Der Dollar am Scheideweg

Die Skepsis von Benjamin Franklin könnte verfrüht sein. Der Dollar wurde fälschlicherweise schon oft abgeschrieben. (Bild: Pixabay.com)
Die Skepsis von Benjamin Franklin könnte verfrüht sein. Der Dollar wurde fälschlicherweise schon oft abgeschrieben. (Bild: Pixabay.com)

Um die Wirtschaft in der Corona-Krise über Wasser zu halten, hat auch die US-Notenbank zur "Bazooka" gegriffen: eine massive Zinsreduktion, Nothilfe in vierstelliger Milliardenhöhe und tonnenschwere Wertpapierkäufe. Der Dollar hat damit den Zinsvorteil verloren. Auch politische Querelen setzen ihm zu. Wie weiter?

07.08.2020, 11:24 Uhr

Redaktion: hf

Die Schwäche der US-Währung ist eklatant: Zum Franken rutschte der Dollar von 0.98 Mitte April auf aktuell noch 0.91 ab, mit beschleunigtem Tempo in den vergangenen Wochen. Das Gleiche zum Euro, der zum Greenback deutlich erstarkt ist. Am Donnerstag kostete die Gemeinschaftswährung aus Dollar-Sicht mit 1,17 so viel wie letztmals im Frühjahr 2018. Weniger stark, aber immer noch deutlich, ist die US-Währung auch zum Yen gesunken.

Solch markante Bewegungen führender Währungen in kurzer Zeit sind selten und werfen Fragen auf: Welchen Einfluss hat die Devisenspekulation? Ist der Kursrutsch der Beginn einer längerfristigen Entwicklung oder nur ein vorübergehendes Formtief und täuschen sich all diejenigen, die den Greenback als führende Referenz- und Reservewährung bereits abschreiben? Die Meinungen sind vielfältig, ähneln sich aber im Grundton, worauf ein Abgesang auf den Dollar verfrüht wäre. Ein Querschnitt:

Spekulative Akteure ändern die Meinung rasch

Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank: Die gleichen Leute, die heute den Dollar abschreiben, werden später wieder das Ende des Euros heraufbeschwören. Die spekulativen Investoren werden dann ihre Shortpositionen wieder drehen. Der Dollar wird momentan unter seinem Wert gehandelt und kann in den nächsten Wochen noch schwächer werden. Die Gegenbewegung nach oben wird aber kommen, und sie wird einen rechten Teil des Zerfalls kompensieren. Ob es gegenüber dem Franken wieder zur Parität reicht, ist dagegen ungewiss.

Stefanie Holtze-Jen, Chief Currency Strategist, DWS: Der Euro hat einen Timing-Vorteil, während die US-Nachrichten von einer scheinbar ausser Kontrolle geratenen Covid-19-Situation dominiert werden. Und Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass Trump die Wahlen verlieren wird und Biden eher marktunfreundliche Massnahmen wie Steuererhöhungen installieren wird. Die Covid-19-Zahlen weisen inzwischen aber auch in Europa wieder nach oben. Es ist davon auszugehen, dass die Realität den Markt hier einholt. Dieser handelt Europa noch als Outperformer gegenüber den USA. Einen neuen Trend, der nunmehr nur Informationen zu Lasten des Dollars auslegt, sehe ich nicht.

Nahe der Talsohle

Schwyzer Kantonalbank: Es handelt sich um eine ausgesprochene Dollarschwäche. Dafür gibt es mehrere Auslöser, unter anderem die rekordtiefen (Real-)Zinsen und die reduzierte Zinsdifferenz zu Europa. Der Schwächeanfall führe die US-Währung zwischenzeitlich unter CHF 0.91, den tiefsten Stand seit Januar 2015. Der Euro bleibt gegenüber dem Dollar im Vorteil. Der jüngste Aufschwung könnte somit noch den einen oder anderen Cent weitergehen, auch gegenüber dem Franken. Beim USD/CHF spricht derzeit wenig für eine rasche Erholung, aber auch eine weitere substanzielle Tieferbewertung ist nicht zu erwarten.

Swiss Life Asset Management: Der Euro profitierte im Juli zusätzlich von der Einigung der EU für einen Corona-Wiederaufbaufonds, was das Extremrisiko des Auseinanderbrechens der Eurozone mindert. Die Anlegerstimmung dürfte den Euro vs. den Dollar und das britische Pfund zwar weiter stützen, aber unsere Sicht auf EUR/CHF ist aufgrund steigender geopolitischer Risiken neutral. In einem solchen Umfeld dürfte der Franken wieder Fluchtwährung Nr. 1 werden, weil der Dollar seine Attraktivität als Zufluchtsort jüngst eingebüsst hat.

Europas Exportwirtschaft unter Druck

Feri-Gruppe: Der fundamental gerechtfertigte Wechselkurs des Dollars zum Euro auf Basis von Kaufkraftparitäten liegt etwa bei 1,29 $/€. Eine weitere Aufwertung des Euros bis zu diesem Niveau wäre also noch keine Übertreibung. Unterbrochen oder umgekehrt würde dieser Trend dann, wenn es zu einer weiteren Verschlechterung der Pandemielage mit neuen signifikanten Beschränkungen des Wirtschaftslebens käme: Dann wäre aller Voraussicht nach der Dollar wieder als Rückzugswährung für unsichere Zeiten gefragt.

Eine allzu grosse Euphorie angesichts der Eurostärke ist aus Sicht der Feri-Gruppe nicht angebracht. In diesem Zusammenhang macht der deutsche Vermögensmanager auf einen Umstand aufmerksam, der auch die Währungshüter im Euroland und in der Schweiz beschäftigen wird, je länger die Schwäche des Dollars und der sich an ihm orientierenden Schwellenländerwährungen andauert: Eine schnelle und deutliche Aufwertung von Euro und Franken respektive ein anhaltender Dollar-Kriechgang verschlechtert Europas Wettbewerbsfähigkeit –und das ausgerechnet jetzt, wo die Folgen des Lockdowns aus dem ersten Halbjahr allmählich überwunden werden. Da sind, so Feri, "währungsbedingte Belastungen und Exporteinbussen eher nicht willkommen."

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