EM-Aktienmärkte derzeit recht positiv dastehen, da nun die ersten Anzeichen auf den Höhepunkt der Lebensmittelpreisinflation in China und Indien hindeuten. Aber gerade der steigende Ölpreis und die hohe Ungewissheit im Hinblick auf den historischen Wandel im Nahen Osten veranlassen Bakkum seit Januar zur Vorsicht. Die steigenden Energiepreise treiben weltweit die Lebensmittelpreise in die Höhe; ein frühzeitiges Nachlassen der Inflationsentwicklung in den EM ist daher unwahrscheinlich. Somit wird sich auch das EM/DM-Wachstumsgefälle nicht so bald bessern.
Sollte die EZB indes nächsten Monat die Zinsen anheben, dann würde das die Zinsstraffungsmassnahmen der EM-Zentralbanken flankieren. Sobald die Inflationsdynamik in den Schwellenländern nachlässt (wahrscheinlich im Sommer), wird die Situation der EM sich vergleichsweise günstiger gestalten, falls dann auch einige DM-Notenbanken in den Straffungszyklus übergegangen sind.